Fatih Akin:"Verdummungsfernsehen ist politisch"

Erfolgsregisseur Fatih Akin spricht über seinen neuen Film mit Moritz Bleibtreu und über Quotenfilme für Europa.

Gabriela Herpell

Fatih Akin ist auf der Durchreise in München. Er ist einer der jüngsten und erfolgreichsten Regisseure Deutschlands. Am Abend stellt er seine neue, in Venedig mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnete Komödie "Soul Kitchen" vor. Er trägt lange Haare, Dreitagebart, Kapuzenpulli, bestellt Tee aus frischer Minze, raucht nicht mehr und steht lieber an der Bar, weil er sonst den ganzen Tag sitzt: Der Mann achtet auf sich.

Fatih Akin: "Ich habe schon vielen Leuten das Herz gebrochen, weil ich ungefragt meine Meinung gesagt habe."

"Ich habe schon vielen Leuten das Herz gebrochen, weil ich ungefragt meine Meinung gesagt habe."

(Foto: Foto:)

SZ: In "Soul Kitchen" schafft es der deutsch-griechische Underdog Zino trotz widrigster Umstände, aber mit Hilfe seiner treuen Freunde, sich gegen die neoliberalen Kräfte der Immobilienmakler zu behaupten. Ist die Moral von der Geschichte: Allein kann man nichts schaffen?

Fatih Akin: Es ist eine Moral des Films: Dass man gemeinsam stärker ist.

SZ: Können Freundschaften für Sie genauso bindend sein wie Familie? Es heißt ja, dass Freunde das sinkende Schiff verlassen, die Familie aber bleibt bis zuletzt.

Akin: Das sehe ich anders. Ganz enge Freundschaften können so bindend sein wie Familie.

SZ: Im Film ist es aber so, dass Zinos Bruder, gespielt von Moritz Bleibtreu, ihn so hängen lässt, wie man einen Menschen nur hängen lassen kann. Und Zino vergibt ihm. Weil man so etwas doch nur innerhalb der Familie vergeben kann?

Akin: Ich habe die Erfahrung, dass jemand meinen Laden verspielt hat, noch nie gemacht. Weder mit meinem Bruder noch mit meinem Freund. Mein Bruder ist mein Bruder. Wir sind so erzogen worden, dass wir uns über kurz oder lang alles verzeihen würden.

SZ: Und ehrlich: Würden Sie Adam Bousdoukos, Ihrem besten Freund, verzeihen, wenn er Ihren Laden verspielte?

Akin: Ob ich ihm das vergeben würde? Ja! Er würde mir auch vergeben.

SZ: Verbindet Sie beide eine Männerfreundschaft, wie man sich eine Männerfreundschaft so vorstellt?

Akin: Wie stellt man sich eine Männerfreundschaft denn so vor?

SZ: Eine wortkarge Beziehung. Man gehört irgendwie zusammen, geht füreinander durch dick und dünn, aber der eine mischt sich nicht ungefragt in die Angelegenheiten des anderen ein.

Akin: Sie wollen sagen, dass Frauen in ihren Freundschaften reden, Männer aber nicht. Dann habe ich weibliche Männerfreundschaften. Wenn ich die Gespräche nicht hätte, die ich mit meinen Freunden habe, müsste ich in eine Gesprächstherapie gehen.

SZ: Warum das?

Akin: Wie ich mir eine gute Therapie vorstelle, redet man da über seine Probleme und versucht zu erkennen, wo sie ihren Ursprung haben. So ungefähr ist die Beziehung zu meinen Freunden.

SZ: Würden Sie Ihren Freunden ungefragt Ihre Meinung sagen, auch wenn sie nicht bequem ist?

Akin: Ich habe schon vielen Leuten das Herz gebrochen, weil ich ungefragt meine Meinung gesagt habe.

SZ: Das Herz gebrochen gleich?

Akin: Ehrlichkeit kann sehr weh tun. Manchmal bin ich auch zu unsensibel. Mal habe ich das Gefühl, ich müsste jetzt all das sagen, was ich denke, und dann gibt es Momente, da traue ich mich wieder nicht, die volle Wahrheit zu sagen, um die Person nicht zu verletzen. Was aber auch nicht richtig ist. Was richtig ist, habe ich noch nicht herausgefunden.

