Favoriten der Woche:Musik mit Tieren

Ein ungewöhnliches Gipfeltreffen, vollkompostierbare Preise, das nahende Ende: Fünf Empfehlungen der SZ-Redaktion.

Von SZ-Autoren

Netzfunde: Das Ende ist da

Favoriten der Woche: Der Twitteraccount "pictures of the end" kommt daher wie das Fotoalbum zum Weltuntergang.

Der Twitteraccount "pictures of the end" kommt daher wie das Fotoalbum zum Weltuntergang.

(Foto: Twitter/pictures of the end)

Wie nah die Menschen den Planeten Erde bereits an den Abgrund geführt haben, darüber wird öffentlich gestritten - hier trotzdem eine gute Nachricht zum traurigen Thema: Das Fotoalbum zum Weltuntergang ist schon da und es wird fortlaufend aktualisiert. Der Twitter-Account "pictures of the end" zeigt ebensolche - zu sehen sind Jahrmarkt-Riesenräder, die auf improvisiert gestapelten Ziegeln stehen, und Unfallgeschädigte, die noch während der Erstversorgung ihr Handy checken. Zu sehen ist auch ein Hydrant, der durch ein an ihm verlegtes Geländer unbenutzbar geworden ist. Manche Bilder sind fake, andere echt, fast alle wahrhaftig: Die Menschheit arbeitet an ihrem eigenen Ende. Das ist mal zum Schreien komisch - und häufiger aber bloß zum Schreien. Cornelius Pollmer

Ausstellung: Nordkoreanisch-Schweizer Gipfel

Favoriten der Woche: Idlyllisch: Bushaltestelle in Pjöngjang.

Idlyllisch: Bushaltestelle in Pjöngjang.

(Foto: Katharina-Schelling / Alpines Museum der Schweiz)

Die Eintrittskarte zur Ausstellung "Let's Talk about Mountains - eine filmische Annäherung an Nordkorea" im Alpinen Museum der Schweiz ist ein kleiner, rostroter Anstecker. Er sieht ungefähr so aus wie die, die nordkoreanische Lehrer, Soldatinnen und Reiseführer stets am Revers tragen, und er erzählt viel über das, was das ungewöhnliche Alpenmuseum in Bern mit seiner Ausstellung will. Es geht um Berührungspunkte zwischen den beiden recht unterschiedlichen Bergstaaten Schweiz und Nordkorea, um die Räume, Themen und Tätigkeiten, bei denen man sich begegnen kann und die Fremdheit kurz vergisst. "Die Vertreter der nordkoreanischen Botschaft haben sich die Stecker gleich drangeheftet, als sie die Ausstellung besuchten, das war ihnen vertraut", erzählt Kurator und Museumsdirektor Beat Hächler mit einem feinen Lächeln. Dialog und Zuwendung, aber auch kritische, manchmal ironische Betrachtung aus der Distanz: Mit dieser Haltung haben sich Hächler und seine Leute dem Ausstellungsprojekt genähert, und herausgekommen ist ein grandioser, einzigartiger Einblick in ein isoliertes Land - traurig, erschütternd, oft wunderschön, nie von oben herab.

Rund fünf Wochen hat Hächlers Filmteam 2019 in Nordkorea verbracht. Der Kontakt kam über die Botschaft in Bern zustande, der thematische Zugang so simpel wie klug: Berge. Wer es nicht weiß: Nordkorea ist übersät von Bergen und Hügeln, der höchste Punkt ist der fast 3000 Meter hohe Paektusan im äußersten Norden des Landes, inzwischen nationalistisch überhöhte "Ikone und Wahrzeichen der nordkoreanischen Identität". Berge als Begegnungsvehikel, das ist gewissermaßen Beat Hächlers Programm, seit er das Alpine Museum 2011 übernommen hat, und allein diese Herangehensweise ist für das Haus ein großes Glück. Auch in diesem Fall sind die Berge eher nur der verbindende Link, wirklich zu sehen bekommt man eine vom Rest der Welt weitgehend abgeschnittene Gesellschaft, in der die Spielräume klein, aber überraschend sind. Es ist berührend, dem Maler zuzuhören, wie er reflektiert und irgendwie trotz allem frei über seine Kunst spricht. Wie verzweifelt eine Schülerin versucht, dem ausländischen Kamerateam das Richtige zu sagen. Oder wie Frauen ausgelassen im Park tanzen, zu von oben abgesegneter Popmusik. Noch bis zum 25. September kann man ihnen dabei zusehen. Isabell Pfaff

Theaterpreispokal: vollkompostierbar

Favoriten der Woche: Nachhaltig und einpflanzbar: die Preispokale beim 59. Berliner Theatertreffen.

Nachhaltig und einpflanzbar: die Preispokale beim 59. Berliner Theatertreffen.

