Süddeutsche Zeitung

Vier Favoriten der Woche:Überraschungseier

Diesmal mit einem goldenen Schatz, der Musik von Franz Schubert, respektlos-cinephilen Filmen der Safdie-Brüder und Arbeiten der Künstlerin Sung Tieu.

Von SZ-Autoren

Es ist wieder da: Das Goldene Ei aus Dresden

Wer einen Sinn für das Schöne hat und im Schönen nach Botschaften für das Leben sucht, sollte nach Dresden fahren. Dort ist auf wundersame Weise das seit fast einem Jahrhundert verschollene Goldene Ei zurückgekehrt. 1705 hatte es der besessene August der Starke für seine Kunstsammlungen erwerben lassen, und im 19. Jahrhundert war es bereits so berühmt, dass es in keinem Führer über das Grüne Gewölbe unerwähnt blieb. 1924 verschwand es dann in private Hände, ehe es jetzt wieder aufgefunden und mit Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung gekauft wurde. Zu Recht sprechen die staatlichen Kunstsammlungen von einem "außerordentlichen Glücksfall".

Das legendäre Ei ist mit fünf Zentimetern winzig klein und dennoch in Ausführung, Originalität und gedanklicher Tiefe große Kunst. Es lässt sich an zwei Seiten aufschrauben und offenbart ein mehrfach gestaffeltes Innenleben. In der ersten Schicht eine goldene Henne mit Rubinaugen und emailliertem Gefieder. Wie? Eine Henne im Ei? Der unbekannte Künstler muss humorbegabt gewesen sein oder scharfsichtig: Denn welche Wirkung hat nur eine einzige klare Ursache? Was von beiden stand tatsächlich am Anfang: Henne oder Ei?

Aber auch die Henne lässt sich öffnen, und in ihr steckt eine mit Diamanten besetzten Krone, in der wiederum ein Ring mit Edelsteinen steckt. Das Leben reicht eben tiefer - für die Mutigen und Neugierigen. Denn Henne, Krone und Ring kommen nur zum Vorschein, wenn das Ei aufgedreht wird. Leben ist Erkundung, Leben ist Überraschung.

Im Goldenen Ei verbinden sich Kunst und Philosophie auf besondere Weise. Peter Carl Fabergé, der Anfang der Sechzigerjahre des 19. Jahrhunderts in Dresden lebte und dort regelmäßig das Grüne Gewölbe besuchte, war tief beeindruckt. Ihn inspirierte die Pretiose zu seinen ersten Ostereiern für den russischen Zaren. Die Tragik ist, dass sein Vorbild - der Künstler, der in Miniaturformat so etwas Schönes und Tiefgründiges schuf -, unbekannt ist. In Dresden kann man seine Schöpfung jetzt wieder bewundern. Marc Hoch

Visuelle Kriegsführung: Die Künstlerin Sung Tieu

Das Havanna-Syndrom wurde im Jahr 2016 erstmals beobachtet. Diplomaten klagten über Übelkeit, Erschöpfung, Gedächtnislücken. Sie alle waren im Hotel Nacional de Cuba abgestiegen, doch die Beschwerden ereilten bald auch Kollegen andernorts. War es ein Virus? Gift? Akustische Kriegführung? Das Thema hat der in Berlin lebenden Sung Tieu den Preis der Londoner Kunstmesse beschert - und seither erwartet die Szene ihren Film "Moving Target Shadow Detection" mit Spannung, schließlich ist sie in Deutschland auch für den Preis der Nationalgalerie nominiert. Die Künstlerin, die im Jahr 1987 im vietnamesischen Hai Duong geboren wurde und als Kind eines sogenannten Vertragsarbeiters seit den frühen Neunzigerjahren in Deutschland lebt, ist vor allem für ihre Installationen bekannt, derzeit kann man ihre Werke noch in der Schau Sung Tieu - Fall im Kunstmuseum Bonn sehen (bis 12. Dezember). Catrin Lorch