SZ: Würden Sie sagen, dass Sie ein Menschenfreund sind?

Akin: Ich habe sehr viel Liebe von meinen Eltern mitbekommen. Meine Frau kommt aus einem ähnlichen Haushalt, wo sie auch sehr viel Liebe mitbekommen hat. Vielleicht haben wir beide auch zu viel mitbekommen. Und das geben wir so weiter, an unsere Freunde, an unsere Familie, an unser Kind. Ob wir wollen oder nicht.

SZ: Wie kann Liebe zu viel sein?

Akin: Liebe kann einen auch erdrücken. Wenn man jemanden liebt, heißt das ja nicht automatisch, dass man alles richtig macht. Nur weil ich meinen Sohn liebe, bin ich nicht ein guter Vater.

SZ: Liebe ist aber eine ganz gute Voraussetzung dafür, ein guter Vater zu sein.

Akin: Das ist sicher eine gute Voraussetzung, ja.

Lesen Sie auf Seite 2, ob Akin ein Romantiker ist.

Unverbesserliche Romantiker

SZ: Im Film "Crossing the Bridge" trägt eine Braut auf ihrer Hochzeit Schwarz, weil sie sich von ihrer Familie trennen muss und deshalb trauert.

Fatih Akin

2004 erhiehlt Fatih Akin den Deutschen Filmpreis für "Gegen die Wand".

(Foto: Foto: dpa)

Akin: Ja, das ist interessant, oder? Die Zigeuner heiraten in Schwarz. Das wusste ich auch bis dahin nicht. Verkehrte Welt. Finde ich ja viel schicker als Weiß. So schön "gothic".

SZ: Sind Sie am Ende ein Romantiker?

Akin: Ja. Absolut. Das muss ich sein in meinem Beruf, so wie ich ihn verstehe. So wie ich das Kino erleben möchte und erleben lassen möchte. Und ich glaube, die Romantik ist nicht nur in der Kultur zu finden, es gibt durchaus Schnittmengen mit der Realität.

SZ: Romantik ist die Lust am Untergang, hat uns mal ein Lehrer beigebracht.

Akin: Der Weltschmerz, ja. Interessant ist, dass sich die Romantik des Westens mit der des Orients deckt. Die Türken leiden auch sehr gern. Sie leiden mehr, als sie genießen. Oder sie genießen es, zu leiden. Das nennt man "kara sevda", die schwarze Liebe: "kara" ist dunkel oder schwarz und "sevda" heißt Liebe. Wenn die Liebe schmerzt.

SZ: Das ist keine türkische Spezialität. Das gibt es bei uns auch.

Akin: Eben, schon bei Goethe: "Die Leiden des jungen Werthers". Genau das ist mit "kara sevda" gemeint.

SZ: Dann ist die schwarze Liebe die unerwiderte Liebe?

Akin: In der Türkei ist die Liebesheirat ein sehr junges Thema, es gibt sie erst seit fünfzig Jahren, wenn überhaupt. Und wenn man jemanden heiraten musste, verliebte man sich gern in einen anderen. Die nicht gelebte Liebe währt ewig, bleibt riesig. Hat ja auch was.

SZ: Die Männer in Ihren Filmen sind häufig unverbesserliche Romantiker: maßlos, kleinkriminell, kompromisslos, provokant. Und selbstzerstörerisch.

Akin: Das ist romantisch? Ja, wahrscheinlich stimmt das. Das kommt von mir. Vieles, was in meinen Filmen über Geschlechterrollen zum Ausdruck kommt, hat mit meiner eigenen Auffassung von Geschlechterrollen zu tun.

SZ: Einer Ihrer Lieblinge, Birol Ünel, verkörpert in "Gegen die Wand" einen gnadenlosen Alkoholiker und in "Soul Kitchen" einen größenwahnsinnigen Koch.

Akin: Er ist mein Enfant terrible.

SZ: Er provoziert. Ist Provokation eine Ausdrucksform, die Ihnen liegt?

Akin: Ich bin nicht jemand, der provoziert. Aber ich mag Leute, die provozieren. Vielleicht, weil ich mich selbst nicht traue. Deswegen habe ich Sehnsucht nach solchen Leuten. Birol verkörpert viele Dinge, die ich nicht bin, von denen ich manchmal aber gern was hätte.