(Foto: Eva Veronica Born)

Nachhaltigkeit ist ein Riesenthema im Theater. Auch das 59. Berliner Theatertreffen steht im Zeichen des "Green Deal". So hat das Festival eine CO₂-Klimabilanz erstellen lassen, um zu sehen, welchen ökologischen Fußabdruck es hat (nämlich: einen schlechten, bei all den vielen Juryreisen). Es schult "grüne Botschafter" und hat sein Festivalzentrum, das Haus der Berliner Festspiele, mit Deko-Teilen aus alten, "abgespielten" Bühnenbildern bestückt. Auch der Preispokal, den die Ensembles der zehn nach Berlin geladenen "bemerkenswerten Inszenierungen" bis zum 22. Mai als Auszeichnung erhalten, ist nicht etwa aus glänzendem Gold, sondern nachhaltig und einpflanzbar. Die Künstlerin Eva Veronica Born hat ihn entworfen: einen Pokal aus gepresster Erde, die Samen verschiedener Pflanzen enthält. Die Ensembles sollen ihn eingraben, auf dass daraus Blumen, Sträucher und Bäumchen erwachsen. Aus dem "einen" werde eine "neue Vielfalt". Wenn das nicht ersprießlich ist! Christine Dössel

Kunstbuch: Schau genau!

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(Foto: E.A. Seemann Verlag)

"Der liebe Gott steckt im Detail", sagte der Kunsthistoriker Aby Warburg einmal, und tatsächlich macht Kunst oft erst dann so richtig Spaß, wenn man sich auf die Einzelheiten einlässt: Wie ist diese Gürtelschnalle auf einem Bildnis geformt, wie schmal muss der Pinsel gewesen sein, der jenen Hundepelz so haarfein malte? Die Amsterdamer Autorin Wieteke van Zeil, Kolumnistin bei de Volkskrant, streift durch Altmeistermuseen und sucht überraschende Details: einen Blutspritzer auf einem Hemd, ein Stück Hartkäse, einen Kerzenstummel. Ihre Funde hat sie versammelt in dem schönen Band "Sieh hin! Ein offener Blick auf die Kunst" (E.A. Seemann Verlag, Leipzig 2022, 26 Euro). Es ist ein Lob des Sehens, bekräftigt durch aufschlussreiche Interviews mit Profi-Hinschauern wie einem Polizisten, einem Fluglotsen und einer Genetikerin. Kia Vahland

Konzertreihe: Vogelfrei

Favoriten der Woche: Gestatten, der Drosselrohrsänger.

Gestatten, der Drosselrohrsänger.

(Foto: M. Kuehn/imago images/blickwinkel)

Konzerte beginnen in der Regel mit Musik und enden mit Musik, Beifall folgt. In der Berliner Philharmonie fing nun eines ganz anders an - mit einer 20-Minuten-Rede über "What Birds Sing", was Vögel singen. Folgend die Pause, dann erst Musik. Nicht gerichtet an die Abonnenten der Beethoven-Brahms-Connection, mehr an die jüngere Zuhörerschaft, die sich vor vier provokanten Orchesterwerken des 20. Jahrhunderts nicht wegduckt. Keiner der mindestens fünf großen Berliner Klangkörper war auf die Konzertidee gekommen, vielmehr eine Institution, Kürzelname CLSX (Classix), deren Erfinder (Karsten Witt) fest damit rechnet, dass ein Publikum herangewachsen ist "mit einer großen Spannweite an musikalischen Interessen und einer zunehmenden Neugier und Offenheit für neue Veranstaltungsformen". Weg von den ewigen Standardprogrammen der Klassik, hin zum Fremden, vielleicht Bizarren.

Der Jazzklarinettist David Rothenberg, Professor für Philosophie und Musik am New Jersey Institute of Technology, betritt das leere Podium der Philharmonie und redet über die vertraute, immer graziös fremdartige Musik der Vögel. Der Bezug zum später aufgeführten Stück ist schlagend: "Réveil des oiseaux" des großen französischen Komponisten und Ornithologen Olivier Messiaen. Der hat sein Leben lang den Vogelgesang erforscht, notiert. Sein Konzert für Klavier (Pierre-Laurent Aimard) und Orchester (HR-Sinfonieorchester Frankfurt, Brad Lubman) dolmetscht, sublimiert das Getriller von Buchfink, Drossel und Grünspecht, Amsel und Nachtigall - Messiaen hat ihren Singsang genial in knifflige Melodien, Signale, Rhythmen, Klangfarben übersetzt: exzessiv, ausschweifend, erotisch.

"Ich verbringe viel Zeit damit, mit Tieren Musik zu machen. Manchmal mit Käfern, manchmal mit Walen, aber am häufigsten mit Vögeln", beginnt David Rothenberg die Konzertrede. Er hat mit Peter Gabriel, Jan Bang, Karl Berger musiziert, zeigt sich hingerissen von Klang und Struktur des Zwitscherns. Der Clou: Er führt die Vogelmusik medial verlangsamt vor, die Tonhöhe abgesenkt, er ruft: "Fabelhaft! Es ist wie ein Jazztrompetensolo, mit Nuancen, einem Luftpolster, sogar einem Gefühl von Swing." Er greift zur Klarinette. Wolfgang Schreiber

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