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EZB-Zentrale in Frankfurt:Festung für 1,3 Milliarden

Die Europäische Zentralbank hat sich ein riesiges Symbol-Gebäude in Frankfurt gebaut. Es ist euphorisierend, für die, die drin sind. Aber was ist mit denen, die draußen sind?

Von Laura Weißmüller

Schillernd wie ein Gletscher ragen die beiden Türme in den Frankfurter Himmel. Ihre scharfkantige Form sieht aus, als hätten hier Naturgewalten gewirkt. Kein Stockwerk gleicht dem anderen. Statt die immer selben Etagen endlos übereinander zu stapeln, wie das sonst bei fast allen Hochhäusern bis zur vollkommenen Ermüdung der Fall ist, stemmen sich hier zwei Türme kraftvoll gegenseitig in die Höhe. Als würden sie einer exakt ausgeklügelten Choreografie folgen, bewegen sie sich mal zueinander hin, dann wieder drehen sie sich voneinander weg. Aus jedem Blickwinkel hat der Wolkenkratzer deshalb ein anderes Gesicht.

Klingt kompliziert? Ist es auch. Die Torsion der bis zu 185 Metern hohen Glasfassaden ist auch ein Meisterwerk der Statik.

Eisenzaun, Pförtner, Graben, Bäume und Poller sind zu überwinden

Jeder kann das in Frankfurt am Main aus der Ferne bewundern. Viel näher werden die meisten Menschen dem neuen Sitz der Europäischen Zentralbank (EZB) auch nicht kommen. Die EZB hält nichts von allzu großer Volksnähe. Es ist erstaunlich, was die europäische Institution auf dem Grundstück der ehemaligen Großmarkthalle im Osten der Stadt alles auffährt, um sich unliebsame Besucher vom Leib zu halten. Erst wer den Eisenzaun, das Pförtnerhaus mit Sicherheitskontrolle wie am Flughafen und danach noch einige Hundert Meter Sperrzone mit Graben, Bäumen und einer Armee aus Pollern überwunden hat, darf die EZB aus der Nähe betrachten. Forsch ragt hier ein asymmetrischer Glasriegel durch die Klinkerfassade der Markthalle von Martin Elsaesser. Der Keil markiert den Haupteingang der EZB.

Aber was heißt schon Eingang, wenn hier fast keiner rein darf - außer man schmuggelt sich getarnt als Wirtschaftsjournalist in eine Pressekonferenz der Notenbank, wie das kürzlich einer Hamburger Femen-Aktivistin gelang. Die EZB schützt sich wie eine Festung. Ungewollt wird der Bau damit zum Symbol, wie es Europa momentan mit seinen Nachbarn hält: Schotten dicht, Poller hoch. Residierte die europäische Institution noch bis zum Herbst vergangenen Jahres mitten in der Frankfurter Innenstadt, hat sie jetzt einen Sicherheitsgraben um sich gezogen.

Es ist kein Zufall, dass die Bilder von den Ausschreitungen, die es zur Einweihung des Gebäudes Mitte März gab, allesamt die Frankfurter Innenstadt zeigen und nicht die EZB selbst. Die kleine Eröffnungsrunde dort bekam von den brennenden Autos, den fliegenden Pflastersteinen und den Sitzblockaden ja auch nichts mit, keiner durfte sich den eisblauen Türmen nähern. Nur sehen konnte sie jeder, selbst aus der Ferne und während schwarze Rauchschwaden durch das Bankenviertel zogen.

Die Wut der Demonstranten über die verhasste Geldmarktpolitik der Europäischen Zentralbank dürfte die Distanz nicht gemildert haben. Im Gegenteil. Den vermeintlichen Feind unerreichbar, aber ständig vor der Nase zu haben, müsste den Zorn eher noch geschürt haben. Doch der Sicherheitswall zeugt nicht von Selbstvertrauen, wie das die Türme mit ihrer kristallinen Gestalt weithin sichtbar tun, vielmehr ist er ein Zeichen der Angst. Nur vor wem?

