Vier Favoriten der Woche:Französische Mädchenhaftigkeit

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Gleichklang der Herzen: Arnaud Valois und Suzanne Lindon in "Frühling in Paris". (Foto: MFA Film)

Ein tolles Kinodebüt aus Paris, eine Dokumentation über das Dirigentenurgestein Zubin Mehta, mittelalterliche britische Musik und ein neues Verkaufsformat für Pop: Lordes "Music Box".

Von SZ-Autorinnen und Autoren

Der Kinofilm "Frühling in Paris"

Kreativ und erfindungsreich sein, der Welt etwas Wichtiges mitteilen, dabei selbst total im Mittelpunkt stehen und nebenbei berühmt werden - welcher junge Mensch möchte das nicht? Auf Youtube und Tiktok sieht das oft wie ein Kinderspiel aus, beim Film ist es aber verdammt kompliziert. Vor allem natürlich, weil man ein teures Team braucht und viele alte Säcke abwinkend vor den Geldhähnen sitzen.

Manchmal klappt es aber eben doch, wie bei der Französin Suzanne Lindon, die mit 19 ihren Debütfilm "Seize printemps / Frühling in Paris" schrieb, inszenierte, sich selbst die Hauptrolle gab und auch noch das Titellied textete und sang. Mit 20 erhielt sie dafür eine Einladung zum Festival von Cannes, und jetzt hat sie es sogar in einige deutsche Programmkinos geschafft. Wie sieht so ein filmisches Selfie der Gegenwart aus? Suzanne erzählt von einer schüchternen 16-Jährigen namens Suzanne, intakte bürgerliche Familie, edles Gymnasium, große Langeweile, kein Hauch Rebellion oder auch nur pubertäre Abgrenzung von den geliebten Eltern.

Ihr Schulweg führt an einem putzigen kleinen Theater am Montmartre vorbei, dort verguckt sie sich in einen viel älteren Schauspieler, der aber zum Glück kein Arsch ist. Susanne Lindon sieht ein bisschen wie die junge Jane Birkin aus, sie spielt verträumt und linkisch, und sie führt auch verträumt und linkisch Regie. Manchmal rollt man die Augen, weil jede Szene so genuin durchsichtig und anfängerhaft wirkt, im nächsten Moment ist man dann doch wieder verzaubert. Französische Mädchenhaftigkeit ist de facto ja ein eingetragenes Warenzeichen und ein bewährtes filmisches Exportgut, Appellation d'Origine Contrôlée.

Suzanne Lindon hakt alle Punkte für den Export konsequent ab, vermittelt aber zugleich sehr überzeugend den Eindruck, als sei sie die erste Kindfrau der Weltgeschichte und habe noch nie gehört, dass da vielleicht Klischees lauern. Weil sie zu allem Überfluss noch die Tochter der Schauspielstars Vincent Lindon und Sandrine Kiberlain ist, kann man das schwer glauben. Entweder sie ist wirklich sagenhaft unschuldig - oder unfassbar gerissen. Tobias Kniebe

Eine Dokumentation über Zubin Mehta

Zubin Mehta während einer Probe in Wien. (Foto: Herbert P. Oczeret/picture alliance / dpa)

Die meisten sind längst entrückt in die ewigen Jagdgründe jener "legendary Conductors", die einst als herrscherliche Maestri rund um die Welt bewundert, oft auch gefürchtet wurden. Einer der letzten ist Zubin Mehta, Jahrgang 1936. Geboren in Bombay, heute Mumbai, in eine parsische Musikerfamilie, entwickelte er sich nach dem Studium in Wien rasch zum Pultstar, dessen körperintensives Dirigieren und sein loderndes Feuer ihm auch die ironische Einschätzung eines "Tigers von Eschnapur" einbrachte.

Wien, Berlin, Los Angeles, New York, München oder Florenz - Zubin Mehta wird gefeiert. Orchester verschiedenster Prägung ob in Europa, Asien oder den USA verehren diesen souveränen, dabei höchst kollegialen und gespannt konzentrierten Dirigenten. Kaum einer, den so viele Ensembles zum Ehrenmitglied oder zum Ehrendirigenten ernannt haben. In München ist er das bei den Philharmonikern ebenso wie beim Bayerischen Staatsorchester, dessen Generalmusikdirektor er von 1998 bis 2006 gewesen ist. Sein bedeutendstes Engagement gilt aber durch dick und dünn dem Israel Philharmonic Orchestra, dessen Chef er für fünfzig Jahre war von 1969 bis 2009.