Tharaud hört Schubert

Der französische Pianist Alexandre Tharaud fühlt sich hörend-spielend hinein in Franz Schuberts kleinere, keineswegs unbedeutendere Klavierstücke. Und muss mit seiner neuen Schubert-CD (Erato) jeden unvoreingenommenen Hörer begeistern. Vielleicht würde man in guter deutscher Tradition anders phrasieren, das Hauptmotiv der markanten Zwischenspiele im sonst munter perlenden Es-Dur-Impromptu mit einem Stakkato-Abschluss markieren, um den Kontrast von melodischem Fluss und profilierter Dramatik deutlicher hervortreten zu lassen. Tharaud dagegen lässt die Phrasenenden oft im Ungefähren, er verfügt über andere, subtile Ausdrucksmittel, jenseits des Sentimentalen. Damit gelingt ihm gerade dieses Es-Dur-Impromtu mit seinem eleganten Farbenspiel der Triolen und vielfältigen Schattierungen ganz unaufgeregt besonders gut. Helmut Mauró

Respektlose Cinephilie der Safdie-Brüder

Dies ist eine schwarze Komödie, sagt der junge Filmemacher Benny Safdie in einem Youtube-Clip und hält eine DVD in die Kamera. Robert Bresson sei funny, erklärt er uns, in his own way ... Er steht mit Bruder Josh in einem engen Raum vollgepackt mit DVDs, wo die Brüder lustvoll die Filme herauspicken, die sie inspiriert hatten, Bresson, Altman, Stephen Frears (den sie beim Filmfest in München sahen), Polanski, De Sica - und die schwarze Komödie, Bressons "L'argent". "Ich wollte", grinst Benny, "die Cahiers du cinéma dazu bringen, mich einen Text schreiben zu lassen, dass Bresson ein comedian ist ..." Eine respektlose Cinephilie treibt sie an, wenn sie auf die Straßen ihrer Heimatstadt New York ziehen und ihre verrückten Filme drehen. Gerade widmet das Münchner Filmmuseum den New Yorker Filmbrüdern eine Retrospektive, die nach unzähligen billigen, frechen Filmen in "Uncut Gems" kulminiert, einer schwarzen Komödie mit Adam Sandler, einige Millionen Dollar schwer, von Netflix lockergemacht.

An diesem Wochenende gibt es eine Auswahl fantastischer kleiner Safdies, Musikvideos oder Werbefilme oder einfach Impressionen aus der Nachbarschaft, mit schillernden Versagern. Es sind Filme, die, typisch für New York, vom Austausch leben, von allen möglichen (und unmöglichen) Objekten, und die alle immer wieder ihre Richtung ändern, unvermutet für uns, die wir erprobt sind, Geschichten herauszulesen aus Bildern. Aus einem Auftrag für einen Werbefilm mit Handtaschen des Luxus-Labels Kate Spade machte Benny einen langen Film über eine Kleptomanin, der in Cannes bei der Quinzaine des Réalisateurs landete: "The Pleasure of Being Robbed". Ihr Film "Good Time", mit Robert Pattinson als ungelenken Bankräuber, lief 2017 dort im Wettbewerb. Das Fehlen des Vaters setzt diese Filme in Bewegung, im Musikvideo "Marcy Me" ist diese Sehnsucht in den Himmel über New York projiziert, im Suchscheinwerfer eines Polizeihubschraubers. Adam Sandler bietet einen schwachen Vaterersatz, ein kleiner Edelsteinhändler im Diamond District, dem Wetten verfallen, den der Film "Uncut Gems" gehörig ramponiert. Das Kino auseinanderzunehmen, das nehmen sich die Safdies vor, und es neu wieder zusammenzusetzen. Und die ganze Filmkritik dazu. Mit "Good Time" und "Uncut Gems" haben sie es natürlich lässig auch in die Cahiers geschafft. Fritz Göttler

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5446824
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/knb
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.