Fall Roman Polanski:Der lebenslängliche Makel

Die Tragweite der Tat ist umstritten - doch Roman Polanski hat Schuld auf sich geladen. Und weder sein Geständnis noch die Hilfe des Opfers werden ihn retten können.

S. Vahabzadeh

Es scheint nur zwei Positionen zu geben im Fall von Roman Polanski. Auf der einen Seite wird nach einer harten Strafe verlangt, auf der anderen ruft man "free Polanski". Für die Los Angeles Times hat das mit dem kulturellen Graben zu tun, der Hollywood trennt von dem anderen, dem einfachen Amerika.

In den USA - wie auch in Europa - haben sich, nicht sonderlich überraschend, viele aus der Filmbranche hinter Polanski gestellt: zum Beispiel Filmmogul Harvey Weinstein und Schauspielerin Whoopie Goldberg. Oder auch David Lynch, Martin Scorsese und Michael Mann, die eine Petition unterzeichnet haben.

Dem Urteil entzogen

Die Kommentare von Lesern im Internet allerdings spiegeln eine ganz andere Stimmung: Da will man Polanski vor Gericht und hart bestraft sehen. Doch ist das überhaupt möglich? Kann man seine Tat aus dem Jahr 1977 noch ahnden? Eines jedenfalls scheint sicher zu sein: Von Verjährung kann man nicht sprechen, weil Polanski sich dem Urteil damals durch Flucht entzogen hat, was nach US-Recht eine Verjährung ausschließt.

Man kommt offenbar nicht darum herum, die Tat selbst noch einmal aufzurollen, denn anders lassen sich die Rechtsfragen nicht klären. Kann das Verfahren, das die Staatsanwaltschaft von Los Angeles gegen Polanski angestrengt hat und das von Anfang an vom fragwürdigen Verhalten des ursprünglichen Richters überschattet war, überhaupt noch ein faires werden? Sind, ganz generell, die Reaktionen auf Polanskis Verhalten angemessen? Es hat eben nicht jede Straftat dieselbe Fallhöhe: Eine brutale Vergewaltigung kann anders zu beurteilen sein als Unzucht mit Minderjährigen.

Polanski hat eine Vorgeschichte, die von manchen als Entschuldigung angeführt wird. Es ist richtig, dass Polanskis Mutter in Auschwitz ermordet wurde. Und es ist richtig, dass seine schwangere Ehefrau Sharon Tate von der Manson-Bande bestialisch hingerichtet wurde. Wenn Polanski verurteilt werden würde, würde das alles bei der Strafzumessung eine Rolle spielen.

Der "Judge of the Stars"

Polanskis Opfer war 13 Jahre alt, als Polanski sie sexuell missbrauchte. Auf die Frage vor Gericht, ob sie Widerstand geleistet habe, sagte sie damals: ein wenig, aber eigentlich habe sie Angst vor ihm gehabt. Das, was damals geschah, war also kein Kavaliersdelikt. Aber es war auch kein gewalttätiger Überfall. Im Grunde spielt die Frage der Einwilligung in die sexuellen Handlungen rechtlich auch keine Rolle mehr, denn Sex mit 13-Jährigen ist in den USA auch einvernehmlich verboten.

Die Anklage, die im Jahr 1977 gegen Polanski erhoben wurde, umfasste sechs Punkte: unter anderem Vergewaltigung, Sodomie und Abgabe von Drogen an eine Minderjährige. Der Prozess erwies sich als höchst problematisch: Der Richter, ein Mann namens Laurence Rittenband - "Judge of the Stars" genannt, weil er sich immer wieder um Fälle mit Prominenten bewarb -, hatte den Vorsitz. Er skandalisierte den Fall eher, als dass er ihn im Sinne des 13-jährigen Opfers der Öffentlichkeit entzogen hätte.

Der Staatsanwalt, Polanskis Verteidiger, aber auch der Anwalt des Opfers wandten sich schließlich alle gegen den Richter. Am Ende des unerfreulichen Verfahrens einigten sich alle Seiten auf einen Deal: Roman Polanski bekannte sich der "statutory rape" für schuldig - was ungefähr der Unzucht mit Minderjährigen im deutschen Recht entspricht. Die "statutory rape" unterstellt keine Gewaltanwendung, hat also mit dem deutschen Begriff der Vergewaltigung nichts zu tun.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Polanski nach Frankreich floh.

