Süddeutsche Zeitung

Fan-Film "Bruce Springsteen & I":Haferbrei kochen, um die Nation voranzubringen

Am 22. Juli kommt der Film "Springsteen & I" in die deutschen Kinos - für genau einen Tag. Produziert hat Ridley Scott, als Material dienen Konzertmitschnitte von Fans. User generated content - jetzt auch in Ihrem Kino.

Von Joachim Hentschel

Kitty ist Ende 20, rote Haare, püppchenblasses Gesicht, was aber an der Tageszeit liegen könnte oder am Stress. Die Kamera, mit der sie sich selbst filmt, hat sie an die Windschutzscheibe ihres Lastwagens geklebt. Heute spricht sie über ihren Musikgeschmack, nicht über den Beruf. Kitty, amerikanische Truckerin, hört Bruce Springsteen, am liebsten die karge Ausfallstraßenpoesie des Albums "Nebraska", wenn sie mit dem Zehntonner über die Wüsten-Freeways staubt.

Schon nach dem Schulabschluss, erzählt Kitty, als sie in einer Frühstückskantine jobbte, um eine lästige Zeit zu überbrücken, habe sie morgens auf dem Weg zur Arbeit immer Bruce gehört. "Ich bekam dann dieses schöne Gefühl, zur hart schuftenden Bevölkerung zu gehören. Zum Rückgrat Amerikas."

Früh um drei Haferschleim kochen

Das ist eine Szene aus dem Film "Springsteen & I", einer Fan-Dokumentation, die am 22. Juli in mehr als 50 Ländern in den Kinos läuft. Aber nur für eine Vorführung. Sie macht erstaunlich greifbar, wie das eigentlich technisch funktioniert, wenn Leute sich in Songs über Dorfrebellen, Jeanshintern-Malocher und brennende Herzen wiedererkennen, die gar nicht von ihnen handeln. Weil diese Illusion auch einem ganz nüchternen, lebenspraktischen Zweck dienen kann: Früh um drei kocht sich der Haferbrei eben leichter, wenn man sich dabei einbilden kann, damit die Kulturgeschichte der Nation voranzutreiben und fortzuschreiben.

Bruce Springsteen und seine treuen Fans, das kann man ja kaum noch hören. Erst recht nicht in diesen Tagen, in denen eine Welttournee zu Ende geht, mit rund 90 Konzerten, darunter in Leipzig, Prag und New York: 350 Millionen Dollar Umsatz, mehr als drei Millionen Zuschauer.

Am stärksten sind Bruce-Fans im 40 000er-Pulk, weshalb sich Hollywood-Regisseur Ridley Scott einschaltete, der sich auch sonst für Raumschiffe und Amphitheater interessiert. "Springsteen & I" hat er produziert, das Material kam von rund 2000 Springsteen-Fans, die aufgerufen waren, von ihrer Passion zu berichten, sich dabei zu filmen und private Konzertmitschnitte einzuschicken. User generated content - jetzt auch in Ihrem Kino!

Die Leute interviewen sich gleich selbst

Weshalb "Springsteen & I" an vielen Stellen wie jene Youtube-Videos aussieht, in denen Menschen ihre privaten Regierungserklärungen abgeben. Man kann in ihre Wohnungen schauen, Kinder durchs Bild laufen sehen, immer raten, wieviel davon Cinéma vérité ist und wieviel zurechtdrapiert wurde. Das reizende Beatnik-Paar, das sich keine Tickets leisten kann und deshalb vor der Stereoanlage tanzt. Die Dänin, die auf einer Waldlichtung sinniert, wie schön es sein muss, die rothaarige Freundin des Sängers zu sein. Das Kind, das seine Anhängerschaft damit begründet, das bei Springsteen immer so schön die Halsadern hervortreten, wenn er singt.

Filmreportagen über Fans gab es zuletzt viele, "For The Love of Dolly" über Dolly-Parton-Jünger oder "The People Versus George Lucas". Begriffe wie Sozialisation und Projektion sind ja längst in den gewöhnlichen Pop- und Kinotalk eingegangen, deshalb ist es auch mittlerweile möglich, die filmerische Beweislast umzukehren.

Man schickt nicht mehr den Journalisten für eine Berichterstattung los, sondern lässt die Leute sich gleich selbst interviewen. Einige offenbaren sich sogar dabei noch als Ekel, jene Mutter etwa, die ihre Kinder im Auto zwingt, ausschließlich Springsteen zu hören. Oder der Elvis-Imitator aus Pennsylvania, der bei einer Show auf die Bühne geholt wird und sich - bei aller Demutsbekundung - dann dabei außerordentlich wichtig vorkommt.

Nach über 100 Minuten bleibt noch eine weitere Erkenntnis aus "Springsteen & I", die so vielleicht gar nicht beabsichtigt war: die Vermutung, dass das Objekt der Hingabe auch absolut austauschbar sein könnte. Wenn die Superlative immer mehr an Bedeutung verlieren, je länger sie aneinandergereiht werden, bis man sich irgendwann ernsthaft zu fragen beginnt, was für eine Musik das eigentlich ist, welche die Leute in ihren Köpfen hören, wenn sie bei Springsteen im Stadion stehen. Ob es nicht auch völlig egal sein könnte, wer da spielt, unendliche Liebe vorausgesetzt. Es ist wohl besser, wenn wir das nie erfahren.

"Springsteen & I" wird am 22.7. einmalig in über 90 deutschen Kinos gezeigt. Alle Termine auf www.springsteenandi.com.

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Quelle:
SZ vom 20.07.2013/jspe
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