"Eurotrash" nach Christian Kracht an der Schaubühne Berlin:Mutter

Eurotrash an der Berliner Schaubühne

Die verrückte Schweizer Millionärin (Angela Winkler) und ihr manischer Sohn, "Christian Kracht" (Joachim Meyerhoff).

(Foto: Fabian Schellhorn/dpa)

Angela Winkler und Joachim Meyerhoff spielen an der Schaubühne Christian Krachts "Eurotrash" als schwarze Roadmovie-Komödie.

Von Peter Laudenbach

Was ist hier echt, was ist eine Falle, und sagt große Kunst nicht immer mit ihren Lügen die Wahrheit? Christian Krachts raffiniertes Spiel mit seiner "Christian Kracht" genannten Romanfigur, die mit dem Autor offenkundig verwandt, aber nicht mit ihm identisch ist, lässt seinen Roman "Eurotrash" schön rätselhaft schillern. Scheinbar spricht der Autor alles aus bei dieser Exkursion in seine traurige, kaputte Familiengeschichte - aber halt nur scheinbar und im Schutz der Fiktion. Dieses Spiegelkabinett-Spiel mit der erfundenen und der erlittenen Biografie setzt jetzt Jan Bosse an der Berliner Schaubühne mit seiner Theateradaption von Krachts abgrundtief traurigem und irre komischem Roman fort.

Den Ich-Erzähler, diese zwischen dem echten und dem fiktiven Christian Kracht oszillierende Rätselfigur, die alles entblößt und trotzdem kaum zu fassen ist, spielt Joachim Meyerhoff - und er spielt sie mit dem leichten manischen Überdruck, mit dem er all seine Bühnenfiguren ausstattet. Das ist, weil Meyerhoff so ein umwerfender Hochenergie-Schauspieler ist, einerseits ein großes Vergnügen, zum Beispiel wenn er mit dem mit Ausscheidungen gefüllten Stoma-Beutel seiner irren, wirren Mutter eine aberwitzige Slapsticknummer hinlegt. Da bekommt das Wort "Kunstkacke" doch gleich eine ganz neue Bedeutung.

Der Erzählerfigur ist Meyerhoffs viriler Kraftüberschuss eigentlich fremd

Andererseits ist es vielleicht auch ein großes Missverständnis. Denn wenn der schüchternen, habituell eher schlaffen und verstörten Erzählerfigur etwas denkbar fremd ist, dann ist es der virile Kraftüberschuss, mit dem sich Meyerhoff durch den Abend katapultiert. Die ratlose Melancholie des Romas verwandeln der Unterhaltungstheaterprofi Bosse und sein Rampensau-Schauspieler schwungvoll in eine schwarze Komödie.

Dass die Inszenierung den Roman trotzdem nicht verrät, sondern feiert, liegt an der eigentlichen Zentralfigur, der exzentrischen Mutter des Erzählers, mit der er kurz vor ihrem Tod auf eine Reise zu den Orten seiner Kindheit geht. An der Schaubühne dient ein Schiff als Reisevehikel in die Schweizer Gletscher, kein Taxi (Bühne: Stéphane Laimé). Das läuft wohl unter Theaterpoesie. Vielleicht ist es auch eine Referenz an das Boot, mit dem der junge Held in "Faserland", Krachts erstem Roman, auf den Zürichsee und in eine ungewisse Zukunft rudert.

Diese vereinsamte Mutter, eine mehr oder weniger verrückte Zürcher Millionärin, kann ihr Leben schon lange nur noch mit hartem Alkoholismus, toxischer Psychopharmaka-Zufuhr und regelmäßigen Psychiatrieaufenthalten ertragen. Im Upperclass-Drachen mit lila Monsterperücke und altmodischem Seidenkostüm, jederzeit bereit, Kellner und andere Domestiken anzuherrschen und mit 1000-Franken-Scheinen um sich zu werfen, wird die traumatisierte Frau sichtbar, die Tochter eines überzeugten Nazis, das Mädchen, das mit elf Jahren vergewaltigt wurde. Die große Angela Winkler, die immer spielt, als sei sie nie ganz in der Welt der Erwachsenen angekommen, schenkt dieser Mutterfigur bei aller Verschattung und dem unübersehbaren Wahnsinn eine Würde, eine Unschuld und den Rückzug in eine kindliche Unverletzlichkeit, die atemberaubend ist.

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