Evolution einer Jugendkultur:"Jede Generation erklärt Hip-Hop aufs Neue für tot"

Falk Schacht

Falk Schacht über "Hip Hop Family Tree": "Was Ed Piskor mit dieser Graphic Novel geleistet hat, gehört mit Abstand zum Besten, das ich in 25 Jahren Hip-Hop-Forschung gelesen habe.
"

(Foto: David Luther)

Falk Schacht hat für die deutsche Ausgabe des US-Bestsellers "Hip Hop Family Tree" von Ed Piskor die Redaktion übernommen. Ein Gespräch über das schwierige Geschäft der Comic-Übersetzung und den Dammbruch, der Hip-Hop um die Welt trug.

Von Julian Brimmers

Wer eine amerikanische Graphic Novel aus den Anfangszeiten des Hip-Hop ins Deutsche übersetzt, betritt zwangsläufig vermintes Terrain. Denn der Slang der New Yorker Bronx lässt sich nicht eins zu eins ins Deutsche überführen. Dass die deutsche Ausgabe des amerikanischen Bestsellers "Hip Hop Family Tree" von Ed Piskor dennoch als gelungen betrachtet werden kann, liegt auch am redaktionellen Einfluss von Falk Schacht, der dem anerkannten Comic-Übersetzer Stefan Pannor beratend zur Seite stand. Der Journalist und ehemalige Fernseh- und Radiomoderator Schacht gilt als Experte für die Geschichte des Hip-Hop. Er ist derzeit Lehrbeauftragter an der Leuphana Universität Lüneburg, wo er sich mit Themen der Musik- und Jugendkultur auseinandersetzt.

SZ.de: Wie sind Sie auf Ed Piskors Comic aufmerksam geworden?

Falk Schacht: Ich habe Ed Piskors "Hip Hop Family Tree"-Cartoons (HHFT) vor Jahren auf boingboing.net gefunden und war sofort fasziniert. Nicht nur wegen seines Zeichenstils, sondern weil er mit einfachsten Mitteln eine konzentrierte Darstellung der Hip-Hop-Anfänge aufzeigt. Piskor kann in einem Bild sozioökonomische Gesellschaftszustände darstellen - andere Hip-Hop-Geschichtsbücher bräuchten da zwei Seiten zur Erklärung.

Ed Piskor sagt von sich selbst, sein Interesse an aktuellem Hip-Hop falle eher gering aus. Warum sind die Gründungsjahre des Hip-Hops so faszinierend?

Im Hip-Hop finden ständig ideologische Grundsatzkämpfe über die "wahre" Definition der Kultur statt. Jede Generation erklärt Hip-Hop aufs Neue für tot. Daher ist diese Entstehungszeit sehr spannend, denn damals war Hip-Hop noch frei von Dogmen.

Außerdem wurde die Freude daran, das wahre Wesen des Hip-Hops zu erforschen, immer wieder durch die schlechte Quellenlage getrübt. Das erste Jahrzehnt der Hip-Hop-Kultur war bis Ende der Neunzigerjahre sehr schlecht dokumentiert. 
Durch das Internet haben sich aber in den letzten 15 Jahren viele Quellen erschlossen. So kann man sich inzwischen Aufnahmen der "Block Parties" aus den Siebzigerjahren anhören oder Interviews mit den Pionieren nachlesen.

Sie haben die Redaktion für die deutsche Ausgabe von "Hip Hop Family Tree" übernommen. Was war Ihre Aufgabe und wie kam es zu Ihrem Engagement?

Ich habe vergangenen Dezember im Internet einen unfertigen Eintrag über eine deutsche Ausgabe gefunden. Ich habe dann beim Metrolit-Verlag um Bestätigung gebeten und zum anderen die Frage gestellt, wie man denn vorhabe, die Übersetzung zu gestalten. Ich habe auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die bei der Übersetzung des Hip-Hop-Slangs zwangsläufig auftauchen.

