Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Etel Adnan:In der Kriegssonne

Sie schrieb voller Liebe und sprach vom Gefühl der Bedrohung: Die libanesisch-amerikanische Dichterin und Malerin Etel Adnan ist mit 96 Jahren in Paris gestorben.

Von Tobias Lehmkuhl

Warum versetzt einem der Name Etel Adnan immer einen kleinen Glücksstich? Warum denkt man mit Wärme an jemanden, der ein Buch mit dem Titel "Arabische Apokalypse" veröffentlicht hat? Warum empfindet man den Tod einer fast Hundertjährigen als so großen Verlust?

Um mit der letzten Frage zu beginnen: Weil Etel Adnans Werk immer von der Gegenwart seiner Entstehung zeugt, weil ihre Texte immer aus dem Jetzt heraus entstanden sind und auf diese Weise niemals als etwas Abgeschlossenes erscheinen, gar als etwas ganz der Vergangenheit Angehöriges.

Adnan, 1925 in Beirut geboren, hat nicht das eine große Werk, sie hat viele kleine große Werke geschrieben, Werke, in denen sie sich immer wieder selbst neu erfunden hat, oder in denen, das kommt der Sache wohl näher, die Welt in ihren vielen Erscheinungsformen ihre jeweilige Gestalt gefunden hat: Essays, Gespräche, Erzählungen, und nicht zuletzt: Bilder.

Das Englische ihrer neuen Umgebung wurde die Sprache ihrer Dichtung

Spät hat Etel Adnan zur Malerei gefunden; 2012 wurde sie dann sogar zur Documenta nach Kassel eingeladen. Eines der in ihren Bildern immer wiederkehrenden Motive ist der Mount Tamalpais, weniger ein Berg als vielmehr ein großer Hügel nördlich von San Francisco. Hier lebte Adnan eine Zeit lang, unterrichtete Philosophie, und hier, in Amerika, hatte sie Ende der Fünfzigerjahre auch mit dem Schreiben begonnen. Was bedeutet: Hier fand sie ihre Sprache. Denn nicht im Arabisch ihrer Geburtsstadt Beirut und ebenso wenig in dem Französisch, in dem sie in der christlichen Schule von Nonnen unterrichtet wurde, sollten ihre ersten Werke entstehen, sondern im Englisch ihrer neuen Umgebung.

Zu einer amerikanischen Schriftstellerin ist sie deswegen nicht geworden. Der schweifende, essayistische Geist der französischen Literatur war ihr immer näher als die Romanwelt der amerikanischen Vorstädte oder die Großstadtlyrik der Beat-Poets. Auch wenn sie in Kalifornien und später in Paris lebte: Emotional blieb sie ihrem Herkunftsland eng verbunden, und auch thematisch spielen die Vorgänge im Nahen und Mittleren Osten immer eine wichtige Rolle in ihren Werken, etwa in ihrem einzigen Roman, "Sitt Marie-Rose".

Zuerst erschienen ist das kaum hundertseitige Werk 1977, zwei Jahre nach Ausbruch des libanesischen Bürgerkriegs. Es erzählt die wahre Geschichte einer Christin, die sich für die Rechte arabischer Frauen einsetzte und deshalb schließlich ermordet wurde. Es erzählt aber vor allem die Geschichte einer Gruppe junger, gutbetuchter Menschen im quirligen Vorkriegs-Beirut, die Filme machen wollen, die in der syrischen Wüste Autorennen fahren, dann aber durch den Krieg auseinandergerissen werden und sich denkbar weit von den Ideen und Vorstellungen entfernen, die sie eben noch umgetrieben haben.

Was es heißt, nicht bei denen sein zu können, die man liebt

Adnan war 1972 nach Beirut zurückgekehrt, um dort als Kunstredakteurin für eine Tageszeitung zu arbeiten. Bereits drei Jahre später aber brach in Libanon der Bürgerkrieg aus, und sie musste das Land wieder verlassen. 1980 erschien dann ihr Langgedicht "Arabische Apokalypse", ein beeindruckender Gesang, der heute nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat: "eine Kriegssonne in Beirut Aprilgewitter auf den Schiffen eine kühle Brise/ gelbe Sonne auf einem Pfahl ein Auge im Gewehrlauf ein Toter aus Palästina/ eine malvenfarbene Sonne in meiner Freundin Hosentasche Streifzüge durch Paris/ ein Vogel im Zeh eines Palästinensers eine Fliege beim Fleischer/ schweflige Beirut-Säure".

Ein Grund, warum einen trotz aller Grausamkeit der Gegenwart die Lektüre der Bücher Adnans nicht in Trauer und Verzweiflung versetzt: Getragen ist ihre Literatur stets von Liebe, von Liebe für ihre Stadt Beirut, und von der Liebe zu den Menschen, die sie dort weiß.

Was es heißt, nicht bei denen sein zu können, die man liebt, davon handelt auch "Im Herzen des Herzens eines anderen Landes" (2005). Entstanden in den USA zu Zeiten des Zweiten Irakkriegs, sind diese autobiografischen Miniaturen durchdrungen von einer grundlegenden Fremdheitserfahrung: Was ist das für ein Körper, der Auto fährt, liest und schreibt und isst und für keine Sekunde irgendeiner Bedrohung ausgesetzt ist, während der Geist ganz und gar erfüllt ist von jenem Gefühl der Bedrohung, wie es Abertausende zur gleichen Zeit, nur eben auf der anderen Seite der Erdkugel empfinden?

Hoffnungsvoll strahlt die blutjunge Poesie Adnans

Das Schreiben habe sie nicht aufs Malen vorbereitet, sagte Adnan einmal, aber vom Malen habe sie viel für das Schreiben gelernt. Den Blick der Malerin spürt man vielleicht am stärksten in ihrem Buch "Paris, when it's naked" (1993), einem kristallinen, nächtlich-hellsichtigen, ja fast körperlosen Paris-Essay, der auf Deutsch den völlig irreführenden, romantisierenden Titel "Paris, Paris" trägt.

Paris, Beirut, Kalifornien - zuletzt erschien von Etel Adnan auf Deutsch ein Band, der bis ins Weltall ausgreift: "Wir wurden kosmisch" kombiniert eine Bildserie Adnans, "Trauermarsch für den ersten Kosmonauten", mit einem gleichnamigen Gedicht. So dunkel es da draußen sein mag, so hell, so hoffnungsvoll strahlt auch hier noch die nicht nur nach kosmischen Maßstäben blutjunge Poesie Etel Adnans: "der Körper des Alls ist weiß wie der frühe Morgen/ hab keine Angst..."

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