Süddeutsche Zeitung

Fall Böhmermann:Böhmermann, das war wohl ein bisschen zu viel Meta

Mit seinem Erdoğan-Gedicht entlarvt Böhmermann nicht nur den türkischen Premier oder die deutsche Regierungspolitik - sondern auch das Publikum.

Von Carolin Gasteiger

Alles geht durcheinander in dieser Debatte. Im Fall Böhmermann haben sich die Grenzen dessen, worüber wir sprechen, längst verwischt. Von rassistisch-beleidigenden Klischees über Satire, von der deutsch-türkischen Flüchtlingspolitik bis hin zum Schah-Paragrafen. Selten gab es einen so vielschichtigen Diskurs, der vor allem eines bloßstellt: uns selbst. Aber der Reihe nach.

Mit seinem Erdoğan-Gedicht habe Jan Böhmermann ein Hybrid geschaffen, einen Zwitter aus Satire und Schmähkritik, erklärte der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen am Sonntagabend bei Anne Will.

Da war zunächst das Gedicht als solches, das auf niedrigstem Niveau mit platten Klischees über Erdoğan und alle Türken um sich wirft. Viele halten das berechtigterweise für rassistisch. Selbst Fans waren ratlos. Die einen meinten, das sei unter Böhmermanns Niveau, die anderen hielten ihn für einen schlechten Verlierer, hatte "Extra 3" den "Boss vom Bosporus" doch kurz zuvor schon erfolgreich vorgeführt.

Aber Böhmermanns Ansatz war ein anderer - er hob das Gedicht mit seinem immer wieder vorgebrachten "Eigentlich darf man das ja nicht sagen" auf die Metaebene, bettete es in einen größeren Kontext mit dem übergeordneten Zweck, aufzuzeigen, was Satire eigentlich darf. Und was nicht. Allein, auf diese Metaebene folgen ihm nicht alle.

Wer sich in diesen Tagen über Jan Böhmermann unterhält, merkt rasch, wer auf welcher Ebene steht. Nach dem Motto: Ist man noch bei dem Gedicht hängengeblieben oder schon eine Ebene weiter, kann man Böhmermann auf seinem Weg, das viel größere Dilemma aufzuzeigen, folgen? "Sage mir, wie du es mit Böhmermann hältst, und ich sage dir, wie du funktionierst, welche Auffassung von Satire oder Schmähkritik, von Kunstfreiheit oder Satirefreiheit dir zu eigen ist", konkretisiert Pörksen im Deutschlandfunk. Mit anderen Worten: Was für den einen Schmähungen sind, ist für die anderen Satire.

Auf diese Weise entlarvt Böhmermann nicht nur Erdoğan, um dessen Politik es ihm wohl nur am Rande ging. Nein, Böhmermann entlarvt vor allem uns selbst mit seinen Meta-Meta-Spielereien. Denn bei der Metaebene blieb es nicht.

Denn der Fall ist auch ein Beispiel dafür, wie schnell eine Empörungswelle ausgelöst wird, die kaum mehr zu stoppen ist. Nun sind wir auf der Meta-Metaebene der Causa Böhmermann. Er schaffte eben nicht nur a) ein völlig plattes Gedicht zu schreiben, das b) aber in einen höheren Kontext zu stellen, sondern c) einen sich weltweit daraus entspinnenden Diskurs zu erzeugen.

Und genau in diesem Punkt, der Meta-Metaebene, liegt der Mehrwert und Erkenntnisgewinn des ganzen Falls. Wenn wir etwas daraus ziehen können, dann das: Böhmermann führt uns vor Augen, wie wir uns in einer weltweit vernetzten Welt empören und antreiben lassen.

Jeder positioniert sich dazu

Der Diskurs gewinnt nicht nur Brisanz, weil es mit Erdoğan eine der aktuell in Deutschland umstrittensten politischen Figuren trifft. Sondern auch, weil sich auf einmal jeder dazu berufen fühlt, Haltung zu zeigen. Wie hältst du es mit Böhmermann? Feuilletonisten rufen einen "Triumph der Satire" aus; andere Künstler solidarisieren sich; Yanis Varoufakis, um den es in Böhmermanns soeben mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten #Varoufake geht, stellt sich schützend vor den Satiriker und eine Online-Petition fordert gar die Freiheit des 35-Jährigen. Auch wenn Böhmermann die womögliche Strafverfolgung nicht mit einkalkuliert haben dürfte, verselbständigt sich hier gerade eine Debatte, die aus sich heraus hochgepuscht wird. Und die uns auf erschreckende Weise selbst entlarvt.

Weil sich nicht nur jeder Privatmensch auf seiner Timeline äußert, sondern weil das Ganze auf einmal eine gesellschaftliche Relevanz erlangt. Weil sich auf einmal Stimmen wie Didi Hallervorden zu Wort melden, weil jede weitere Böhermann-Entwicklung (Staatsanwaltschaft prüft Ermittlungen, Erdoğan stellt Strafantrag) einen Nerv trifft - und zeigt, wie empfindlich wir als Gesellschaft auf dieses Thema reagieren.

Das war wohl ein bisschen zu viel des Meta. Denn die Causa Böhmermann zeigt auch, dass wir auf eben diese globalen Empörungsepidemien noch nicht vorbereitet sind. Am Ende steht eben nicht nur Böhmermann blöd da.

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