"Wandel durch Kultur. Kultur durch Wandel" lautet das blumige Motto der Macher. Wie so etwas punktuell gelingen kann, beweist die Zeche Zollverein. Vor 160 Jahren wurde die Zeche in Betrieb genommen, anno 1986 wurde dort letztmals Kohle gefördert. Im Jahr 2001 wurde das imposante, 100 Hektar große Areal, das inzwischen als Museum, Zentrum für Kreativwirtschaft und gefragte Event-Location dient, schließlich durch die Unesco offiziell zum Weltkulturerbe geadelt.
Kulturbereich: Erster Anwärter auf den Rotstift
Doch natürlich ist das Ruhrgebiet trotz seiner spannenden Entwicklung nicht plötzlich eine einzige blühende Landschaft; es gibt Städte wie Gelsenkirchen, die weiterhin das "Armenhaus des Westens" sind, mit erschreckend hohen Arbeitslosenzahlen, Verödung und vielfältigen sozialen Problemen. Die Kommunen sind überschuldet, eine Stadt wie Oberhausen wird Ende des Jahres Verbindlichkeiten von rund 1,8 Milliarden Euro ausweisen, die Folgen dessen, was man nüchtern wie verharmlosend Strukturwandel nennt, sind immens.
Mehr als die Hälfte der Ruhrgebiets-Kommunen unterliegen einem Nothaushalt, können Schulen nicht sanieren und müssen Freizeiteinrichtungen schließen. Der Kulturbereich gehört bei den Kämmerern traditionell zu den ersten Anwärtern auf den Rotstift.
Auch die Macher von "Ruhr.2010" haben die Zurückhaltung schmerzlich zu spüren bekommen. Gerade einmal 62,5 Millionen Euro beträgt der Etat für die Kulturhauptstadt, geplant waren einst 80 Millionen Euro. Es sei, sagt Pleitgen, "irgendwie typisch für das Ruhrgebiet", dass die Wirtschaftskrise "punktgenau" mit der Kulturhauptstadt zusammenfalle.
Picknick auf der gesperrten Autobahn
Mehrere ambitionierte Großprojekte - wie etwa "Zollverein unter Tage" - mussten abgesagt werden, geblieben ist vor allem ein Flickenteppich aus Veranstaltungen, der "eine der ungewöhnlichsten und reichsten Kulturregionen in Europa" (Pleitgen) abbilden soll. Aber die "starken, neuen Bilder", die sich Pleitgen als Katalysator für ein neues Image erhofft, gehen dann doch eher von zwei oder drei Großveranstaltungen aus.
Ende Mai etwa werden im Revier neun Tage lang rund 350 gelbe Ballons in der Aktion "Schachtzeichen" weithin sichtbar über ehemaligen Bergwerksschächten schweben, um sowohl von der Wurzel wie auch Veränderung zu künden. Und wenn am 18. Juli die Ost-West-Autobahn A 40 auf rund 60 Kilometern gesperrt wird, um darauf ein Picknick als kollektives Happening zu feiern, bekommt mancher vielleicht einen Eindruck von der schieren Größe dieser Region mit ihren rund fünf Millionen Einwohnern und einer Fläche von etwa 4435 Quadratkilometern.
Gleichwohl ist das Revier, obgleich drittgrößter Ballungsraum Europas, keine klassische Metropole, auch wenn Fritz Pleitgen gern vom "German New York" schwärmt. Aber das Ruhrgebiet ist eben nicht New York, sondern Essen, Dortmund, Bottrop und Herne.
Die Metropole Ruhr: "Eine Art Überraschungsangriff"
Eine Region, die verwaltungstechnisch bis zum heutigen Tage von drei verschiedenen Bezirksregierungen beaufsichtigt wird, wo Straßenbahnen an Stadtgrenzen anhalten müssen, weil die Schienenbreiten nicht identisch sind, wo eine chronisch klamme Kommune wie Bochum eine eigene Spielstätte für das Symphonieorchester von Steven Sloane bauen will, obwohl im Umkreis von 20 Kilometern bereits die Konzerthäuser in Dortmund und Essen um ihr Publikum rangeln.
Regelmäßig gibt es Vorstöße zu einer gemeinsamen "Ruhrstadt", die ebenso regelmäßig kläglich scheitern.Erst jüngst beklagte Bodo Hombach, der einflussreiche Geschäftsführer der Essener WAZ-Mediengruppe, eine "Überfütterung" der Region mit theoretischen Überbau-Konstrukten. "Das hat alles wenig Entsprechung in der Realität", befand Hombach.
Selbst Ruhr-2010-Geschäftsführer Oliver Scheytt gestand jüngst, dass es die Metropole Ruhr, die nun Europäische Kulturhauptstadt 2010 ist, eigentlich gar nicht gibt: "Wir behaupten das einfach selbst. Das ist eine Art Überraschungsangriff", sagte der frühere Essener Kulturdezernent. Es wäre mehr als eine Überraschung, wenn die Kultur schaffen sollte, was seit Jahrzehnten nicht gelingt: Eine Identität zu schaffen, die sich aus dem Willen zu einer gemeinsamen Zukunft speist.