SZ: Finden Sie die Verweigerung von Normen sexy?

Akin: Ich finde es mutig. Ab einem gewissen Alkoholpegel ist es natürlich nicht mehr Mut, sondern Unfähigkeit, die Normen einzuhalten. Aber im Kern ist es immer berechtigt, Normen mal in Frage zu stellen, auf die eine oder die andere Art. Ich bin viel zu liebevoll und brav erzogen, um so mit Normen umzugehen. Ich hab' immer eins auf den Deckel bekommen, wenn ich zu laut wurde. Oder wenn ich mich geweigert habe. Weil wir auch nur zu zweit waren zu Hause: mein Bruder und ich. Birol hatte da mehr Glück, seine Familie war ein unübersichtlicher Haufen, da konnte man leichter aus der Reihe tanzen als in meinem Elternhaus.

SZ: Das kann man auch von zwei Seiten sehen. Vielleicht hat er etwas weniger Liebe mitbekommen.

Akin: Das kann man von zwei Seiten sehen, sicher. Aber er konnte sich eben freier bewegen. Und jetzt ist er ein Punker. Ein Troublemaker.

SZ: Und Sie finden ihn toll. Ihre Kamera liebt ihn jedenfalls.

Akin: Er bringt das meiste mit. Und in dem, was er mitbringt, kann ich dann herummalen. Wie in einem Aquarell, das noch nicht trocken ist. So ist bei mir die Zusammenarbeit mit den Schauspielern meistens. Sie bringen sich mit und ich arbeite mit dem, was sie anbieten.

SZ: Ist die Faszination für den ewigen Rebellen nicht irgendwann überholt?

Akin: Vielleicht. Aber ich muss meine jugendliche Sehnsucht und meine übergroße Identifikation mit Jungs wie James Dean, Marlon Brando, Mickey Rourke und Klaus Kinski erst mal ausleben.

SZ: An Mickey Rourke allerdings sieht man ganz gut, wohin das auch führen kann. Das war ja nicht mehr so sexy.

Akin: Aber er hat's überlebt. Und ich kann seinen Absturz nachvollziehen. Das ist keine einfache Branche. Wenn man etwas labiler ist, nicht so viel Glück oder nicht so gute Leute um sich herum hat, kann das passieren. Ich habe vollstes Verständnis für Exzesse und Abstürze. Und ich meine nicht Mitleid, ich meine Verständnis. Das kann mir genauso passieren.

Lesen Sie auf Seite 3, wie Fatih Akin zu seiner türkischen Herkunft steht.

Helden der Jugend

SZ: Was macht die Branche so schwierig?

Akin: So einer wie Mickey Rourke hat sich offenbart. Um großartiger zu wirken in seiner Darstellung, hat er mit seiner eigenen Seele gearbeitet. Er hat sie offen zur Schau getragen. Da konnten die Leute rein und raus und sich mitnehmen, was sie brauchten. Bis nichts mehr da war. Oder nur noch ein Rest, der nicht reicht, um heil rauszukommen aus dem Zirkus, in dem man es mit so großen Egos zu tun hat.

SZ: War Kurt Cobain auch einer der Helden Ihrer Jugend?

Akin: Bei Cobain ist es etwas anderes. Natürlich mag ich Cobain als Musiker und als schwarzen Romantiker in seinen Texten. Aber mit 27 Jahren das Handtuch zu schmeißen, dazu gehört mehr: eine kräftige Depression. Damit kann ich mich nicht so gut identifizieren.

SZ: Können Sie sich mit Männern identifizieren, die allein an der Bar sitzen und Whisky trinken?

Akin: Ich kann mich mit der Einsamkeit dieser Männer identifizieren. Mit dem Trinken nicht so. Das Trinken ist ein Bild der Selbstzerstörung und Sucht.

SZ: Ist so ein Bild auch denkbar bei türkischen Männern?

Akin: Absolut. Die Einsamkeit spielt eine große Rolle bei türkischen Männern. Die Einsamkeit des Mannes: ein universelles Bild. Das muss damit zu tun haben, dass der Mann auf die Jagd ging und allein mit der Gefahr fertig werden musste.

SZ: Warum mag man als Mann dies Bild der Einsamkeit heute noch?

