Favela-Dokumentation "Hill of Pleasures":"Wie ein stiller Krieg"

Hill of Pleasures

Eine Patrouille der Spezialeinheit UPP kontrolliert Bewohner von Morro dos Prazeres auf Waffen und Drogen - Szene aus "Hill of Pleasures".

(Foto: KeyDocs/Nofoco/VPRO)

Ein Jahr vor der Fußball-WM richten sich die Blicke auf das Gastgeberland Brasilien. Die Dokumentarfilmerin Maria Ramos hat monatelang in einer Favela von Rio gedreht, in der eine Spezialeinheit endlich Sicherheit schaffen soll. Ein Gespräch über Klischees und warum fehlende Gewalt Zuschauer irritieren kann.

Von Irene Helmes

Am 12. Juni 2014 soll in Brasilien die Fußball-WM starten, zwei Jahre später wird das Land die Olympischen Sommerspiele ausrichten. Die Vorbereitungen auf diese Großereignisse lenken größere internationale Aufmerksamkeit auf die Situation der Favelas. Die Metropole Rio de Janeiro versucht, durch Spezialeinheiten der Polizei nach und nach die berüchtigten Armenviertel unter Kontrolle zu bringen.

Die Brasilianerin Maria Ramos hat bereits zahlreiche Dokumentationen gedreht. Ihr aktueller Film "Hill of Pleasures" ist das Ergebnis monatelanger Beobachtungen in der Favela Morro do Prazeres - sie hat dafür sowohl Einwohner als auch Mitglieder der Friedens-Polizei UPP (Pacifying Police Unit) begleitet, die die bisherige Macht der Drogenbosse brechen und dabei helfen soll, neue Strukturen aufzubauen. Was sie auf die Leinwand bringt, widerspricht teils dem, was viele Zuschauer offenbar beim Thema Favela erwarten. Das zeigten auch Reaktionen des Publikums bei der Deutschlandpremiere beim Internationalen Dokumentarfilmfest in München.

SZ.de: Welchen Eindruck vom Leben in den Favelas von Rio haben Sie gewonnen?

Maria Ramos: Ich glaube, dass alle Menschen widersprüchlich sind. Auch die Menschen in den Favelas. Die üblichen Gegensätze "Gut gegen Böse" wollte ich vermeiden. So zeige ich zum Beispiel eine junge Drogendealerin auch als Tochter, als Schwester, als menschliches Wesen. Polizisten kommen genauso zu Wort. Allerdings wundern sich viele Zuschauer, dass der Film so ruhig sei und man keine Gewalt sehe - als ob sich die Leute dort zehn Stunden pro Tag gegenseitig umbringen würden.

Zuschauer beschweren sich über mangelnde Gewalt in Ihrer Dokumentation?

Sie beschweren sich nicht, aber es gibt viele Fragen. Auch danach, ob ich Gewalt versteckt hätte.

Was antworten Sie ihnen?

Dass das nicht der Fall ist. Es wäre auch gar nicht nötig gewesen, im Fall einer befriedeten Favela wie Morro dos Prazeres. Natürlich gibt es da noch Spannungen, aber die Polizei hält sie unter Kontrolle. Sicherheit wird hier wiederhergestellt. Das kann ich nicht verleugnen.

Ist das Publikum, in diesem Fall das europäische, also sensationsgierig in Bezug auf die Favelas?

Ich glaube nicht, dass das speziell am europäischen Publikum liegt. Es geht insgesamt um die Art und Weise, wie die Favelas meist dargestellt werden. Besonders in den Spielfilmen, die weltweite Erfolge geworden sind, wie "City of God" oder "Tropa de elite". Die nutzen die Gewalt und die Kriminalität für sich, es geht sehr brutal zu: Spezialeinheiten in Schwarz gegen gnadenlose Drogenhändler. Daraus sind gewisse Vorstellungen entstanden, wie Favelas und ihre Einwohner sind. Auch Reportagen in den Medien konzentrieren sich oft nur auf die Konflikte und verkürzen alles extrem. Ich verstehe also, woher die Erwartungen des Publikums kommen.

Hill of Pleasures

Ein Bewohner von Morro dos Prazeres geht seiner Arbeit als Buchhändler nach - Szene aus "Hill of Pleasures".

(Foto: KeyDocs/Nofoco/VPRO)

Sehen Sie Ihren Film als eine Art Gegendarstellung?

Nein, aber ich will Klischees auseinandernehmen. Diesen Unsinn, den wir alle im Kopf haben - sei es in Europa oder in der brasilianischen Mittelschicht. 90 Prozent der Menschen, die in den Favelas wohnen, sind Arbeiter. Die Leute haben Jobs, sie essen zu Mittag, spielen mit ihren Kindern, die Kinder gehen zur Schule. Selbst in den Favelas, die noch nicht befriedet sind. Und zugleich haben manche ab und zu Probleme und gewaltsame Konflikte. Ja, Menschen werden getötet und Dinge geraten außer Kontrolle, aber nicht ständig und jeden Tag!

