Süddeutsche Zeitung

Eva Leidmann:Vom Wirtshaus zum Film

In Mühldorf aufgewachsen, hat sie als Kellnerin gearbeitet und Romane geschrieben, die von den Nazis verboten und verbrannt wurden. Überleben konnte sie mit Drehbüchern für die Ufa

Von Ina Kuegler

München, Nürnberg, Würzburg - das sind am 10. Mai 1933 die bayerischen Städte, in denen die Nazis Bücher verbrennen. Eine "Schwarze Liste", sechs Tage später veröffentlicht im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels, macht es amtlich: Werke von 131 Autoren werden von den Nationalsozialisten verboten. Zu diesen Büchern gehören auch zwei Romane der aus Mühldorf am Inn stammenden Schriftstellerin Eva Leidmann (1888-1938). Ihre Eltern sind Bauern und Wirtsleute, und so erzählt Eva Leidmann von unehelichen Kindern, entwurzelten Bauernmädchen und schwer schuftenden Kellnerinnen. Das passt so gar nicht zu dem von der NS-Ideologie verklärten Bauernstand, dem "Fundament der gesamten Nation" und dem besten "Schutz gegen alle sozialen Erkrankungen", wie es Adolf Hitler in "Mein Kampf" formuliert.

"Auch meine Mutter freute sich nicht" (erschienen 1932) und "Wie man sich bettet" (1933) sind die Titel der Romane, die 1933 und nochmals 1938 auf die "Schwarze Liste" der Nationalsozialisten geraten. Beide Werke sind autobiografisch - schildern sie doch die Schicksale von Dienstmägden, Biermädeln und Kassiererinnen, wie es Leidmann selbst erlebt. Immer wieder kellnert sie, nicht nur als Jugendliche beim Vater in Mühldorf, sondern auch in München, wo sie seit 1908 lebt. Geboren wird Eva Leidmann am 23. Juli 1888 in Burghausen, mit drei jüngeren Geschwistern verbringt sie die Kindheit und Jugend in Mühldorf. 1906 heiratet sie den Bierbrauer Franz Mühlberger. In den frühen 1930er Jahren erinnert sie sich: "Vor dem Schlafengehen hab ich auf meinen Bierblock die ersten Aufzeichnungen für meine Bücher geschrieben, nicht ahnend, dass Schreiben einmal mein Beruf werden würde."

Noch heute lesenswert ist der Leidmann-Roman "Wie man sich bettet". Er schildert das Leben in einem Münchner Wirtshaus nach dem Ersten Weltkrieg und das Schicksal der Kellnerin Fanny, das so gar nicht dem Frauenbild der Nazis entspricht. Fanny kommt in Leidmanns Roman als Mädchen vom Lande in die Münchner Gastwirtschaft "Gambrinus", arbeitet sich vom Biermädel zur Kassiererin nach oben, hat Männerbekanntschaften, wird schwanger, treibt ab, trinkt, leidet an Depressionen, bekommt ein Kind von einem Zirkus-Clown, muss das Mädchen als Kostkind abgeben, schläft mit wildfremden Männern, um das Geld für die Koststelle aufzubringen. Fanny landet in Hamburg in einem Nachtlokal. Eva Leidmann geht - wie ihre Romanfigur - tatsächlich 1917 nach Hamburg, lässt sich scheiden, nimmt wieder ihren Mädchennamen an, heiratet 1931 den Kaufmann Hugo Schmidt, von dem sie sich 1934 wieder trennt. Angemeldet bei den Behörden hat sich Leidmann als "Schauspielerin" - das muss die Autorin bereits in ihren späten Münchner und süddeutschen Jahren gewesen sein. In Hamburg folgen Theater und Kabarett. Ein zweites Standbein ist der Journalismus bei der Hamburger Illustrierten.

Ihr Talent zur Schriftstellerei entdeckt der Redakteur Carl Müller-Rastatt. Er sagt zu ihr: "Schreiben Sie mir doch einmal etwas, genau wie Sie sprechen", so die Erinnerung der Autorin. Drei Jahre arbeitet Leidmann am ersten Werk "Auch meine Mutter freute sich nicht", kurz vor Erscheinen des Romans wendet sie sich in einem Brief an Kurt Tucholsky: "So um die Märzveilchen herum kommt mein erster Roman heraus. Ich bitte Sie, den Roman zu lesen." Die Zeitschrift Simplicissimus rezensiert: "Leidmann kennt die Seele dieses bajuwarischen Volkes gut." Gewürdigt wird weiterhin der "Verzicht auf den missverstandenen, verkitschten Typ der üblichen Art".

Nach der Bücherverbrennung endet Leidmanns Arbeit als Journalistin, als Schriftstellerin veröffentlicht sie noch harmlose Werke, geht 1934 nach Berlin. "Eines Tags kam ein Telegramm von der Ufa: 'erwarten Sie am Freitag zu einer Besprechung gegen Unkostenvergütung'." All diese Reminiszenzen hat Eva Leidmann niedergeschrieben in einem kleinen Porträt in der Zeitschrift Filmwelt vom 27. September 1937 - es ist die einzige Quelle, die Aufschluss über ihr Leben gibt. Da sie und ihre Geschwister ohne "Abkömmlinge" - so heißt es in den Archiven - geblieben sind, gibt es keine Zeitzeugen aus dem familiären Umfeld.

Von 1934 bis 1938 arbeitet Leidmann vor allem für die Ufa - insgesamt verfasst sie acht Drehbücher, zum Teil allein, zum Teil mit Regisseuren. Klaus Kreimeier, bekannt geworden durch sein Standard-Werk "Die Ufa-Story", urteilt: "Eva Leidmann verfasste überwiegend Drehbücher für Regisseure (Schünzel, Engel, Hochbaum etc.), die sich mit ihren Filmen nicht gerade dem Regime angedient haben (um es vorsichtig auszudrücken)." Die Filme, zu denen Leidmann die Scripts schreibt, sind überwiegend leichte Kost. Nur der Film "Land der Liebe", zu dem Leidmann zusammen mit Reinhold Schünzel (im Nazi-Jargon ein "Halbjude") das Drehbuch verfasst, wird von Propagandaminister Joseph Goebbels verdammt: "Eine typische Judenmache. Ganz unausstehlich." Dennoch reüssiert Leidmann - sie lässt sich bei Berlin-Michendorf ein kleines Haus bauen. Beziehen kann sie das neue Domizil nicht mehr: Eva Leidmann stirbt am 6. Februar 1938 im Alter von 49 Jahren nach einer Blinddarmoperation.

Heute erinnert an Eva Leidmann nur noch ein Reprint von ihrem Roman "Wie man sich bettet" in der Edition Phoenix, die es sich zur Aufgabe macht, die von den Nazis verbotenen Werke wieder zugänglich zu machen. 2001 wurde am Frankfurter Römer eine Bronzetafel enthüllt: Zwischen den Namen von Max Brod und Erich Maria Remarque findet sich auch der von Eva Leidmann. Die Tafel erinnert an die Frankfurter Bücherverbrennung vom Mai 1933 mit 15 000 Schaulustigen.

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Quelle:
SZ vom 10.05.2017
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