Akin: Ich glaube, das hat etwas mit eingebildeter Freiheit zu tun. Aber man sieht mittlerweile auch oft Frauen, die allein an der Bar trinken. In "Barfly" beispielsweise wird diese Frau von Faye Dunaway gespielt. Andreas Dresen hat ein ähnliches Bild entworfen, von zwei Frauen, die trinken, in "Sommer vorm Balkon". Diese Frauen lösen in mir aus, dass ich mich gern zu ihnen stellen und mit ihnen trinken würde. Ich würde mich gern um sie kümmern.

SZ: Wollen Sie sie retten?

Akin: Mit einer meiner ersten Freundinnen - wir waren achtzehn oder neunzehn - war ich ein halbes Jahr zusammen, dann haben wir uns getrennt. Nach ein paar Jahren ist sie gestorben. Sie hatte eine kaputte Leber. Sie hatte aber kein Alkoholproblem. Sie wusste nur nicht, dass sie gar keinen Alkohol hätte trinken dürfen. Und dann hat sie sich tot getrunken. Seitdem hat das so einen Haken bei mir, wenn Frauen trinken. Ich habe immer Angst, sie könnten sich etwas antun dadurch.

SZ: Der Retterinstinkt. Auch so etwas Romantisches.

Akin: Ja, das Rettersyndrom. Ich kenne das auch von jüngeren Mädchen, die mit Junkies zusammen sind.

SZ: Warum müssen sie so jung sein?

Akin: Wenn sie älter werden, wissen sie, dass diese Menschen sich nur selber retten können.

SZ: Sie sagen, Sie trauen sich nicht zu provozieren. Muss Kunst nicht provozieren, um etwas auszurichten?

Akin: Ich glaube nicht, dass Kunst provozieren muss. Ich habe nichts gegen ein bisschen Provokation. Aber Unterhaltung ist auch Kunst. Das reicht eigentlich.

SZ: Sind Ihre Filme politisch?

Akin: Alles ist politisch.

SZ: "Selbst ist die Braut" mit Sandra Bullock ist nicht politisch.

Akin: Alles ist insofern politisch, dass es der Unterhaltungsindustrie dient. Verdummungsfernsehen ist politisch. Ich glaube, dass die Leute zugedröhnt werden, damit sie sich nicht auseinandersetzen und keine kritischen Fragen stellen.

SZ: Das hat etwas von einer Verschwörungstheorie.

Akin: Das stimmt. Ich wünsche mir Quotenfilme für Europa: Bestimmte Länder müssten bestimmte Filme spielen. Und wenn sie nicht gut besucht wären, müssten sie trotzdem gezeigt werden. Das ist natürlich viel zu radikal für so eine neoliberale Welt, viel zu sozialistisch gedacht. Ich weiß, dass ich hören würde: "Geh doch zu Gysi, Mann." Aber wenn man sich die letzten zwanzig, dreißig Jahre Kulturschaffen in Deutschland anguckt, hat man es doch mit einer unwahrscheinlich großen Verwahrlosung zu tun. Ich bin in einer Fernsehkultur groß geworden, in der die Filme auf jeden Fall zu Ende geguckt wurden. Da wurde nicht herumgezappt, die Abspänne liefen noch ganz, keine Werbepausen. Man konnte, man musste sich wirklich auf einen Film einlassen.

SZ: Es gab auch noch eine nette junge Dame, die einem erklärte, warum beispielsweise die Hochzeitsszene in Michael Ciminos "Die durch die Hölle gehen" so lang ist.

Akin: Exakt. Als ich zwölf oder dreizehn war, musste ich "Mein Essen mit André" gucken. Meine Eltern waren weg, ich konnte also heimlich Spätprogramm gucken, ohne dass jemand mit mir schimpfte, und es lief nichts anderes als "Mein Essen mit André". Bevor ich also gar nichts geguckt habe, habe ich "Mein Essen mit André" geguckt. Verstanden habe ich nichts, aber es war okay. Wie kamen wir jetzt darauf?

SZ: Über die Frage, ob Ihre Filme politisch sind.

Akin: Ah, ja, um das nochmal zu unterstreichen, auch wenn ich dann als Verschwörungstheoretiker gelte: Die pervertierte, kalkulierte Form der Volksverdummung erleben wir bei Berlusconi in Italien. Und wir müssen auch verdammt gut aufpassen, wenn Roland Koch bei uns schon über die Chefredaktion eines Fernsehsenders entscheiden darf.

