Fälschungen auf dem Kunstmarkt:Ein Jäger falscher Schätze

Der Kunstmarkt boomt - und das Geschäft mit dem Bilder-Schwindel auch. Doch es gibt einen Mann, der die Kopie vom Original zu unterscheiden versteht: Besuch bei einem künstlerisch versierten Kommissar.

Anne Haeming

Von seinem Schreibtisch aus schaut Ernst Schöller auf ein Ölporträt von Lucas Cranach. Gegenüber hängt Dunkel-Spritziges von Jackson Pollock, daneben ein Miró - eine große Pappe, übersät mit Reihen von pastosen Farbklecksen. Zu bewundern ist auch ein verschnörkelter Vollholzschrank von 1617; zumindest ist das den Intarsien zu entnehmen. Viel wertvolle Kunst auf kleinem Raum? Schöller ist weder Museumsdirektor noch ein reicher Mann, der sich leidenschaftlich dem Sammeln bedeutender Kunst verschrieben hat. Ernst Schöller ist Beamter - und die Kunstwerke sind gefälscht.

Fälschungen auf dem Kunstmarkt: Kommissar Ernst Schöller weiß, wenn geschwindelt wird: eine gefälschte Magritte-Zeichnung.

Kommissar Ernst Schöller weiß, wenn geschwindelt wird: eine gefälschte Magritte-Zeichnung.

(Foto: Foto: dpa)

Nun geht Schöller um seinen Schreibtisch herum, greift nach einem Packen Fotos und flippt sie Bild für Bild durch. Ein dunkler Lagerraum, grell angestrahlte Papierstapel, dicht an dicht. Die Fotografien sind ein wenig verblichen. Er hat sie selbst geknipst, in New York, 1992 oder 1993, so genau erinnert er sich nicht mehr. Stapel mit knapp 100000 Drucken - fünfstellige Auflagen von Picassos, Dalís und andere. Merkwürdig nur, dass in den jeweiligen Werkverzeichnissen nie mehr als allenfalls zwei Dutzend erwähnt werden. Alles Fälschungen!

Ernst Schöller ist leitender Kriminalhauptkommissar im Dezernat Kunst und Antiquitäten im baden-württembergischen Landeskriminalamt. Ein kleiner Mann in einem braunen Sakko, mit kurz geschnittenem Haar, grau meliertem, sauber gestutztem Vollbart.

Diebstahl auf Bestellung

Auch wenn man es ihm nicht ansieht: Schöller ist ein Exot in dem spröden Gebäude aus den späten 1970ern, das in einem Wohngebiet in Bad Cannstatt liegt. Im Eingangsbereich deprimieren einen niktotingelbe Wandpaneele, die weißen Backsteinwände auf den Fluren sind unverputzt, die Decken niedrig, die Farbgebung kriminalgrün.

Ernst Schöller und seine Stuttgarter Truppe gehören deutschlandweit, manche sagen: europaweit, zu den führenden Ermittlerteams. Kunstdiebstähle und Kunstfälschungen landen bei der fünfköpfigen Abteilung. Denn das ist Schöllers einzige Mission: Kunstdelikte. "Es gibt keinen Künstler, der noch nicht gefälscht worden ist", sagt er.

Ähnliche Institutionen gibt es sonst nur in München und Berlin. Aber in einer kunststrotzenden Region wie Nordrhein-Westfalen kümmert sich beim LKA niemand ausschließlich um diese Fälle. Selbst im Bundeskriminalamt läuft das eher nebenbei, in erster Linie pflege man die Datenbank, heißt es dort . "Wo keiner ist, der nach Fälschungen sucht, gibt es auch keine Delikte", bemerkt Schöller trocken.

Jetzt, nach den spektakulären Kunstdiebstählen in Zürich und Pfäffikon, wo Werke von Picasso, Cézanne und van Gogh entwendet wurden, ist Schöller überall präsent. Dem ZDF gibt er ein Interview, er taucht als Experte in Zeitungen und Hörfunk auf. "Diese Gemälde sind so bekannt, die können Sie nie mehr auf dem Kunstmarkt verkaufen", sagt er dann. "Das war entweder Diebstahl auf Bestellung - oder in ein paar Wochen meldet sich einer bei den Museen und fordert einen Finderlohn."

Ein Paar weißer Baumwollhandschuhe

Und dann betont er, dass er nur spekulieren könne. Auch als Ende 2007 das Gerücht von gefälschten russischen Gemälden durch die Kunstszene spukte, auf antik getrimmte Skulpturen bei Sotheby's und im Berliner Bode-Museum auftauchten und das Hamburger Völkerkundemuseum wegen unechter Terrakotta-Krieger Mitte Dezember gleich die ganze Schau schloss (der finanzielle Verlust dieser Entdeckungen ist kaum zu beziffern), riefen die Medien gern bei Schöller an. Der neueste Trend sind laut Schöller gefälschte Fotografien - aus der vordigitalen Ära.

