Ethnische Privilegien:Für eure Schicksale gibt es keinen Markt

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Wendy C. Ortiz. (Foto: Meiko Takechi Arquillos)

Plagiatsvorwürfe gegen einen weiteren US-amerikanischen Roman stehen für die Verteilungskämpfe der Buchbranche.

Von Felix Stephan

Der identitätspolitische Streit um den Roman "American Dirt" von Jeanine Cummins in der amerikanischen Buchbranche ist noch nicht beigelegt (SZ vom 28. Januar), da werden schon wieder neue Vorwürfe laut. Dieses Mal geht es um den Roman "My Dark Vanessa" der Autorin Kate Elizabeth Russell. Er erzählt von einer Frau, die als Fünfzehnjährige eine Beziehung mit einem 42-jährigen Englischlehrer eingegangen ist. In der Romangegenwart wird dieser Englischlehrer beschuldigt, eine Schülerin missbraucht zu haben. Das Opfer nimmt mit der inzwischen erwachsenen Hauptfigur Kontakt auf und bringt sie damit in eine komplizierte Lage: Schweigt sie, schützt sie womöglich einen Triebtäter. Äußert sie sich, müsste sie ihre eigene Biografie umschreiben, schließlich hat sie sich selbst nie als Missbrauchsopfer verstanden.

Kurz vor der Veröffentlichung des Romans erhob nun die Autorin Wendy C. Ortiz Plagiatsvorwürfe gegen Russel. Im Jahr 2014 habe sie in ihrem Memoir "Excavation" eine sehr ähnliche Geschichte erzählt, trotzdem sei es ihr nicht gelungen, einen relevanten Verlag zu finden. Dass Kate Elizabeth Russell für die Geschichte nun einen siebenstelligen Vorschuss bekomme, habe Ortiz zufolge mit Hautfarbe zu tun: Von mehreren Lektoren habe sie damals zu hören bekommen, ihr Buch sei "kraftvoll und komplex", es gebe aber keinen Markt dafür. Einer weißen Autorin hingegen werde der Stoff aus den Händen gerissen. Russell räumte ein, Ortiz' Buch gelesen zu haben, wies aber gleichzeitig darauf hin, dass sie auch 14 andere Memoirs zum Thema studiert habe. Überdies habe sie mit der Arbeit an dem Buch vor fast 20 Jahren begonnen.

Die Strukturbedingungen für solche Debatten über ethnische Privilegierung aber bleiben: Im vergangenen Jahr ergab eine Untersuchung, dass die amerikanische Buchbranche zu drei Vierteln aus weißen Amerikanern besteht. Immer wieder werden Klagen nicht weißer Autoren laut, dass es ihnen schwerer falle, mit ihren Stoffen durchzudringen. Weil außerdem der Anteil übersetzter Bücher am amerikanischen Buchmarkt sehr viel geringer ist als etwa am deutschen, fallen die Effekte der Homogenisierung umso stärker ins Gewicht. Erst kürzlich mündete ein Rassismusskandal in die Absage der Jahreskonferenz der "Vereinigung amerikanischer Liebesromanautoren". Der Verband hatte die Vorsitzende seines Ethik-Komitees, die asiatisch-amerikanische Courtney Milan, entlassen, nachdem diese den Roman einer weißen Autorin mit asiatisch-amerikanischen Figuren als "rassistische Sauerei" bezeichnet hatte. Daraufhin sagten Verlage massenhaft ihre Teilnahme ab, der Vorsitzende des Verbandes musste zurücktreten.

© SZ vom 07.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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