SZ: Würden Sie die Welt gern verändern?

Akin: Ja klar. Ich möchte die Leute so prägen, wie mich "Mississippi Burning" geprägt hat. Ich fand als Kind Krieg gut, wie viele Kinder. Ich habe Kriegsschiffe und Kriegsflugzeuge zusammengebaut, von Revell, 350 Teile, die man kleben und pinseln musste. Dann lief "Top Gun", und obwohl ich den Film gar nicht so toll fand, wollten damals alle Jungen sein wie Tom Cruise, weil alle Mädchen verknallt waren in Tom Cruise. Ich wollte auch sein wie Cruise. Doch dann, als ich so fünfzehn, sechzehn war, kamen andere Filme: "Mississippi Burning" von Alan Parker über Rassismus, "Born on the Fourth of July", wieder mit Tom Cruise, aber ein Anti-Kriegs-Film, "Missing" von Costas Gravras. Politische Filme. Die haben mein gesamtes Weltbild und meinen Gerechtigkeitssinn verändert.

SZ: Also möchten Sie die Welt im großen Stil verändern?

Akin: Ich weiß nicht, ob meine Filme die Welt verändern. Aber ich habe den Türken in der Türkei durch "Gegen die Wand" zeigen können, wie die Türken in Deutschland leben. Und ich glaube, ich konnte in Filmen wie "Auf der anderen Seite" und "Crossing the Bridge" den westlichen Zuschauern ein Türkeibild zeigen.

SZ: In Ihren Filmen gehen die Leute immer in die Türkei zurück? Ist das Ihre Sehnsucht.

Akin: Eigentlich ist die Türkei für mich nur ein Bild, ein Symbol für Freiheit. So benutze ich die Türkei in meinen Filmen. In der Realität ist es natürlich ganz anders, sonst würde ich da längst leben.

SZ: Haben Sie Ihre türkische Herkunft immer als Vorteil empfunden? Weil Sie sich in eine andere Welt retten konnten?

Akin: Ich habe sie immer als Parallelwelt begriffen, ja. Als Matrix. Ich bin mit meinen Eltern jedes Jahr in den Sommerferien in die Türkei gefahren, und '94, als ich Abitur gemacht habe, bin ich ein bisschen länger geblieben. Da war ich mal nicht nur an den Urlaubsorten, habe nicht nur mit Deutschtürken herumgehangen und mich auf Deutsch unterhalten. Da war ich auf einmal in Istanbul, bin ausgegangen und habe festgestellt, dass die Leute in meinem Alter in den gleichen Klamotten herumrannten wie ich, lange Haare hatten, tätowiert und gepierct waren. Das hat mich alles neugierig gemacht, und dann habe ich mit jedem Film die Türkei mehr und mehr entdeckt.

SZ: Gibt es so etwas wie türkischen Humor?

Akin: Ja.

SZ: Kann man den erklären?

Akin: Können Sie eine Art von Humor erklären?

SZ: Den englischen vielleicht. Oder das, worauf er basiert: Dass ein Engländer, der auf die Schnauze fällt, gleich wieder aufsteht, sich den Staub aus den Kleidern klopft und weitermacht. Ein Deutscher bleibt liegen und jammert.

Akin: Der türkische Humor ist: Wenn einer eine Niederlage erlebt, dann versucht er das so herumzudrehen, dass es wie ein Sieg aussieht.

Fatih Akin, 36, wächst als Kind türkischer Einwanderer in Hamburg-Altona auf, sein Vater arbeitet in einer Reinigungsfirma für Teppiche, die Mutter als Grundschullehrerin. Nach dem Abitur 1994 studiert Akin an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste, 1998 läuft sein erster Kinofilm: Das Kleingangsterdrama "Kurz und schmerzlos" erzählt unsentimental und stimmig die Geschichte eines Türken, eines Serben und eines Griechen in Hamburg. Für "Gegen die Wand" (2004) und "Auf der anderen Seite" (2007) gewann er jeweils den Deutschen Filmpreis für den besten Film. Fatih Akin ist mit einer Deutsch-Mexikanerin verheiratet. Das Paar lebt mit einem Sohn in Hamburg. "Soul Kitchen" läuft am 25. Dezember an.

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