"Formal gesehen befinden wir uns hier nicht in Deutschland", sagt Andrea Jürges, Pressesprecherin der EZB. Sie hat den Gast im wild gezackten Eingangsgebäude beim Empfang mit einem Besucherausweis ausgestattet. Genauso wie den Architekten. Denn selbst Wolf Prix, der 2005 mit seinem Wiener Büro Coop Himmelb(l)au den Wettbewerb mit einem radikal Entwurf gewann und durch das Aufbrechen des historischen Baudenkmals die Denkmalschützer gegen sich aufbrachte, braucht heute einen Ausweis, um das Gebäude zu betreten. "Exterritorial" sei das Gelände. Rein formal müssen auch Polizei und Feuerwehr bei der EZB eine Genehmigung einholen, wenn sie hier rein wollen.

Geplant war das offenbar einmal ganz anders. "Das ist alles öffentlicher Raum", sagt der 72-jährige Architekt und schiebt ein "eigentlich" in der akkurat saniert und fast schon klinisch gereinigten Großmarkthalle hinterher. Er meint es ernst. Da sind zum einen die neuen Einrichtungen, die seltsam fehl am Platz wirken oder gleich zweckentfremdet wurden. Das Besucherzentrum mit den heruntergelassenen Rollos schräg gegenüber dem Empfang etwa, das erst 2016 eröffnen soll. Wer sich heute für den Neubau interessiert, kann nur das Deutsche Architekturmuseum besichtigen, das aktuell Coop Himmelb(l)au eine Ausstellung widmet. Oder die Cafeteria mit dem weich gekurvten Tresen weiter hinten, wo eigentlich ein Laden entstehen sollte und wo nun Topfpflanzen leere Regalfächer füllen.

Vor allem aber ist da die Halle selbst. Wäre sie frei zugänglich, sie würde einen großartigen öffentlichen Raum bieten. Als sie von 1926 bis 1928 nach den Plänen von Martin Elsaesser errichtet wurde, war das Gebäude der weltweit größte stützenfrei überspannte Eisenbetonbau. "Kappeskathedrale", Kohlkathedrale nannten die Frankfurter sie. Auch heute ist der Raumeindruck gewaltig. Nicht nur wegen Elsaessers schier endlos gerasterter Betonfassaden, sondern auch weil Prix den historischen Bau rigoros frei gehalten hat.

Was fehlt, sind die Menschen

Die neuen Funktionen, überwiegend Konferenzräume, verstaute der Wiener Architekt in einer Haus-in-Haus-Konstruktion. Mehrfach geknickt und leicht schräg schob er diese dann in die 220 Meter lange Halle. Pompöse Sichtachsen lässt das nicht zu, der Blick wird immer wieder gebrochen. "Macht strahlt das nicht aus", sagt Prix in seinem schwarzen Doppelreiher mit Wiener Nachdruck. Wer die Karriere mitten unter Achtundsechzigern gestartet hat und seine Architektur erst brennen und dann in Luft aufgehen ließ, hat ein Problem mit Herrschaftszeichen.

Vor allem aber erzeugen die Winkel des Konferenzgebäudes unterschiedlich große Räume, Plätze und Nischen zwischen neuer und alter Bausubstanz. Wunderbare Treffpunkte. Eigentlich. Denn was fehlt sind die Menschen, die diese Flächen bevölkern, die breiten Stufen zum Sitzen benützen und dort den Blick nach draußen, auf das Mainufer und den Fluss genießen, den die etwas zu lieblos in die Klinkerfassade eingeschobenen Fensterflächen jetzt ermöglichen. Doch diese Öffentlichkeit traut sich die EZB nicht mehr zu.

