Fall Gurlitt:Uneinige Verwandtschaft

Das Kunstmuseum Bern nimmt das Erbe von Cornelius Gurlitt an. Doch Gurlitts Familie ist uneins über den letzten Willen des Mannes, über dessen geistigen Zustand noch gerätselt wird.

Von Hans Leyendecker

Cornelius Gurlitt führte eine Phantomexistenz. Er lebte in einem Mikrokosmos und sagte Dinge, auf die man nicht gefasst war - auch nach seinem Tod gibt er noch Rätsel auf.

Aufregung löste Anfang der vorigen Woche ein Gutachten aus, demzufolge der Kunsterbe an "paranoiden Wahnvorstellungen" litt, als er im Januar 2014 seinen letzten Willen abfasste. Der 81-Jährige hatte dem Kunstmuseum Bern seine umstrittene Kunstsammlung sowie Immobilien und sein übriges Vermögen vermacht.

Der Schweizer Psychiater und Jurist Helmut Hausner war in seiner 48-seitigen Expertise zu dem Schluss gekommen, dass Gurlitt angeblich an einer "schizoiden Persönlichkeitsstörung und einer wahnhaften Störung" litt und dass bei ihm die "Freiheit der Willensbildung bei der letztwilligen Verfügung" aufgehoben gewesen sei. Bei ihm hatte ein Anwalt, der einige Verwandte von Gurlitt vertritt, das Gutachten in Auftrag gegeben. Gurlitts Verwandtschaft war in dem Testament nicht berücksichtigt worden, was einige Familienangehörige stört und andere nicht.

"Der Vergangenheit des Dritten Reichs verhaftet"

Hausner, der nicht mit Gurlitt gesprochen hatte, stützte sich bei seiner Diagnose aus der Schweiz vor allem auf Dokumente und Briefe Gurlitts. Der Schweizer Psychiater hatte auch ein früheres Gutachten über Gurlitt von Ende 2013 zitiert, als er unter Betreuung gestellt wurde. Der Sohn des NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, stand da, sei "der Vergangenheit des Dritten Reichs verhaftet". Nach Hausners Einschätzung lag Gurlitts Entscheidung, seine Sammlung nach Bern zu geben, darin begründet, dass er sie vermeintlichen Nazis in Deutschland für immer entziehen wollte. Fazit: Gurlitt sei nicht testierfähig gewesen, als er im Januar dieses Jahres seinen letzten Willen unterzeichnet habe.

Am Freitagabend voriger Woche traf beim Nachlassgericht München per Fax ein Antrag von Uta Werner, 86, einer Cousine von Cornelius Gurlitt, auf Erteilung eines Teilerbscheins als so genannte hälftige Miterbin aufgrund gesetzlicher Erbfolge ein. Wenn Bern am Ende nicht zum Zuge käme, wäre aufgrund gesetzlicher Erbfolge die Verwandtschaft dran. Alle Pläne und Vereinbarungen vom Berner Kunstmuseum, von Bund und Land, zum Umgang mit dem Gurlitt-Erbe wären Makulatur. Dass sich etwas ändern wird, ist aber sehr unwahrscheinlich. Insider gehen fest davon aus, dass Bern am Ende auch den Zuschlag des Nachlassgerichts bekommen wird.

Eine "Prüfung der Wirksamkeit des Testaments findet erst statt, wenn ein Erbscheinsantrag vorliegt, der den formellen Ansprüchen genügt", teilte am Montag das Amtsgericht München mit. Noch bestehe eine Nachlasspflegschaft. Die werde erst aufgehoben, wenn die Erben feststünden.

Wohin gehört die Kunst?

Auch ist die Verwandtschaft in der Frage, wie man mit dem letzten Willen umzugehen hat, unterschiedlicher Meinung. Dietrich Gurlitt, 95, Bruder von Uta Werner und Cousin des Kunsterben, schrieb gleich nach Bekanntwerden des Gutachtens an das Kunstmuseum in Bern, er habe "mit Versuchen einiger Verwandter, den Geisteszustand von Cornelius anzuzweifeln, nichts zu tun". Er hoffe, auf "eine positive Entscheidung Berns".

Ebenso wie vier weitere Familienmitglieder, hatte er in einer Stellungnahme im Mai 2014 erklärt, man wolle dazu beitragen, dass der "letzte Wille des Verstorbenen ungehindert umgesetzt" wird: "Wir begrüßen vollumfänglich das Testament von Cornelius Gurlitt, dass das Berner Kunstmuseum zum alleinigen Erben seiner wertvollen Sammlung macht".