Lebenslänglich für Täter und Opfer

Im September 1977 ordnete Rittenband, so wie es in dem Deal abgesprochen war, eine 90-tägige Beobachtung von Polanski in der Gefängnispsychiatrie in Chino in Kalifornien an, aus der Polanski nach 42 Tagen - vereinbarungsgemäß - entlassen wurde, mit dem Rat ans Gericht, keine weitere Haftstrafe zu verhängen.

Doch dann lief die Sache aus dem Ruder: Der Dokumentarfilm "Roman Polanski: Wanted and Desired" von Marina Zenovich legt dar, dass Richter Rittenband widerrechtlich den Fall mit Unbeteiligten diskutiert hatte. Er kam daraufhin zu dem Schluss, dass ein härteres Urteil populärer wäre - und ließ den Deal im Nachhinein platzen. Polanski floh nach Frankreich. Die Aussage, die der damalige Gerichtsangestellte David Wells über seine Gespräche mit Rittenband in Zenovichs Film vor der Kamera machte, hat er am Mittwoch allerdings widerrufen.

Abschluss des Verfahrens gescheitert

Seitdem haben das Opfer Samantha Geimer wie auch Polanski - gemeinsam - versucht, dieses immer noch schwebende Verfahren zu einem Abschluss zu bringen. Das scheiterte vor einigen Jahren daran, dass der inzwischen zuständige Richter - Rittenband ist vor einigen Jahren gestorben - eine Fernsehausstrahlung des Prozesses forderte. Das kam weder für das Opfer Samantha Geimer noch für Roman Polanski in Frage.

Im vergangenen Jahr wurde schließlich aufgrund des Dokumentarfilms - an dem Samantha Geimer mitgearbeitet hat, nicht aber Polanski - von Polanskis Anwälten noch einmal ein Versuch unternommen, das Verfahren niederzuschlagen. Es wurde aber Polanskis Erscheinen vor Gericht in den USA dafür verlangt. Polanski lehnte ab.

Die Mutter der 13-jährigen Samantha Geimer, die damals noch Gailey hieß, hatte 1977 Anzeige gegen den Regisseur erstattet. Sie war es allerdings, die die Fotosessions für die französische Vogue arrangiert hatte, Sessions, die in der Villa von Jack Nicholson stattfanden. Polanski war der Fotograf. Nachdem sie unter den Aufnahmen auch ein Nacktfoto ihrer Tochter fand, fragte sie sie nach den Ereignissen in der Villa. Die Details über diesen Nachmittag werden immer wieder an die Öffentlichkeit gezerrt - einmal 2003, als Polanski den Oscar für "Der Pianist" bekam und prompt Material aus dem Prozess im Internet auftauchte. Und 2009, als Zenovichs Film gezeigt wurde.

Fatale Botschaft

Die Staatsanwaltschaft Los Angeles will den Fall auch ohne Geimers Unterstützung weiter verfolgen, was schwierig, aber nicht unmöglich ist. Eine Hexenjagd auf Polanski wird dem Recht vermutlich nicht dienen. Manche könnten sogar denken, dass Samantha Geimers Leidensgeschichte eine fatale Botschaft aussenden könnte: dass sie ihn besser nie angezeigt hätte. Ihre Interessen spielen seit 32 Jahren keine Rolle. In Zenovichs Film sagt sie, so, wie die Dinge gelaufen sind, "war es lebenslänglich für uns beide".

Im Moment geht man bei der Los Angeles Times davon aus, dass es bei der Anklage wegen "statutory rape" bleibt und eine Höchststrafe von 16 Monaten in Frage käme. Ob es weitere Anklagepunkte geben könnte - beispielsweise wegen Polanskis Flucht im Jahr 1978 -, oder ob man die bestehende Anklage doch wieder verschärfen könnte, ist selbst unter amerikanischen Juristen umstritten.

Zunächst einmal werden Polanskis Verteidiger wohl versuchen, das Verfahren wegen Fehlverhaltens des Richters anzufechten. Roman Polanski hätte aber auch die Möglichkeit, sein Schuldeingeständnis von damals zurückzuziehen. Das würde aber bedeuten, dass die Staatsanwaltschaft ihrerseits wieder Anklage wegen der sechs ursprünglichen Punkte erheben könnte - und dann könnte sich auch das Strafmaß, das Polanski zu erwarten hat, drastisch erhöhen.

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