Exzentrische Künstler:Wohltuende Verschrobenheit

Bob Dylan

Ein Bob Dylan muss nicht nett sein.

(Foto: dpa)

Nettigkeit im Alltag ist eine schöne Sache - aber in Kunst und Kultur? Warum ein Musiker wie Bob Dylan auf der Bühne durchaus Sonderwünsche und Marotten haben darf, auch wenn es arrogant wirkt.

Von Max Scharnigg

Neulich war Bob Dylan da. Sind wieder alle hingegangen, die immer hingehen, wenn Bob Dylan da ist, aber klar, zum Papst ginge man ja auch mehrmals, wenn er denn mehrmals vorbeikäme. Heilige in spe haben eben eine Menge zu erzählen. Auf die Frage, wie er denn diesmal war, gibt man als Anhänger hinterher dann auch fast immer die gleiche Antwort: Gut, aber. Gut, weil ja Dylan. Aber, weil eben wieder nicht der Dylan, den man so im Sinn hatte, sondern ein anderer.

Es kommt nie der Dylan, den man erwartet, das sollten sie vielleicht mal auf die Konzertplakate drucken, für Neulinge. Für Erfahrene ist das eigentlich kein Problem, weil Dylan zu den wenigen gehört, die auch dann noch gut sind, wenn sie schlecht sind. Ich war mal bei einem Dylan-Konzert, da spielte er eine Stunde lang nur Free-Jazz auf der Mundharmonika, bis alle im Publikum einen Sonnenstich hatten. Er selbst natürlich schön im Schatten.

Komplett vernuschelte Lieder

Sogar bei annähernd konventionell geratenen Konzerten erkennt man die paar Lieder, die man so besonders nah am Herzen trägt, meistens nur, wenn man wirklich genau auf den Refrain hört, komplett vernuschelt das eine, komplett verrockt das andere und dann wieder großes Pathos, wo man sich immer nur knorriges Flüstern gewünscht hatte. Irgendwann grollt der alte Zausel auf der Bühne dann gegen irgendwas, geht ab und kommt nicht wieder, egal wonach alle dürsten.

Nein, Bob Dylan liefert einfach nicht. Für Kritiker ist das manchmal ein Problem. Bob Dylan wäre zu arrogant, fanden sie zuletzt nach dem Konzert und schrieben es in Zeitungen und Magazinen. Seine Exzentrik wäre zu exzentrisch, sagen andere, vielleicht sogar nur aufgesetzt. Kann er sich das noch leisten, fragen sie und meinen: Kann sich das heute noch irgendwer leisten, unberechenbar zu sein?

Ja, unbedingt! Das Unnahbare, das Verschrobene auf der großen Bühne ist heute eine rar gewordene Zutat und unendlich wohltuend. Und zwar nicht nur bei Dylan. Wer zwei Stunden zwischen Verstärkern steht, eine Platte einspielt oder ein Buch schreibt, der muss nicht nett sein, nicht erwartbar, nicht leutselig, es soll da gar nicht menscheln, das bringt der Darbietung überhaupt nix. Das sind alles Attribute, die man sich für seinen Nachbar wünschen kann, aber doch bitte nicht für Leistungsträger in Kunst und Kultur.

Künstler sind keine Handwerker

Sollen sie Sonderwünsche, Ausfälle, Marotten haben und das Programm in letzter Minute über den Haufen werfen. Solange sie dieses Verhalten dazu befähigt, uns weiter zu zerstreuen und in andere Gemütszustände zu versetzen, bitte schön. Ein zuverlässiger Künstler ist kein Künstler, sondern nur ein guter Handwerker!

Keine Frage: Nettigkeit ist eine schöne Sache, die im Alltag unbedingt vorherrschen sollte. Lehrer, Taxifahrer, Zahnärzte - bitte alle netter werden. Kunst ist aber kein Dienstleistungsgewerbe, sie hat die Kanten und Schrullen, die sie eben hat, der Kunde ist dabei mal nicht König, basta. Und was für ein Irrsinn, Stars zum Anfassen haben zu wollen! Das war ja schon bei "Wetten, dass..?" immer ein schaler Moment, wenn die ganz Großen, die ikonisch Umwitterten, plötzlich in Eierbecherwetten und sonstigen Kumpeleien mitzuspielen hatten. Nur damit Hans und Uschi in Heilbronn vor der Knabbermischung denken konnten: Och ja, der Robbie Williams, eigentlich ein netter Bub. Wehe, es entfleuchte da mal einer nach der Darbietung seiner Kunst und blieb nicht in der bundesdeutschen Schunkelrunde sitzen, dann musste er sich stets Eitelkeit und Geschäftemacherei nachwerfen lassen.

Zu nette Nachwuchskünstler

Hiesige Nachwuchsstars wie Tim Bendzko und Cro haben die Forderung nach Künstlern, die am Boden geblieben sind, derart verinnerlicht, man würde sich nicht wundern, wenn sie sich vor einem Auftritt dafür entschuldigen, dass nicht jeder im Publikum ein Mikro hat. Dieses Stars-von-nebenan-Diktat führt dazu, dass die Castingshows noch in der zehnten Auflage Bewerberrekorde erleben. Ist doch klar, wenn man ständig die Erfahrung macht, die Menschen auf dem Poster sind in Wirklichkeit nur Normalos und kaufen auch bei Lidl, dann probiert man es selbst eben auch.

Literaturdebütanten schreiben zweiseitige Dankesbriefe an die Enden ihrer Romane, voll mit Menschen, ohne die sie es bestimmt nicht geschafft hätten oder denen eigentlich das Lob gebührt. Als wäre ihr kleines Herausragen aus der Masse schon wieder peinlich, das bisschen Deutungshoheit und Talent schon wieder ungehörig. Hätte Thomas Bernhard je seine Denkleistung derart selbst sabotiert? Ist einem Friedrich Gulda je in den Sinn gekommen, sich für seine Exzentrik zu entschuldigen? Nein, solche Menschen und ihre Unberechenbarkeit sind ein wichtiger Gradmesser für die Toleranz einer Gesellschaft. Ich würde mit Bob Dylan kein Bier trinken wollen, er ist eigentlich nicht sehr sympathisch. Für das Bier habe ich den Nachbar, für die Bühne Dylan. Eine irrige Annahme, dass es umgekehrt sein müsste.

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