Süddeutsche Zeitung

Fantasy:Murkelei auf schwarzer Tür

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Zwei Kinder geraten in eine fremde Welt, in der die hinterlistigen Spitzzahntrolle sie festhalten wollen.

Von Carola Zinner

Merle weiß auf den ersten Blick, was sie von Gesine Wolkenstein zu halten hat: knotige Hände, schmale Lippen, dazu diese Augen, mal grün, mal schwarz, mal bernsteingelb - die Frau ist eindeutig eine Hexe. Schlimm genug, dass Mama auf eine "Nachtfrau" für die Kinder bestand, wenn sie selbst im Krankenhaus Nachtdienst hat. Dass sie den Job aber auch noch ausgerechnet Frau Wolkenstein übertragen hat, der Inhaberin eines schwarzen Ladens, der, wie es heißt, Kinder verschluckt, ist wirklich eine Katastrophe. Ach, wäre doch nur Papa da - er hätte so etwas nie zugelassen. Doch die einzige Verbindung zu ihm ist der Weltempfänger, den er vor seinem Weggehen Merle und ihrem jüngeren Bruder Moritz schenkte, ein kleines batteriebetriebenes Radio, aus dem nun nachts Papas Stimme kommt und die beiden in ihre Träume begleitet. Und natürlich bleiben ihnen auch noch die Erinnerungen an die wunderbaren Geschichten, die Papa immer erzählte - die "Geschichten aus der Murkelei".

Ausgerechnet in der ersten Nacht nun, in der Frau Wolkenstein Mama vertritt, taucht plötzlich dieses Wort "Murkelei" wieder auf: Es steht auf einer schwarzen Tür im Kinderzimmer, die nie zuvor da war. Die Kinder öffnen sie und landen prompt in der Murkelei, einem Land, in dem, wie eine Frauenstimme am Eingang verkündet, "jeder findet, was er sucht". Allerdings tummeln sich dort auch ein paar unangenehme Gestalten. Die Spitzzahntrolle etwa, die ganz offensichtlich nicht viel halten von Kindern, Merle und Moritz aber trotzdem unbedingt mit Süßigkeiten verwöhnen wollen. Und schon stecken die beiden mitten in einem gefährlichen Abenteuer, aus dem sie es nur mit Müh und Not wieder nach Hause schaffen. Blöd nur, dass dabei der Weltempfänger in der Murkelei zurückbleibt. So müssen sich die beiden noch einmal auf den Weg machen. Wie aber kommt es, dass Frau Wolkenstein davon weiß? Und was ist von den schriftlichen Ratschlägen zu halten, die sie Merle mit auf den Weg gibt?

Mit "Frau Wolle" bekräftigt Jutta Richter wieder einmal ihren Ruf als eine der besten deutschen Kinderbuchautoren. Mit sicherem Gespür wandert sie auf dem schmalen Grat zwischen Abenteuergeschichte und Sehnsuchtsfantasie rund um einen abwesenden Vater, der seine Kinder zurückgelassen hat in einer Welt der Frauen. Die Erinnerung an seine Stimme, die Sehnsucht nach ihr ist es, die die beiden in ein ebenso wunderbares wie gefährliches Märchenland führt (der Name Murkelei ist, wie die Autorin im Nachwort ausführt, den Kindergeschichten von Hans Fallada entlehnt), dessen Geheimnisse bis zum Schluss nicht restlos aufgeklärt sind. Dürfen sie auch gar nicht - schließlich heißt es ja am Ende des Buches "Fortsetzung folgt". Man kann nur hoffen, dass auch darin wieder Günter Mattei für die Illustrationen sorgt, der hier mit dem ihm eigenen feinem Federstrich und leuchtenden Farben fast schon wieder eine eigene kleine Geschichte erzählt. Und damit das Buch endgültig zu einem kleinen Kunstwerk macht. (ab 9 Jahre)

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Quelle:
SZ vom 09.10.2018
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