Eine andere Sicht auf die Bilder und den Fall hat der Großcousin Ekkeheart Gurlitt, 65, der als Fotokünstler in Barcelona lebt. Er pflegt gute Kontakte zu dem Anwalt, der das Gutachten angeregt hat, und hält Bern für "popelige Provinz", wie er der Zeitschrift Bunte sagte. Die Kunst gehöre nach Deutschland, aber nicht in die Schweiz.

War Gurlitt im Vollbesitz seiner Geisteskräfte?

Allen Verwandten ist - bis auf einen Schwager Gurlitts - gemein, dass sie den Kunsterben kaum in ihrem Leben gesehen haben. Nur seine 2011 verstorbene Schwester hatte er häufiger besucht. Er mied ansonsten die Verwandtschaft wie auch sonst die Menschen. Ekkeheart hat nach eigenen Aussagen den Großonkel einmal getroffen. Das war 1976, als sich die Familie am Grab von Martin Heidegger traf. Mehr Nähe war nicht.

War Gurlitt im Vollbesitz seiner Geisteskräfte, als er sein Testament machte? Der Notar aus Ludwigsburg, der Gurlitt kannte, hat das offenkundig so gesehen.

Dass Gurlitt der Vergangenheit des Dritten Reichs "verhaftet" war, ist aber wohl auch richtig. Es gibt eine Reihe von Briefen, die Gurlitt an Zoll und Staatsanwaltschaft schrieb, in denen er die Rolle seines Vaters im Dritten Reich aus seiner Sicht schilderte. Er hatte viel Material über die Nazis und deren Kampf gegen Entartete Kunst gesammelt. Der Sohn mochte die Nazis nicht und er war sein Leben lang Sohn.

Deutschland kam für Gurlitt nicht als Erbe in Frage

Die bayerische Regierung hatte sich einige Zeit Hoffnung gemacht, die Sammlung zu bekommen. Sogar an eine Leibrente für Gurlitt war gedacht worden. Aber Gurlitt war sauer auf die Augsburger Staatsanwaltschaft, die gegen ihn ermittelte und ihm die Bilder weggenommen hatte.

Im Mai 2012 hat er einen der vielen Bittbriefe an die Staatsanwaltschaft geschrieben: "Sehr geehrter Herr Staatsanwalt, meine Schwester ist im Vorjahr verstorben. Ich bekomme weder Pensions- noch Rentenbezüge und bin in keiner Krankenkasse. Ich darf, wenn ich in Krankenhäusern und bei Ärzten behandelt werden muss, in finanzieller Hinsicht keinen schlechten Eindruck machen". Er wolle die bei ihm ein paar Monate zuvor beschlagnahmten Kunstgegenstände zurück. Schreibt so jemand, der an einer wahnhaften Störung leidet?

Deutschland als Erbe kam für Gurlitt nicht in Frage, weil er mit dem deutschen Staat fertig war. Das berichteten Anfang des Jahres Besucher von Gurlitt. Bern wiederum kannte er gut, weil er dort ebenso wie sein Vater Geschäfte gemacht hatte und den dort ansässigen Auktionator Eberhard Kornfeld schätzte.

"Nicht wirr", aber "manchmal schon sehr schwach"

Mit seinem damaligen Anwalt Tido Park hat er über sein Testament gesprochen. "Gurlitt wusste, was er machte", meint Park. Vor einer Herzoperation im Januar 2014 in der Ludwigsburger Klinik habe Gurlitt ihm gesagt, jetzt komme der Notar, um das Testament zu machen. Er werde möglicherweise, wenn er den Eingriff überstehe, noch einmal das Testament ergänzen. Das hat er dann so gemacht und bei einem zweiten Besuch des Notars einen Passus eingefügt, damit sein Schwager, den er zwar siezte, aber offensichtlich schätzte, etwas vom Erbe abbbekam. Gurlitt sei "nicht wirr", aber "manchmal schon sehr schwach gewesen", sagt Park. Manchmal habe ihn Gurlitt gebeten, das Gespräch an einem anderen Tag fortzusetzen. Dann sei er wieder wacher gewesen.

Gurlitts damaliger Sprecher Stephan Holzinger war dabei, als Gurlitt im April eine Verfahrensvereinbarung mit dem Bund und dem Land Bayern in seiner Schwabinger Wohnung unterschrieb. "Ich habe die Geschäftigkeit von Cornelius Gurlitt nicht zu beurteilen", erklärt Holzinger, "hatte aber nicht den Eindruck, er wüsste nicht, was er da unterzeichnete".

Holzinger: Wäre "er vollkommen fit und gesund gewesen, hätte er vom Gericht keinen Betreuer zugeteilt bekommen". Holzinger ist ein ausgebuffter PR-Mann, aber findet es "schändlich", wie ein Teil der Verwandtschaft "mit Gurlitt umgeht und wie daraus PR gemacht wird".

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