Schöller macht eine Führung durch sein Büro: Der Cranach, falsch, war mit sechs anderen für 49 Millionen US-Dollar angeboten, ein Undercover-Ermittler organisierte einen Deal zur Tarnung. Die Tubenreste auf dem Karton, echt, ließ Schöller sich an einem Tatort sichern, um nachzuweisen, dass die scheinbar alten Ölwerke mit den Farben des Verdächtigen entstanden waren.

Der zweitürige Holzschrank, scheinalt, war Schöller auf einer Antiquitätenmesse in Stuttgart aufgefallen: Die Holzwurmspuren verlaufen in die falsche Richtung, die Reliefs sind nicht symmetrisch, und überhaupt: "Ein Jahr vor dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges hat doch keiner so einen Schrank hergestellt." Er dreht den Schlüssel und öffnet die rechte Tür. Wo Sonntagsporzellan stehen könnte, drängen sich die Bände des Chagall-Werkverzeichnisses in abgegriffenen Leineneinbänden, ein Paar weiße Baumwollhandschuhe liegen daneben. Jene, mit denen Galeristen Originale anfassen. Und mit denen Kunstermittler keine Fingerabdrücke hinterlassen.

Ein Picasso-Imitat mit braunen Flecken

In Schöllers Abteilung ist Eigeninitiative gefordert: Die Ermittler ziehen in erster Linie selbst los und holen sich ihre Fälle. Im Internet suchen sie nach dubiosen Kunstangeboten. Oder sie gehen jeden Katalog der großen deutschen Aktionshäuser Stück für Stück durch, im Schnitt liegen jeden Tag zwei frische auf dem Tisch der Kollegin. In einer selbst entwickelten Datenbank sind 20000 Kunstobjekte erfasst.

Wenn Schöller ein Werk erst einmal vor sich hat, braucht es nicht viel, um seinen Verdacht zu erhärten. "Eine Lupe, mehr nehmen wir nicht mit. Vielleicht noch ein Metermaß." Chemische Analysen - Schöller winkt ab. Die sind in der Regel zu teuer, und schon beim Blick durch die Lupe sieht er etwa, ob der Farbauftrag flach ist. Dann kann es keine Radierung sein. Graphiken sind Schöllers Spezialgebiet. Nicht zuletzt, weil Drucke von vornherein auf Reproduktion basieren. Und etwas zu vervielfältigen, von dem es sowieso schon mehrere Exemplare gibt, ist einfacher, als eine zweite Mona Lisa loszuwerden.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieviele Werke auf dem Kunstmarkt Fälschungen sind.

Ein Jäger falscher Schätze

Die Fehler, die Fälschern unterlaufen, klingen banal: Ein Druck kann nicht von Exemplar zu Exemplar um zwei, drei Millimeter abweichen. Entstand die Originalauflage in den 1960ern, kann das Papier kein Wasserzeichen aus den 1970ern tragen. Schöller zieht eine falsche Radierung aus einer Mappe. Das Picasso-Imitat ist über und über mit braunen Flecken übersät. Gleichmäßig vorne und hinten, wie in Tee getaucht, als Alterssimulation. Eigentlich lässt Lichteinfall Papier nur an Stellen altern, die nicht vom Passepartout verdeckt werden.

Der Kunst treu geblieben

Schöller weiß aus dem Effeff, welche sichtbaren Spuren Radierungen, Serigraphien oder Holzschnitte erzeugen. Er kennt den Unterschied zwischen dem verklemmten kleinen "Joan Miró" in der Ecke, als den Surrealisten noch keiner kannte, und dem großzügig hingeworfenen potenten Miró-Schriftzug, als seine Karriere Schwung bekommen hatte. Schöller hat sich dafür Spickzettel gemacht, geordnet nach Schaffensperioden. Die Miró-Unterschrift schüttelt er aus dem Handgelenk.

Er weiß, was sie alles falsch machen können. Er weiß, was ein Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit ist. Er weiß aber auch, ob das Gemälde, das ein Museum als echten Otto Dix anpreist, auch wirklich einer ist. Oder nur einer im Stile von. Eine Art siebter Kunstsinn? Das stammt aus den sechziger Jahren, als der Stuttgarter Gymnasiast von seinem Kunstlehrer in Dalí-Ausstellungen, Picasso-Schauen in Heidelberg, Baden-Baden oder München geschleift wurde. Es hat ihn fasziniert. Als er nach dem Abitur zur Kripo ging und nach fünf Jahren zum Kommissar befördert wurde, blieb er der Kunst treu: Er bewarb sich in die Abteilung, in der er heute noch arbeitet.

