Fantasy:Gesang der Hornmuschel

Fantasy: Gregor Wolf: Die abenteuerliche Reise des Leopold Morsch. Ueberreuter Verlag, Berlin 2019. 318 Seiten, 14,90 Euro.

Gregor Wolf: Die abenteuerliche Reise des Leopold Morsch. Ueberreuter Verlag, Berlin 2019. 318 Seiten, 14,90 Euro.

In dieser Abenteuergeschichte nach dem Motto: Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um, geraten ein Einsiedler und sein Freund, ein wandelnder Baum, in fantastische Situationen.

Von Siggi Seuss

In diesem Augenblick möchte man verweilen, in einem wilden Garten voller Apfelbäume, Rosenbüsche, Himbeersträucher und Lavendel. Inmitten dicht bewaldeter Hügel in einem kleinen Tal. Dort, wo man auf seiner Bank vor dem Häuschen sitzt, den Vögeln lauscht und den Mauerflechten beim Wachsen zusieht. Wo sind wir? Etwa bei Spitzwegs pfeifeschmauchendem Klausner, der von seiner Idylle aus aufs Land schaut und am Horizont bedrohliche Rauchschwaden entdeckt? Oder bei den freundlichen Hobbits mit Blick auf die sanften Hügel des Auenlandes? So beginnen viele Geschichten aus Fantasien - bis unerwartet von außen eine Gefahr für Leib und Leben droht oder eine innere Stimme flüstert: "Mach dich auf den Weg! Es gibt noch ein Leben jenseits des Tales." Oder eine Mission. Eine Mission, wie jene des genügsamen Einsiedlers mittleren Alters, von dem Gregor Wolf in seinem Roman "Die abenteuerliche Reise des Leopold Morsch" erzählt. Selbst Leser, die sich nicht ständig durch Fantasielandschaften bewegen, schließen sich voller Neugierde diesem sympathischen Herr und seinen beiden Weggefährten an und ziehen gemeinsam mit ihnen durch wilde Landschaften, um einem Geheimnis auf die Spur zu kommen, von dem der rätselhafte Gesang aus dem Inneren einer Hornmuschel kündet. Die drei schlagen sich durch finstere Wälder, begegnen dunklen Gestalten, überqueren den Einsampass, fliegen auf dem Rücken eines Drachen über unergründliche Sümpfe, begeben sich an Bord eines Piratenschiffs, landen schließlich in einem südländischen Kleinstaat, in dem nichts mehr so ist, wie es einstmals war: beschaulich, friedlich, mit selbstgenügsamen Bürgern, ohne jede Hast und Gier. Und jetzt? Herrscht ein Tyrann, der alte König ist tot, der junge Thronfolger verschleppt (und erfreulicherweise zufällig von Leopold & Co. unterwegs aus Räuberhand befreit). Ach ja, Leopolds Reisegefährten! Das sind der wandelnde, weise Baum Hainwart und ein wackliger Ritter Griesbert, offenbar Don Quichottes Bruder im Geiste. Ein Problem mit der Glaubwürdigkeit? Mitnichten.

Obwohl uns alle Figuren und Szenerien bekannt vorkommen, aus Märchen, Mythen und Sagen und aus Fantasieländern, langweilt die abenteuerliche Reise in keinem Augenblick. Gregor Wolfs Meisterleistung besteht darin, bekannte Elemente von Geschichten, Charakteren, Situationen, Ereignissen und Landschaften so zusammenzufügen, dass sie ein dramaturgisch geschlossenes und eigenständiges Ganzes bilden. Der Nebeneffekt: Wir bewegen uns in vertrautem Milieu, fiebern trotzdem mit den Helden und ahnen: Wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt drin um. Was uns dabei antreibt? Hainwarts Weisheit, Leopolds Herzensgüte und Griesberts Kühnheit: "Nun dann, ins Ungewisse!" (ab 10 Jahre).

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