In ihrem ungemein einfühlsamen Film "Zubin Mehta - Good Thoughts, Good Words, Good Deeds" (auf DVD) folgt Bettina Ehrhardt dem Meister mit jener Sympathie, die dieser selbst ausstrahlt, ob er nun in Mumbai die indische Heimat besucht, dort Freunde trifft oder seiner Cricketleidenschaft frönt. Oder in Israel vom Wagnis erzählt, dort Musik von Richard Wagner gegen die begreiflichen Widerstände aufzuführen, oder im Münchner Nationaltheater sitzt und selbstkritisch den einst jungen Dirigenten Mehta betrachtet.

Die Mixtur aus Musikausschnitten, Beschreibungen von Freunden und Weggefährten und den Filmdokumenten des jungen Dirigier-Wilden nimmt unaufdringlich gefangen. Großereignisse wie Puccinis "Turandot" in der Verbotenen Stadt in Peking oder das "Drei-Tenöre-Event" in den Caracalla-Thermen wirken hier nicht aufgedonnert, sondern menschlich und im besten Sinne unterhaltsam. So wird das Ganze zum sanften, tiefenscharfen Porträt eines expressiven, vitalen Weltmusikers, der mit sich im Reinen ist. Harald Eggebrecht

Das Huelgas-Ensemble

Der Dirigent Paul Van Nevel (Foto: Huelgas Ensemble)

Paul Van Nevel, 75, ist nie Kompromisse eingegangen, er hat mit seinem vor über 50 Jahren gegründeten Huelgas-Ensemble (benannt nach dem musik- wie kunstgeschichtlich grandiosen Kloster in Burgos) stets nur das gemacht, was für die meisten Musikfreunde abseitig unerhört ist, was ihn aber mit brennender Leidenschaft interessiert. Jetzt widmet sich der Belgier, er ist auch ein profunder Kenner von Zigarren und Fado, dem aus der EU ausgeschiedenen Großbritannien. Das überwältigende Album "En Albion" (Deutsche Harmonia Mundi) bietet dreizehn Stücke aus dem 14. Jahrhundert, als England auch musikalisch sehr eigenständig war und bereits verliebt in den Pop - Sexten und Terzen, heute Allgemeingut des Wohlklangs, waren damals auf dem Kontinent als Dissonanzen verpönt. Reinhard J. Brembeck

Die "Music Box" von Lorde

Die neuseeländische Musikerin Lorde. (Foto: Christophe Gateau/dpa)

Wie sollen Künstlerinnen und Künstler ihre Musik heute noch veröffentlichen? Auch in diesem Feuilleton wird ja weiter über Alben geschrieben, über das alte Produktformat - obwohl die meisten sich die Songs doch über Streamingdienste anhören, in deren Universum alles zu Playlisten zerfließt. Auf der anderen Seite stehen die Fans, die Devotionalen wollen, etwas zum Anfassen, Herumzeigen.

Besonders das jugendliche K-Pop-Genre schwelgt ja in physischen Objekten, bei denen die CDs in bunten Notizbüchern und Magazinen stecken, auch wenn viele längst keinen CD-Player mehr haben. Auf dem Weg zur Cloud-Allmacht durchläuft die Entertainment-Ökonomie gerade eine lustige Periode. Freud hätte gesagt: die Latenzphase. Lorde, die 24-jährige, Grammy-prämierte R'n'B-Modernistin aus Neuseeland, hat in dieses Wirrwarr nun eine neue Idee gesetzt. Ihr neues Album "Solar Power" wird, so gab sie eben bekannt, nur als Vinylplatte und sogenannte "Music Box" erscheinen. Die Box hat die Größe einer CD, enthält ein Büchlein, ein Poster, Postkarten - und einen Code, mit dem sich die Musik herunterladen lässt.

Also: Lorde verkauft für rund 18 Euro eine Tonträgerhülle, die keinen Tonträger enthält. Auf ihrer Website ist die erste Auflage bereits ausverkauft. Was erst mal wie ein schlechter Scherz wirkt, könnte sich als genial herausstellen. Die leere Hülle liefert all die Haptik, Schönheit und Informationsdichte, die ältere Plattenkäufer als Mangel der Streamingkultur einklagen. Sie ist das kleine Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit - und lässt dabei nur das Alibi-Feature weg, den Tonträger, den heute wirklich keiner mehr braucht. Lorde selbst nennt die Box eine "nachhaltige Alternative zur CD", denkt wohl ans eingesparte Polycarbonat und den Umstand, dass lokal gespeicherte Musik beim Hören weniger Kohlenstoff verbraucht als ein Stream.

Hier müsste man allerdings nachrechnen: Die Server, die für die Downloads zur Verfügung stehen müssen, könnten am Ende schädlicher sein als die CD-Produktion. Trotzdem: Dieser popmodernen Konzeptidee gebührt alle Ehre. Album wird dann demnächst hier besprochen, keine Sorge. Joachim Hentschel

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