In diesem Geschäft gelten die Gesetze des Kunstmarktes. Und die orientieren sich an Angebot, Nachfrage, Preis. Ist zu wenig auf Lager, wird eben nachgeliefert. Und das Geschäft mit der Kunst boomt seit zwei Jahren wie verrückt. Allein der deutsche Kunsthandel soll laut Bundesverband deutscher Galerien und Editionen 2007 etwa 600 Millionen Euro eingenommen haben; der Jahresumsatz internationaler Auktionshäuser wie Christie's oder Sotheby's war in diesem Jahr höher als jemals zuvor. Experten unken seit Monaten, dass die Kunst-Blase bald platze.

Pädagogischer Aufklärungswille

"Kunstdiebe und Fälscher arbeiten marktorientiert", sagt Schöller. "In den 1970ern und 1980ern waren vor allem Perserteppiche und Porzellan hoch im Kurs, aber auch viel Sakralkunst." Inzwischen sind es die modernen Klassiker, Chagall, Miró, Picasso, van Gogh, passend zum Wohnzimmer.

"30 Prozent aller Werke auf dem Kunstmarkt sind Fälschungen", behauptet er, bei Drucken auch mehr. Im Sommer hatte Schöller sich Ärger eingehandelt mit dieser Zahl. Der Kunsthändler-verband empörte sich, man fühlte sich verleumdet. "Das habe ich nicht verstanden." Schöller hebt die Arme und lässt sie wieder fallen. Für ihn besteht der Kunstmarkt aus mehr als ein paar Dutzend Verbandsgalerien. Kunstmarkt, das ist für ihn das, was er und seine Kollegen sehen, wenn sie die Zeitung aufschlagen, mit Listen von Flohmärkten, Antiquitätenmessen, Auktionen.

Was einst fast als teures Original in Wohnzimmernischen oder an Museumswänden prangte, landete in einem fensterlosen Kellerraum, gestapelt in Industrieregalen. Es ist die Kunst-Asservatenkammer des LKA. Hier haben sich über die Jahre mehr als tausend Objekte angesammelt. Beschlagnahmte goldene Rahmen, Leinwände, Radierungen schichten sich in den Regalen, in der Ecke stehen acht schlanke farbige Kuben, falsche Vasarely-Skulpturen. Hier, wo man sich im Kellerlager eines Tausendsassa-Künstlers wähnt, fühlt Schöller sich sichtlich wohler als in seinem Büro. Er hantiert mit Miró-Drucken, zieht Dalí-Fälschungen aus einem Stapel, deutet auf eine Kerkovius-Kopie. Er zeigt, erklärt, doziert. Geradezu pädagogischer Aufklärungswille treibt ihn.

Unsägliche Stümperhaftigkeit

"Fälscher sind Zocker", sagt Schöller knapp. "Sie sind als Künstler gescheitert. Sie sind nur mehr oder weniger gute Handwerker, haben aber keine typische Handschrift entwickelt." Er stellt es nüchtern fest, was sollte er auch sonst tun, diesen Typus Mensch studiert er seit fast 30 Jahren.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was mit den Fälschungen passiert.

Ein Jäger falscher Schätze

Und doch, vor drei Jahren kam eine neue Variante hinzu. Der Typus der sichersten Quelle. Eines Tages meldete sich ein Schweizer Händler bei ihm, er habe sagenhafte Dalí-Aquarelle angekauft, die Quelle könnte nicht vertrauenswürdiger sein. Sie seien aus der Privatsammlung von Ralf Michler, einem der angesehensten Dalí-Gutachter. Schöller wurde hellhörig. Er arbeitete seit 15 Jahren eng mit Michler zusammen. Von einer Privatsammlung hatte der nie erzählt - normalerweise teilen Kunstliebhaber solche Informationen.

Schöller schiebt das Coverbild eines Dalí-Bandes neben die angebliche Vorstudie. Ein Torero in der Stierkampfarena. Der Torero mit seinem roten Tuch steht rechts, der Stier links. Sie sind identisch. Eigentlich müssten sie spiegelverkehrt sein. Das liegt in der Natur der Drucktechnik. "Ich habe Michler 15 Jahren lang gesagt, er soll sich mit Drucktechniken beschäftigen und nicht nur auf die Unterschriften achten."

