Ethik und Genetik:Die Behinderung des Fortschritts

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Wichtig, weil wesentlich: Der Nationale Ethikrat

Bernd Graff

Ein alter Spontispruch, der geht so: "Kommt Zeit, kommt Rat. Kommen Zeiten, kommen Räte." Damit wollte man - in Erinnerung an die deutschen Arbeiter- und Soldatenräte, die sich nach dem ersten Weltkrieg ebenso spontan wie kurzlebig konstituierten - süffisant anmerken, dass sich der notwendige Ratschluss in Zeiten der Not und der Unsicherheit garantiert nicht einstellen wird, wenn sich ein Gremium ausschließlich damit befasst, den ersehnten Rat zu finden. Im Räderwerk der Räte wird jeder gute Rat zerrieben.

Es gebricht Politik und Wirtschaft in der Gentechnologie noch an einer Legitimationsgrundlage, welche die Umsetzung der technischen Möglichkeiten zur Manipulation des menschlichen Erbguts auch anders als mit der unmittelbaren Sorge nach Profitstreben motivieren könnte. (Foto: sueddeutsche.de)

Das wären also denkbar schlechte Auspizien für den jetzt von Gerhard Schröder einberufenen Nationalen Ethikrat, dem der Bundeskanzler vor allem die "Diskussion über Chancen und Gefährdungen" der biotechnischen Revolution überantwortet wissen will. Schlecht, weil doch der Genom-Standort Deutschland gerade diese Fragen endlich beantwortet sehen möchte. Doch muss die vom Kanzler gewünschte Diskussion nichts weniger als die Grenze zwischen Leben und Sterben behandeln, muss den Geburtsmoment des Seins und die Auflösung des Ichs ebenso erörtern wie die noch unbekannten Grundsätze des guten, rechten und vernünftigen Handelns auf dem Gebiet der Gentechnik. Vor allem ist dies also eine theoretische Diskussion im luftleeren Gedankenraum, voll-akademisch muss man sie nennen, und sie ist damit genau das, was ein gerne pragmatisch agierender Vitalkanzler schon im Ansatz verabscheuen muss. Hinzu kommt, dass die Republik bekanntlich schon zwei ähnlich beauftragte Gremien installiert weiß: Einen Ethikbeirat im Gesundheitsministerium und die Enquetekommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" im Bundestag.Wozu also nun diese vom Chef persönlich installierte Dritt-Instanz für die philosophisch abgehobenen Aspekte von Präimplantationsdiagnostik, reproduktivem und therapeutischem Klonen? Ganz einfach: Damit solche ethischen Entscheidungs- und Verantwortlichkeitsaspekte öffentlich sicht- und vernehmbar - und kritisierbar - angesiedelt sind. Um in einer Tautologie zu sprechen: Den Ethikrat gibt es, damit es den Ethikrat als Institution des Regierens gibt. Das klingt despektierlicher als es tatsächlich ist. Klingt nach Feigenblatt für eine ruchlose Politik, die sich die ethische Vertretbarkeit ihrer Handlungen von gedungenen Denker-Marionetten quasi blanko attestieren lassen will. Aber so ist es nicht gemeint. Tatsächlich wollen Politik als die Kunst des Machbaren und Ethik als Reflexion des sittlich Vertretbaren ja nicht recht zueinander passen. Das Vorgehen von Politik und Wirtschaft wird von ganz anderen Kriterien bestimmt, als sie die Ethik vordenken kann. Hier die Erfordernisse, Interessen und Belange des Tagesgeschäfts, dort die Grundsätze gerechten Handelns. Ein Ethikrat in Sachen Gentechnologie, der mit mehr als der bescheidenen Aussicht anträte, von der Politik wahrgenommen zu werden, wäre daher ungefähr so anmaßend wie eine Enquete zu den existentialphilosophischen Fragen der Menschentötung, die dem Verteidigungsministerium die Maximen für den Verteidigungsfall vorgeben wollte.Doch während ein Verteidigungsminister seine Anordnungen vor dem höherrangigen Gut des nationalen Wohls rechtfertigen kann (und darum in Kriegszeiten das unantastbare Recht des Einzelnen auf Leben relativieren mag), gebricht es Politik und Wirtschaft in der Gentechnologie noch an einer Legitimationsgrundlage, welche die Umsetzung der technischen Möglichkeiten zur Manipulation des menschlichen Erbguts auch anders als mit der unmittelbaren Sorge nach Profitstreben motivieren könnte. Ein Ethikrat, der tatsächlich Ratgeber einer pragmatisch orientierten Politik sein wollte, muss sich auf die Paradoxie einlassen und so abgehoben und themen-exklusiv wie möglich Grundlagenreflexion betreiben - die danach, wenn es denn anschlussfähige Argumente gibt, in Politik übersetzt werden könnte. Vermutlich ohne es zu wissen, hat der Kanzler mit dem Ethikrat daher in aller Öffentlichkeit ein Gremium etabliert, dessen kontrollierbare intellektuelle Unabhängigkeit - sofern er diese tatsächlich garantiert - erst die Gewähr für sein Gelingen darstellt. Und ebenso ohne es wissen, hat sich darum Wolfgang Huber schon als Mitglied dieses Rates diskreditiert, als er laut dpa die Aufgabe des Gremiums darin sah, "bei der Auswahl der sich aus Genforschung und Biotechnologie ergebenden Möglichkeiten" zu helfen, da es nicht darum gehen könne, "den Fortschritt zu blockieren."Fortschritt war nie ein Kriterium für Ethik. Es wäre auch das lächerlichste.

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