Als hätte sie geradezu Angst vor dem Raumeindruck, den die Architektur hier schafft, versucht sie diesen immer wieder zu durchkreuzen . Mannshohe Grünpflanzen werden da an prominenter Stelle positioniert, mickrige Stehtische mittig in grandiose Freiflächen geschoben. Überhaupt die Einrichtung: Geradezu panisch will die EZB offenbar verhindern, dass ihr jemand Verschwendung vorwerfen kann. Abgemagertes Mobiliar soll Bescheidenheit suggerieren, tatsächlich beweist es nur schlechten Geschmack. Unnötigerweise. Mit 1,3 Milliarden Euro Gesamtinvestitionskosten war der Neubau der EZB ohnehin so teuer, dass stilvolle Möbel vermutlich nicht mehr groß ins Gewicht gefallen wären. Nun wirkt die Mickrigkeit der Innenausstattung so, als würde man sich vor dem eigenen Großmut schämen, den es gebraucht hat, um sich damals für diesen Entwurf zu entscheiden.

"Heute würden wir den Auftrag nicht mehr bekommen", sagt Wolf Prix. Man glaubt ihm sofort. Zu viel ungenützte Freifläche und vor allem: zu viel Symbol. Laut dem Architekten wollte die EZB "ein unverwechselbares Gebäude". Zehn Jahre und eine Wirtschaftskrise später klingt das bei EZB-Pressesprecherin Jürges etwas anders. Gewünscht gewesen sei "ein funktionaler Bau, in den alles hineinpasst".

Was grandios ist am Arbeitsplatz von Mario Drahi? Einzig der Ausblick

Was für ein Glück, dass die EZB mal mehr wollte! Sonst hätten die Frankfurter auf einen Impuls für ihren Osten verzichten müssen. Die ehemalige Schmuddelecke der Stadt mauserte sich mit dem Bau enorm. Vor allem aber wäre eines der spannendsten Hochhäuser der Welt nicht entstanden. Wie hier ein Austausch zwischen Türmen und Stockwerken erzeugt wird, ist euphorisierend. Denn der Bau macht sichtbar, dass Hochhäuser nicht Isoliermaschinen sein müssen, die ihre Benutzer zu Einzelhaft verpflichten, sondern dass sie Begegnungen initiieren können.

Wie? Was die EZB aus der Ferne tanzen lässt, sind die vielen Brücken und zahlreichen großen Plattformen, die die beiden Türme miteinander verbinden. Im Atrium - eigentlich ein dritter Turm - verkürzen schmale Stege die Wege zwischen einzelnen Etagen, alle paar Stockwerke bilden dazu Plattformen so etwas wie urbane Landschaften zwischen den Türmen. Da gibt es intime Buchten mit Sitzecken, erhöhte Aussichtpunkte, eine Bar - allesamt Möglichkeiten, um sich zu begegnen, geplant oder ungeplant. Und um zu reden. Wie wichtig solche informellen Treffpunkte sind, wissen immer mehr Unternehmen. Der Pharmakonzern Novartis hat seinen Campus in Basel so entwerfen lassen, dass die Mitarbeiter sich so oft wie möglich über den Weg laufen. Denn wo miteinander gesprochen wird, da können neue Ideen entstehen. Die wollen auch Firmen wie Facebook und Google und bestellen bei Architekten quasi nur noch umbaute Hüllen für den informellen Austausch.

So weit geht die EZB nicht. Die 2400 Arbeitsplätze in den zwei Türmen sind unspektakulär, fast nüchtern. Die Dramatik der dreidimensional geschwungenen Fassade bildet sich hier nicht ab. Vom Einzel- bis zum Großraumbüro ordnet sich fast alles dem rechten Winkel unter. Selbst das oberste Stockwerk, wo EZB-Präsident Mario Draghi im neuen Ratssaal am runden Tisch mit einer goldenen Glocke die wichtigste Konferenz des Hauses eröffnet, schert nicht groß aus. Nur der Ausblick, den Mario Draghi und seine Kollegen von hier genießen, der ist grandios.

Er erstreckt sich über Frankfurt, die Skyline in der Mitte. Doch der Blick täuscht. Denn eines sieht der Präsident der EZB von oben nicht: Wie abgeschottet er da sitzt, hinter seinem Burggraben.

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SZ vom 23.05.2015/aper
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