Schöller scheint verblüfft zu sein, mit welcher Stümperhaftigkeit Michler da zu Werke ging. Er deutet auf die Vorstudie: "Ein Mann wie Dalí setzt sich nicht hin wie ein Schulbub, zeichnet mit Bleistift vor, malt die Linien nach und radiert dann die überstehenden Bleistiftspuren weg." Er lacht leise. Zu den Michler-Werken hat er einen sehr persönlichen Bezug. Er hatte damals überlegt, ob er den Fall ablehnen soll. Michler wurde 2006 zu drei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt.

Betrüger sind für Schöller keine Helden, auch wenn Filme wie "Wie klaut man eine Million" mit Audrey Hepburn, "Die Thomas Crown Affäre", "F wie Fake" von Orson Welles über den echten Kunstfälscher Elmyr de Hory sie als Stars stilisieren. Die Nichte von Konrad Kujau vertreibt mittlerweile "echte Kujaus". Sie seien aus China, erklärt Schöller. Falsche echte Kujaus, und die Leute reißen sie der Fälschernichte aus den Händen: Diese Absurdität ist für ihn schwer zu fassen.

"Ware Lügen"

Wessen Naivität ihn am meisten wütend macht, ist schwer zu sagen: Die der gutsituierten Bankkunden, denen er auf Veranstaltungen regelmäßig die Grundregeln zum sicheren Kauf von Kunstwerken ans Herz legt; die der Nachwuchskünstler, die sich nur widerwillig mit derart Irdischem befassen, und denen er bei Seminaren sagt: "Ihr seid zwar noch nicht A.R. Penck, aber legt euch ein Archiv an, nehmt eine Digitalkamera und dokumentiert eure Arbeiten"; oder die der deutschen Amtsschimmel, die Kunstfälschung nach wie vor für ein Kavaliersdelikt halten. Im deutschen Strafgesetzbuch gibt es Betrug, Urkundenfälschung, Verstoß gegen das Urheberrecht, aber nicht das Delikt Kunstfälschung.

"Wir müssen die Fälschungen an den letzten Eigentümer zurückgeben. In Frankreich wird die Fälschung eingezogen, Punkt", sagt Schöller. In Deutschland können Händler die falschen Fuffziger einfach an den nächsten verkaufen. Auch, dass ein x-beliebiger Ermittler aus der Abteilung Wirtschaftskriminalität keinem Kunstfälscher auf die Spur kommen kann, hat sich als Einsicht noch nicht bundesweit durchgesetzt.

Einer, der die Unterschriften von Marc Chagall nach Schaffensperioden sortieren kann, hat in Konkurrenz zur Verfolgung von Autoschieberbanden einen schweren Stand. Schöllers Wut ist die eines Mannes, der schon lange erkannt hat, dass etwas grundsätzlich falsch läuft. Um etwas dagegen zu unternehmen, nimmt er an Radiosendungen teil, gibt Fernsehinterviews, streut die Kunde von den Ermittlungserfolgen seiner Truppe.

"Da hängt normalerweise ein Dalí", sagt der Kommissar und deutet zwischen den Pollock und den Miró, wo nun ein Farbfelderwerk der Stuttgarterin Ida Kerkovius prangt. Der fehlende falsche Dalí ist Teil einer Kunstausstellung, die gerade im baden-württembergischen Albstadt in die zweite Runde geht. Sie heißt "Ware Lügen" und war eine Idee von Ernst Schöller. Zusammen mit zwei alten Kunden, dem Picasso-Museum in Münster und der Städtischen Galerie Albstadt, hat er die Schau organisiert, Fälschung und Original hängen nebeneinander.

Was was ist, sollen die Besucher selbst enträtseln. Die Kuratorin des Albstädter Museums, Martina Sauer, findet, dass mit dem Thema Fälschungen oft noch sehr verschämt umgegangen wird. "Dabei ist es ein Problem, mit dem wir tagtäglich konfrontiert werden. Man muss das offensiver angehen", erklärt sie.Als damals die Kopierbande in New York hochging, fanden sich 53000 falsche Dalís in dem Lager - es gab mehr Falschexemplare von ihm in den Stapeln als etwa von van Gogh oder Picasso. Dieses Detail, aus dem Hinterhoflager einer Fälscherbande, begründete einen Mythos.

Fortan galt der Spanier mit den zerfließenden Uhren als Künstler, dessen Werke am meisten gefälscht wurden. "Von wegen!", entfährt es Schöller. Denn es war nur das: nicht mehr als ein zufälliges Detail. "Die Dalís waren einfach nur frisch gedruckt", erklärt Ernst Schöller und tippt erneut auf die Stapel auf dem Foto. "Eine Woche später wären es vielleicht mehr gefälschte Picassos gewesen."

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