Süddeutsche Zeitung

Fatih Akins Film "Gegen die Wand":Erfolg am Bosporus

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"Gegen die Wand" heißt auf Türkisch "Duvara karsi". Mit dem Titel des Berlinale-Siegers gibt es kein Problem, der wurde für den Vertrieb in der Türkei noch wörtlich übersetzt. Doch andere Dinge wurden dann doch geändert.

Von Christiane Schlötzer

Ganz anders verfuhr man bei den Untertiteln: "Ich will leben, ich will tanzen, ich will ficken", sagt die Freiheitssucherin Sibel alias Sibel Kekilli in Fatih Akins Drama - auf Deutsch.

"Yatmak istiyorum" (ich will ins Bett gehen) lesen türkische Zuschauer auf der Leinwand. "Gegen die Wand" ist in der Türkei angekommen, und es wirkt, als würde der Film erst vor türkischem Publikum "keine Wand unberührt lassen", wie es der Kritiker Ali Arif Bir im Massenblatt Hürriyet ausdrückte.

Kurz und schmerzvoll

Eine Wand, gegen die der Film anrennt, ist das Bild, das sich die Türkei-Türken von ihren Schwestern und Brüdern in Deutschland gemacht haben. Diese Wand wird kurz und schmerzvoll eingerissen. Zwar zeigt auch Fatih Akin die konservative erste Generation der Deutschland-Türken, für die der Ehemann der Tochter nur eine Eigenschaft haben muss, er muss Türke sein.

Aber Zufalls-Ehemann Cahit (Birol Ünel) ist ein Wesen, dessen selbstzerstörerische Energie nichts mehr mit dem als Konfliktstoff so beliebten Zwiespalt zu tun hat, der aus dem Leben zwischen kulturellen Identitäten geboren wird. "Es wird der Normalfall sein, mit mehreren Kulturen zu leben", fand Sahin Alpay, Kommentator der konservativen Zeitung Zaman, nach dem Besuch des Films.

Diese Erkenntnis ist für viele Zuschauer in der Türkei offenbar die größte Überraschung, und es gibt nicht wenige Kritiker, die glauben, es sei höchste Zeit, dies zu registrieren, auch wenn die neue Normalität als eine Art Schock daher kommt.

Aber neben dem quasi kulturell-revolutionären Effekt treibt natürlich auch die Sensationslust das türkische Publikum ins Kino. Dessen männlicher Teil interessiere sich vor allem für die, gemessen an türkischen Vorbildern, höchst freizügigen Sex-Szenen, heißt es. Dagegen interessierten sich die Frauen vor allem für die Liebesgeschichte, und wie es aussieht, ist es vor allem ein weibliches Publikum, das den Film in der Türkei zum Erfolg macht. In der dritten Woche nach dem Kino-Start von Istanbul bis Anatolien steht "Duvara karsi" in der Türkei schon auf Platz drei.

Der Wind dreht

Groß hatten türkische Medien vor dem Filmstart über die Empörung der türkischen Eltern von Sibel Kekilli berichtet, nach der Bild-Enthüllung über deren Vergangenheit als Porno-Darstellerin. Der Vater habe sich "bei den Türken" für seine Tochter entschuldigt, schrieben die Blätter. Seit Kekilli nun in ihrer starken Rolle zu sehen ist, hat sich der Wind gedreht.

"Wirkliche Pornografie ist es, in der Vergangenheit zu wühlen", schrieb das liberale Blatt Radikal, und auch in den konservativen Medien wird die junge Frau nun als Schauspielerin gewürdigt. Auch das ist ein Schlag gegen Wände.

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Quelle:
SZ v. 23.3.2004
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