Kinderbuch:Ein Java-Tiger kommt rein

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Die Gabe des Kindes, Alltägliches in Abenteuer zu verwandeln, schafft es, dass der ausgestopfte Java-Tiger in die Schulklasse kommt.

Von Ines Galling

Deef, der Erzähler in Joke van Leeuwens neuem Buch, hat die Gabe, Alltägliches in Abenteuer zu verwandeln. Als er in der Schule ein Referat über den ausgestorbenen Java-Tiger hält, geht die Tür auf und ein freundlicher Java-Tiger kommt herein: "Ich erkannte ihn sofort. Er kam zu mir und setzt sich neben mich. Er hat mir nichts getan. Man kann ja nichts mehr tun, wenn man ausgestorben ist." Dann bedankt sich der Tiger bei Deef, denn "vielleicht gibt es mich nicht mehr, aber wenn du von mir redest und an mich denkst, gibt es mich eigentlich schon."

"Was hatte ich von neuen Wörtern, wenn andere sie nicht kannten?

Mit seinen Erzählungen erweckt Deef nicht nur Tiger wieder zum Leben. Vielmehr zeigt er mit seinen 15 "Als ich mal-" Geschichten, dass jedes noch so unscheinbare Alltagereignis eine Wundertüte sein kann: Eine Busfahrt führt in den Urwald, ein gezeichnetes Männchen wird lebendig, und beim Sprung vom Drei-Meter-Brett steht die Königin am Beckenrand und feuert Deef an. Jede von Deefs Erzählungen ist nur wenige Seiten lang - und eröffnet einen ganzen Kosmos. Deef ist ein fantasiebegabter Kopf, ein Träumer und ein Denker, neugierig und eigensinnig. Indem er sich eine Mütze aufsetzt, ist er "jemand anders. So lief ich durch das Haus. Ich war ein Entdeckungsreisender. Entdeckungsreisende wussten nie genau, wo sie waren und was da normal war." In Deefs unvoreingenommenem Blick auf die Welt paart sich kindliche Weltsicht mit kindlicher Weisheit - und ganz nebenbei werden sprachphilosophische Fragen verhandelt: "Was hatte ich von neuen Wörtern, wenn andere sie nicht kannten? Da konnte ich genauso gut sagen: "Ich such ein Dings für wie-heißt-das-noch wenn du dich du-weißt-schon-wie fühlst."

In den Büchern der niederländischen Künstlerin geht es stets ums Ganze: Joke van Leeuwen schafft Gesamtkunstwerke aus Text, Typografie und schwarz-weißen Zeichnungen. Hier stapelt sie, mit ihrem charakteristischen, nur vordergründig ungelenken Strich, genauso tief wie sie es mit ihren Sätzen tut. Sie stellt sie einfach so in die Welt: Unprätentiös, fast harmlos wirken sie, doch dann offenbart sich ein feinsinniger Witz und man wird von ihrer Poesie und ihrem Tiefsinn verzaubert - und manchmal auch von Ernsthaftigkeit oder Melancholie aufgewühlt. Ein großes Effektfeuerwerk zündet sie nie, stattdessen beglückt sie ihre Leserinnen und Leser in "Als ich mal" mit Deefs Gespür für die kleinen, großen Dinge und ermuntert sie, es ihm gleichzutun: Hingucken, um einen anderen Blick auf und vielleicht auch hinter die Welt zu erhaschen, um zu entdecken, zu träumen und um davon zu erzählen. (ab 6 Jahre) [AUTOR_ENDE]Ines Galling

Joke van Leeuwen: Als ich mal. Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers. Gerstenberg Verlag, 2021. 95 Seiten, 13,00 Euro.

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