Alben der Woche:"Ich bin so dumm, ich weiß nicht mal, wer ich bin"

Faber übt sich in Rollenprosa für ZDF-Kulturmagazine, Sudan Archives macht smarten RnB mit Geigen und Michael Kiwanuka fährt auf erhabenen Soundflächen Richtung Himmel.

Von den SZ-Popkritikern

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Michael Kiwanuka - "Kiwanuka" (Polydor)

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Quelle: SZ

Wenn schon Fiedeln, dann auch Chöre: Der Opener von Michael Kiwanukas drittem Album "Kiwanuka" beginnt mit schönen Ennio-Morricone-Westernmusik-Gedächtnis-Chören. Über einem stoisch schmutzigen Bass scheppert das Schlagzeug an den richtigen Stellen. Seine Stimme hat eine jugendliche Glätte und leichte Froschigkeit, mit einer Minimaldosis Rauheit irgendwo im Hintergrund. Er braucht keinen Firlefanz, sondern nimmt sich eine simple Popkadenz wie in "I've Been Dazed" und baut den Song nach allen Regeln der Kunst zur Pop-Oper aus, die er in erhabenen Soundflächen aus Hall und Tremoloflimmern zum Himmel fahren lässt. Manches rauscht ein wenig zu leicht durchs Ohr, "Piano Joint" etwa, dessen Intro-Part aber mit satten Retro-Chören sehr stimmungsvoll ist. Trotzdem schön, wie lang das Klavier am Anfang innehält. "Hero" klingt wie von einem beschädigten Band gezogen und mausert sich dann zum funkigen Drei-Akkord-Rockhit. Immer wieder baut Kiwanuka in seine Tracks Ambient-Inseln ein oder Passagen, die wie archäologische Fundstücke aus der Geschichte der Schwarzen Musik wirken. Die Platte hat einen an rauen Herbstabenden wärmenden Sound, der bis in die einzelnen Effekte hinein mit Tradition spielt, aber ganz und gar heutig-hochauflösend ist. Bloß zum Ende hin wird's arg gefühlig. Aber ist ja auch Soul.

Juliane Liebert

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Sudan Archives - Athena (Stones Throw Records)

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Quelle: SZ

Die amerikanische Geigerin Sudan Archives heißt bürgerlich Brittney Denise Parks. Auf ihrem neuen Album "Athena" verbindet sie Streicher und blaskapellenhafte Retortentöne zu einem fiedelnden Algorithmus. Das klingt eigen, aber auch sehr eingängig. Ihr Song "Black Vivaldi Sonata" hat auf jeden Fall Chancen auf den Songtitel des Jahres. Durch den Computerreißwolf gejagte Geräusche mit Geige. Überall Geigen! Ein einziges Gegeige allerorten! In "Did you know" ist sie eifersüchtig, dass sie ihren Lover mit einer anderen gesehen hat. Die Arme! Dazu hüpft ihre gesampelte Violine. Die Synthies werden immer dramatischer. Dieser supersmarte R'n'B trägt zwar nicht über 14 Songs, "Honey" oder "Pelicans In The Summer" können aber nicht schaden, so kurz vor dem November.

Juliane Liebert

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Yeah Is What We Have - "What We Have" (Counter Intuitive Records)

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Quelle: SZ

Yeah Is What We Have machen auf ihrem Debüt "What We Have" launigen, melodiösen Indie-Pop-Rock mit leichtem Retrofaktor. Sie klingen angenehm merkwürdig. Etwas übersteuert rappelndes Kunstschlagzeug und kaum akustischer Raum. Wie in einer zu vollen Garage, wo der Krempel jedes Geräusch schluckt. Andererseits scheint die Musik eigentlich eher auf Popglanz bedacht. Man ist nicht ganz sicher, ob dieser Widerspruch gewollt ist oder nur das Geld fehlte. Manchmal singen sie wie die Beatles aus der Konservendose. In anderen Momenten glaubt man Brian Wilson zu hören, der zwischen elektrischen Instrumenten zu ertrinken droht und um Hilfe ruft.

Juliane Liebert

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Faber - I Fucking Love My Life (Universal)

Faber

Quelle: Universal Records

Faber ist wieder da, mit seinem ersten Album zu Recht gefeiert als irgendwie humanistischer Proll, dem sogar Feministen eine "Nutte" im Text durchgehen lassen. Auf "I Fucking Love My Life" begegnen wir allerdings gleich mindestens drei Fabers, mal in der Rolle einer promiskuitiven Frau ("Vivaldi"), als Instagram-Opfer ("Das Leben sei nur eine Zahl") oder als an Drogen, falschen Freunden und zu viel Aufmerksamkeit zerbrochener Rockstar, der 4g auf dem Handy hat, "falls du weißt, was ich mein'" (Tipp: es geht nicht um Datenübertragung). Bei letzterem und ein paar anderen Songs, wie dem Anti-besorgte-Bürger-Lied "Das Boot ist voll", glaubt man den "echten" Julian Pollina (bürgerlicher Name und ja, berühmter Vater) vor sich zu haben, ist aber dann doch verwirrt, weil könnte ja auch nur eine Rolle sein. Andererseits ist es ja auch schön, dass Faber sich offnensichtlich vom - gerade im Gitarrenwuschel-Genre immer noch vorhandenen - Authentizitätszwang befreit hat: "Ich bin so dumm, ich weiß nicht mal, wer ich bin", singt er, einer der vielen T-Shirt-Sätze auf diesem Album. Trotz Rollenspiel und smarten Wortverdrehungen bleibt das Ganze thematisch leider doch mittelspannend, die Instagram-Kritik wirkt stellenweise wie eine Glosse im Cicero und das Geraune über Entfremdung und Scheitern am Zustand der Welt hört sich noch einen Tick zu bekömmlich an: Vor dem inneren Auge schunkeln trotz des grandios heiseren Geschreis Ina Müller und der Shantychor mit, die Bläser ufftatröten etwas zu platt in den Cortex, Jo Schück sitzt mit T-Shirt unterm Sakko daneben und spricht von "einem Ereignis". Unerwartet nah, ganz ohne Metaebene und Trompeten, kommt man Faber dann ganz am Ende möglicherweise doch noch, auf "Heiligabig ich bin bsoffe", seinem ersten und einzigen Song auf Schwyzerdütsch.

Quentin Lichtblau

© SZ.de/qli
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