Favoriten der Woche:Auf den ersten Blick

Favoriten der Woche: Willkommen in einem Land, das auf keiner Karte verzeichnet ist: Amerasia.

Willkommen in einem Land, das auf keiner Karte verzeichnet ist: Amerasia.

(Foto: Edition Filmmuseum)

Gesucht und teils gefunden werden: Die eigene Identität, ein Freund, der perfekte Chor-Klang, unerhört kratzige Mundart sowie Gefühl, Witz und Form bei der Lyrik: Fünf Empfehlungen der Redaktion.

Von SZ-Autoren

Zornige Ballade: Amerasia

Amerasia ist ein Niemandsland, auf Landkarten nicht verzeichnet. Amerasians nennt man in Thailand, das im Vietnamkrieg "Flugzeugträger" für die US-Einsätze, Erholungsgebiet für die G.I.s war, die Kinder, die diese mit asiatischen Frauen zeugten - und zurückließen, als sie nach dem Krieg in ihre heimischen Existenzen zurückkehrten. Wolf-Eckart Bühler hat ihnen 1984 im Film "Amerasia" (DVD, Edition Filmmuseum) nachgespürt, er folgt einem Ex-G.I., gespielt von John Anderson, durchs Land - und der weiß, was es bedeutet, ein Fremder zu sein von Geburt an, er ist ein Schwarzer. Ein stiller Schmerz liegt auf den schönen Gesichtern der Kinder - doppelte Außenseiter, die Einheimischen sehen ihnen auf den ersten Blick ihre Abkunft an, den Weißen fällt gar nicht auf, dass sie "anders" sind. Eine traurige, manchmal zornige Ballade von Einsamkeit und Identität, Treue und Verrat, in Erinnerung an John Ford und seine "Searchers", Leo T. Hurwitz, Irving Lerner und Abraham Polonsky. Fritz Göttler

Aufreizend gut: Der Lyriker Andreas Reimann

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"Lyrik-Hämmer" nannte Robert Gernhardt Gedichtzeilen, die sich sofort im Gedächtnis festkrallen, als hätte es sie immer gegeben - und nannte Bekanntestes wie "Einsamer nie als im August". Hier sei vorgeschlagen: "Dort gehen die hügel wie kühe ins tal / und läuten um achtzehn uhr." Zu wenig Platz hier, um zu erklären, warum das so gut ist (man könnte es). Das Gedicht, das so anhebt, heißt "Die andere Landschaft" und stammt von Andreas Reimann. Dieser, im weiten Rund des Vaterlands noch nicht überall als Klassiker anerkannt, bekommt nun eine veritable Werkausgabe, die ihn dazu machen sollte. Die Connewitzer Verlagsbuchhandlung hat mit "Der Plunderhund im Lande Wunderbunt" einen extradicken Band von Liedern und Gedichten vorgelegt (368 Seiten, 25 Euro).

Die drei Freuden der Lyrik - Gefühl, Witz, Form - bilden ein gleichschenkliges Dreieck, alles ist wahr, hell und wohlgestaltet. Wie gefühlvoll ist eine Liebeserklärung, die sich durch einen Abschied beweist: "Als wir erkannten, in verschiedner weise / zu stark zu sein, als daß wir uns ertrügen / auf unsrer liebe festgelegtem gleise / war abschied möglich ohne streit und lügen." Witzig ist es, wie Reimann den Balladendichter Schiller durch eine Moritat über die Geschichte seines Schädels ehrt: "Bei allen schiller-locken / die man seitdem verschlang: / es klangen keine glocken / dem mann, der lang und trocken / die glocke einst besang. / Ganz still ließ man den sarg hinab / um mitternacht ins massengrab." Man hört es, das ist für Gesang geschrieben, denn Reimann sei, so heißt es, auch der "Bob Dylan Ostdeutschlands" - er schrieb für Bühnen aller Art, und so wird ein Epochenbild seit den 70er-Jahren daraus. Dass der 1946 in Leipzig geborene und seither dort lebende Dichter eine bockige politische Biographie hat, versteht sich bei so viel Freisinn von selbst. Die aristokratische Form des Sonetts beherrscht er aufreizend gut. Vornehm ehrt er eine Köchin und Putzfrau, indem er ihre Ehrung bedichtet: "Doch der ist alt, der müde tulpenstrauß / Statt sie zu finden, ward sie abgefunden. / Das sind des redners und nicht ihre stunden: / sie sitzt nicht gern im kleckernden applaus." Andreas Reimann, wir klotzen mit Applaus! Gustav Seibt

Mundart in lässig: Der Musiker Fai Baba

Favoriten der Woche: Sanfte Stimme, unerhört kratzige Stimme: Fai Baba.

Sanfte Stimme, unerhört kratzige Stimme: Fai Baba.