Im März habe ich dann den Auftrag bekommen, den bereits übersetzten Text durchzuarbeiten und Vorschläge zu machen, wie man den Text an das deutsche Hip-Hop-Sprachmilieu anpassen müsste. Ziel war es, beim Lesen die größtmögliche Vertrautheit bei deutschen Hip-Hoppern entstehen zu lassen.

Hip-Hop-Slang halbwegs authentisch zu übersetzen, ist in der Tat eine Aufgabe, an der schon viele gescheitert sind. Wie haben Sie den Übersetzer Stefan Pannor hinsichtlich der Slang-Termini der Siebziger- und Achtzigerjahre beraten?

Ich habe dazu einige grundsätzliche Entscheidungen getroffen. Die englischen Originalbegriffe aus den Siebzigerjahren wie "def" oder "Butter" kann man nicht in die deutsche Jugendsprache der Siebzigerjahre übersetzen, das funktioniert nicht für das heutige Publikum. 
Ich schlug also vor, den deutschen Hip-Hop-Slang der Neunzigerjahre zu benutzen - dieser kann durchaus etwas altbacken wirken, erzeugt damit aber ein ähnliches Gefühl, wie die Terminologie der Siebziger für die Leser des amerikanischen Originals.

Wie liest sich das konkret?

Nehmen wir als Beispiel den US-Slang-Ausdruck "def", eine Kurzform von "definitive", die als positives Adjektiv benutzt wurde; zum Beispiel im Satz "That's a def beat". Daraus wurde im Deutschen: "Das ist ein heftiger Beat".

Ich habe zudem immer wieder darauf hingewirkt, die Performance eines Rappers auf der Bühne im englischen Originaltext zu belassen. Meine Änderungsvorschläge habe ich dann eingereicht; welche meiner Vorschläge angenommen wurden und welche nicht, lag dann in der Hand des Übersetzers.

Ihnen selbst hängt der Ruf eines akribischen Hip-Hop-Historikers an. Wie bewerten Sie Piskors Recherche-Arbeit?

Was Ed Piskor mit dieser Graphic Novel geleistet hat, gehört mit Abstand zum Besten, das ich in 25 Jahren Hip-Hop-Forschung gelesen habe.
 Natürlich würde ich gerne im Detail wissen, wie DJ Kool Herc seine Drumbreaks (Anm. d. Red.: freiliegende Schlagzeug/Rhythmus-Passagen, die zum "Breakdance" animierten) verlängert hat, und ob er dazu zwei unterschiedliche Platten mit Drumbreaks spielte, oder ob er bereits zwei mal die gleiche Platte dazu benutzte et ce­te­ra pp. Aber natürlich wäre so etwas viel zu komplex, um es in "Hip Hop Family Tree" darzustellen.

Gibt es Anekdoten, deren Wahrheitsgehalt Sie anzweifeln?

Nein, Ed Piskor hat nach journalistischen Standards gearbeitet und immer unterschiedliche Quellen zu den dargestellten Ereignissen gesucht. Wenn die Quellenlage schlecht ist, weist Piskor darauf hin und beginnt die Geschichte mit dem Satz "Die Legende besagt ...".

Welche Episode von "Hip Hop Family Tree" hat Sie nachhaltig beeindruckt?

Die Verbindungen der Plattenfirmenbesitzer untereinander - wie sie sich gegenseitig belauerten, wer denn das Risiko eingehen würde, die erste Hip-Hop-Schallplatte rauszubringen. Alle haben Hip-Hop für eine kurzlebige Mode gehalten und wollten kein finanzielles Risiko eingehen. Doch dann kam es 1979 mit "Rapper's Delight", der ersten erfolgreiche Hip-Hop-Platte, zu einem Dammbruch, der Hip-Hop um die Welt trug. Und spätestens an dieser Stelle hat Hip-Hop seine Unschuld verloren.

Gibt es aus Ihrer Sicht einen bestimmten Hip-Hop-Moment, den Piskor unbedingt noch bearbeiten muss?

Ich habe Ed Piskor gebeten, zwei Seiten mit den Pionieren der deutschen Hip-Hop-Szene zu zeichnen. Leider hat das aus zeitlichen Gründen nicht geklappt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: