"Exil" mit Mišel Matičević im Kino:Und woher kommen Sie noch mal?

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Unter Stress: Mišel Matičević und Sandra Hüller in "Exil“. (Foto: Verleih)

Wenn Bürofiesheiten und Mikroaggressionen zur Paranoia führen: Visar Morinas Thriller "Exil".

Von Josef Grübl

Ach, von wegen Rassismus! Es könne doch auch sein, dass sie ihn nicht mögen. Einfach so, als Menschen. Sagt Sandra Hüller als deutsche Vorstadtehefrau Nora zu ihrem Vorstadtehemann Xhafer (Mišel Matičević). Und so, wie sie das sagt, in dieser herrlich heruntergedimmten Sandra-Hüller-Art, ist das Thema für sie abgeschlossen. Für ihn aber nicht: Xhafer stammt aus Kosovo. Als Familienvater mit Haus und Auto und Job bei einem Pharmaunternehmen ist er perfekt integriert, von solchen Bürgern träumen Arbeitgeber, Abgeordnete oder Leute, die früher Ausländerbeauftragte hießen. Doch wovon träumt Xhafer? Von Ratten. Die Viecher verfolgen ihn nach Hause und ins Büro, mal hängen sie tot am Gartenzaun, mal quellen sie wie Lemminge aus seinem Briefkasten heraus. "Jeder hat seinen Rucksack zu tragen", sagt Xhafers Chef (Uwe Preuss), als sich der über die rassistischen Anfeindungen im Arbeitsalltag beschwert. Das Thema ist damit auch für ihn abgeschlossen.

Für Xhafer aber noch lange nicht: Er sieht sich von Ratten in Menschengestalt umzingelt, was insofern passen würde, als es in seiner Firma Tierversuche gibt. Die Rattenkollegen, davon ist er überzeugt, schneiden ihn und locken ihn aus der Reserve - so lange, bis er austickt. Und dann fragen sie mit freundlichem Lächeln im Gesicht, wie man seinen Namen ausspricht. Oder ob er Schweinefleisch esse. Ist das Kantinen-Smalltalk oder bereits Mobbing? Sind die Kollegen nur Konkurrenten oder schon Rassisten?

"Exit" greift ein Problem auf, von dem es lange hieß, dass es das gar nicht gebe. Zumindest nicht in Deutschland, anders als in Amerika etwa. Wenn hierzulande Schwarze oder Geflüchtete rassistisch beleidigt würden, seien das doch "Einzelfälle" oder den paar Glatzen aus dem Osten zuzuschreiben. Zuletzt sah man die Sache aber etwas differenzierter, nicht nur der "Black Lives Matter"-Demonstrationen wegen, bei denen Zigtausende Deutsche auf die Straße gingen. Plötzlich spricht man auch hier von strukturellem Rassismus: Ungleichheit wird mit historisch überlieferten oder gesellschaftlich akzeptierten Machtverhältnissen legitimiert. Was immer schon so war, wird auch immer so bleiben und an die nächste Generation weitergegeben, das Ganze hat also Struktur. Und wer anders ist, kriegt das mehr oder minder subtil zu spüren.

Der Regisseur setzt seinen Helden unter Druck, drängt ihn aber nicht in eine Opferrolle

Im Fall von Xhafer etwa wissen die Kollegen selbst nach jahrelanger Zusammenarbeit nicht, aus welchem Land er stammt: Aus Kroatien oder Albanien? Ach egal, irgendwoher vom Balkan halt. In einer besonders perfiden Szene hält sein Chef einen Vortrag über Diversität und wie bereichernd kulturelle Unterschiede sein können. Dann wendet er sich an Xhafer: "Und woher kommen Sie noch mal?" Danach klatscht die versammelte Mitarbeiterrunde ganz ergriffen; fast so, als ob allein die Tatsache, dass er es aus Kosovo herausgeschafft habe, Applaus wert wäre. Der Regisseur und Drehbuchautor Visar Morina ("Babai") vermeidet es aber, seinen ungeliebten Helden in die Opferrolle zu drängen. Sein Film ist die nuanciert erzählte Geschichte einer existenziellen Erschütterung. Der von Mišel Matičević mit stoischer Miene und dringlicher Körperlichkeit gespielte Xhafer verliert den Boden unter den Füßen. Dazu trägt er auch selbst bei: Im Job hat er Sex mit der aus Albanien stammenden Reinigungsfrau, er betrachtet sie als eine Art Stressableiter. Doch als sie ihn um Hilfe bittet, hört er weg: Die anderen könnten ja mitbekommen, wie er sich mit einer Untergegebenen in ihrer Sprache unterhält. Immer länger läuft er die hässlichen Büroflure entlang, immer dunkler werden die Schweißflecken auf seinen Hemden. Eine solche gedemütigte Bürokreatur hätte sich auch der Vater aller gedemütigten Bürokreaturen ausdenken können, zumindest scheint Visar Morina Inspiration bei Franz Kafka gefunden zu haben. Aber auch die Verschwörungsfilme aus den Siebzigerjahren standen Pate: Aus der Rassismus-versus-Mobbing-Nummer wird ein Paranoia-Thriller mit brennenden Kinderwagen und nächtlichen Würgespielen. Die labyrinthischen Kamerafahrten und die von dissonanten Klängen bestimmte Filmmusik verstärken dieses Gefühl. Xhafer ist ein Getriebener, sein Exil liegt irgendwo zwischen Einbildung und Wirklichkeit.

Exil , D/BEL/XK 2020 - Regie: Visar Morina. Mit: Mišel Matičević, Sandra Hüller, Rainer Bock, Alamode Film, 121 Minuten.

© SZ vom 20.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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