(Foto: Zsigmond Toth)

Warum kommt ununterbrochen gute Musik nicht aus Deutschland, sondern aus der Schweiz? Irgendwas läuft da derzeit besonders gut, man bedenke nur das herzzerreißend schöne Album "Ich liebe dich", das Sophie Hunger mit Dino Brandão und Faber auf Schwyzerdütsch aufgenommen hat. Jetzt ist das Album "Veränderet" des Zürcher Musikers Fai Baba erschienen, an Lässigkeit nicht zu überbieten. Fai Baba macht schon lang Musik auf Englisch und hat sich jetzt vernünftigerweise auch für Mundart entschieden. Das beschert so tolle Sätze wie: "S Läbe will sich erläbe, lass es zue, kämpf nöd degäge a, gib Rue", im namensgebenden Song "Veränderet". Wie diese unerhört kratzige Sprache permanent an der sanften Musik und auch noch an Fai Babas weinerlicher Stimme selbst reibt, ist wirklich schönster Gegensatz und großer Genuss. Christiane Lutz

Parallelwelt des Wohlklangs: The Choir of King's College, Cambridge

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(Foto: King's College Cambridge, DDD, 2021)

Im Jahr 1441, also relativ spät, gründete König Heinrich VI. die heutige King's College Chapel. Die kontinentalen Kathedralchöre waren schon seit dem achten Jahrhundert in Aachen, Regensburg, Solothurn, St. Florian, Linz, Halle, Leipzig, Dresden, Freiburg und Augsburg entstanden. Heinrich VI. war damals 19 Jahre alt und bereits elf Jahre lang König von England und seit neun Jahren auch von Frankreich. Die Lebenserwartung war kürzer, man musste früher loslegen. Aber: Lebte man damals nun entspannter oder gestresster? Als englischer König galt sicherlich Letzteres, denn dessen Leben bestand ja traditionell darin, Mordanschlägen aller Art virtuos auszuweichen. Heinrich VI. hat sich vielleicht auch dafür, um zur Ruhe zu kommen, seinen eigenen Kapellraum bauen lassen, ein Gegenreich, eine Parallelwelt, in der Friede und Wohlklang herrschten. Für Letzteren sorgte ein kleiner, aber professioneller Chor aus Männern und Knaben, die in dieser Konstellation bis heute den vielleicht besten englischen Kathedralchor darstellen.

Der Klang von "The Choir of King's College, Cambridge" gilt im eigenen Land als kontinental, zu brustlastig, aber das macht genau den Unterschied nicht nur zu Mädchenchören, sondern auch zu den meisten englischen Kirchenchören, die immer eine Spur zu verhaucht klingen. Das liegt zum einen an biologischen Parametern, zum anderen schlicht an der Gesangstechnik. Wenn die Stimmlippen nicht richtig schließen, kommt fahl klingende Luft mit. Aber das ist, wie vieles in England, erwünschte, stolze Tradition.

Auf seiner jüngsten CD "Now the Green Blade Riseth" mit ebenso seltenen wie hinreißenden Werken so unterschiedlicher Komponisten wie William Byrd, Maurice Duruflé, Edward Elgar, John Ireland, Samuel Sebastian Wesley und noch viel unbekannteren Meistern, zeigt der King's College Choir nicht nur eine enorme Bandbreite seines Repertoires, sondern auch sein hohes technisches und musikalisches Niveau. Das war nie besonders niedrig, aber derzeit scheinen überdurchschnittlich viele sehr gute und gut ausgebildete Stimmen verfügbar. Das zeigt sich auch in Details wie der Vokalbehandlung und solchen Sachen. Aber nur dann kann diese Musik ihre wahre Größe entfalten. Helmut Mauró

Freund gesucht: Conan O'Briens Podcast

Favoriten der Woche: Gebt ihm einfach ein Mikrofon und eine Stunde Zeit: Conan O'Brien, nun Podcaster.

Gebt ihm einfach ein Mikrofon und eine Stunde Zeit: Conan O'Brien, nun Podcaster.

(Foto: Screenshot Team Coco)

Conan O'Brien ist zum richtigen Zeitpunkt gegangen, und das ist ja die größte Herausforderung einer langjährigen Fernsehkarriere. Seit 1993 war er eine der Größen der US-Late-Night-Shows, war zuvor bei "Saturday Night Live" und Autor der Simpsons. Jetzt podcastet Conan O'Brien, und das so hervorragend, dass man zum Schluss kommen muss: Der Mann gehörte nie ins durchformatierte Fernsehen. Gebt ihm einfach ein Mikrofon und eine Stunde Zeit, in der er seinen spontanen, warmherzigen, hochklugen und völlig albernen Humor hinauslassen kann. In "Conan O'Brien Needs a Friend" interviewt er Stars. Als Improvisationspartner sind seine Assistentin Sona Movsesian und der Podcast-Produzent Matt Gourley dabei. Und die versammelte Comedy-Elite war schon zu Gast, auch Gitarrist Slash und Bruce Springsteen, oder Michelle und Barack Obama. Aurelie von Blazekovic

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