„Es ist auch eine PR-Anstrengung“

Ihr Filmplakat zeigt einen Jungen, der eine Pistole auf die Stadt richtet, erst beim genaueren Hinsehen ist sie als Papierpistole zu erkennen.

Das war einfach die beeindruckendste Aufnahme des Films - der Junge auf dem Berg über Rio, im Spiel mit der Waffe. Der Film handelt dann davon, diese Situation zu beenden.

Spielen Sie mit einem solchen Plakat aber nicht auch selbst mit genau den Erwartungen der Zuschauer, die Sie kritisieren?

Ich glaube nicht. Ich denke, Zuschauer würden in jedem Fall bei diesem Thema einen Film voller Gewalt vermuten.

Hill of Pleasures

Ein Junge zielt mit einer Papierwaffe auf Rio de Janeiro - das Plakatmotiv von "Hill of Pleasures".

(Foto: KeyDocs/Nofoco/VPRO)

Obwohl Fußball-Weltmeisterschaft und Olympische Spiele die internationale Aufmerksamkeit nun verstärkt auch auf das Favela-Problem im Gastgeberland lenken, werden diese Großereignisse in Ihrem Film nicht thematisiert. Warum?

Es ist schon möglich, dass diese anstehenden Ereignisse eine Rolle für die Motivation zur Befriedung der Favelas von Rio spielen. Ich halte aber eine andere Erklärung für viel sinnvoller. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in Brasilien werden die Favela-Bewohner zu einer Art potenzieller Mittelklasse. Natürlich wollen nun Firmen Zugang zu diesen Kunden der Zukunft, um ihre Produkte zu verkaufen - Strom, Handys, Pay-TV zum Beispiel. Außerdem haben Häuser in der Nähe von Favelas stark an Wert verloren. Schließlich liegt in Rio wegen der Hügel alles sehr nah beieinander. Letztlich war die neue Strategie wohl eine Idee von Menschen mit Geld und Einfluss, die sagten: Wir verlieren durch die herrschenden Zustände Geld und das muss aufhören. All das wird aber viel Zeit brauchen: Es ist absolut unmöglich, bis zur Weltmeisterschaft Sicherheit in alle Favelas von Rio zu bringen. Es gibt 400 davon - bislang sind nur 40 unter Kontrolle.

Was ist also realistisch?

Es ist unmöglich, den Drogenhandel abzuschaffen. Aber die Bosse verlieren durch die Friedens-Polizei sehr viel Einfluss. Das Hauptziel der Strategie ist es, Sicherheit und Bürgerrechte für die Bewohner herzustellen und ihnen ein normales Leben zu ermöglichen.

Es gibt unterschiedliche Berichte über die Entwicklungen in Rio. Nachdem Sie so viel Zeit in Morro dos Prazeres verbracht haben: Glauben Sie, dass die aktuelle Strategie funktionieren kann?

Das weiß ich nicht - aber falls es überhaupt funktionieren kann, dann so. Durch die Herstellung von Sicherheit gibt es für die Regierung und die Behörden keine Entschuldigungen mehr, sich nicht um die Favelas zu kümmern. Gleichzeitig wecken sie damit aber Hoffnungen und Erwartungen bei den Bewohnern, die sie nicht enttäuschen dürfen. Es bleibt aber viel Misstrauen. Es ist ein bisschen wie in Europa - wie lange hat es hier gedauert, um den Krieg zu vergessen? Um wieder miteinander auszukommen, sich zu vertrauen? Viele dieser Menschen haben sehr frische Erinnerungen an Polizeigewalt, sie haben einen Minderwertigkeitskomplex und fühlen sich wie zweitklassige Bürger. Das macht sie wütend, und so etwas hat Auswirkungen auf viele Jahre hin. Es ist immer noch wie ein stiller Krieg, und ab und zu gerät etwas außer Kontrolle.

Maria Ramos

Dokumentarfilmerin Maria Ramos

(Foto: oh)

Wie wird in Rio die verstärkte internationale Aufmerksamkeit gesehen?

Ein Grund, warum die UPP meinen Dreh unterstützt hat, war auf jeden Fall der Wunsch, ihre Arbeit publik zu machen. Ihnen ist es wichtig, dass Menschen in Brasilien und im Ausland wissen, was sie da tun und dass sich etwas bewegt. Sie machen viel Medienarbeit und das Ganze ist auch eine PR-Anstrengung.

"Hill of Pleasures" ("Morro dos Prazeres"), Brasilien/Niederlande 2012, Regie/Autor: Maria Ramos, Kamera: Guy Gonçalves, Leo Bittencourt, Ton: Felippe Mussel, Schnitt: Karen Akerman. Produktion: KeyDocs. 90 min, Vertrieb: KeyFilm.

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