Esskultur:Über den Tellerrand hinaus

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Der Münchner Dichter, Übersetzer und Verleger Tobias Roth versammelt in seinem Buch "Wohl bekam's!" historische Menüfolgen

Von Florian Holler

Ein sommerlicher Julitag in Versailles 1788: Marie-Antoinette, Gattin von König Louis XVI. meint, den Ernst der Lage erkannt zu haben. Die Staatsfinanzen in Frankreich schmelzen dahin. Die Königin will mit gutem Beispiel vorangehen und versucht, am Essen zu sparen. Serviert werden an diesem Tag unter anderem Kalbslendenstück vom Spieß, Kaninchenfilet, Pasteten à l'Espagnole und 16 kleine Nachspeisen. Die dazugehörige Menükarte, die als Zeugnis absolutistischer Sparsamkeit gedacht war, liest sich im Nachhinein vielmehr als dekadente Weltfremdheit, die Marie-Antionette ein Jahr später, als sie wegen der Brotknappheit in Frankreich Kuchen als Ersatz empfahl, noch einmal unterstrich. Fünf Jahre später wurde sie bekanntlich gemeinsam mit ihrem Gatten im Zuge der französischen Revolution ermordet.

Diese kleine Anekdote aus der Geschichte der Kulinarik ist eine von hundert, die Tobias Roth gemeinsam mit Moritz Rauchhaus nun als Buch herausgegeben hat: "Wohl bekam's!" versammelt 100 historische Speisekarten, angefangen beim assyrischen König Assurnasirpal II., der 879 vor Christus seine neue Residenz einweiht, bis hin zum letzten State Dinner von Barack Obama 2016.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich der Dichter, Übersetzer und Verleger Tobias Roth auf literarischer Ebene der Geschichte der Kulinarik widmet. Im letzten Jahr erschien sein Gedichtband "Die Erfindung des Rußn", in dem er sich gemeinsam mit Daniel Bayerstorfer mit der Entstehung des beliebten Weißbier-Mixgetränks in der Zeit der Münchner Räterepublik auseinandersetzt. Woher kommt dieses ausgeprägte Faszination für Nahrung im Wandel der Zeit? "Einerseits ist es die unmittelbare sinnliche Ebene, die mich anspricht. Also ich habe keine protestantisch-asketischen Züge mitbekommen", erklärt Roth schmunzelnd. "Andererseits ist es so, dass, gerade in ,Wohl bekam's!' alle Gerichte Bedeutung und Geschichte haben und so eine wunderbare Tür sind, um in Geschichte reinzukommen. Da heiratet beispielsweise Violante de Visconti den Lionel von Antwerpen - wen interessiert das heute schon? Aber dann sieht man, dass es da ein blattvergoldetes Buffet gab, und dann kann man plötzlich erklären: Was war spätmittelalterlicher Hochadel in Norditalien."

Zusammen mit Philipp Taucher, Kochchef im Münchner Restaurant Broeding, stellen Roth und Mitherausgeber Rauchhaus eine Auswahl der im Buch versammelten Menüs in der Monacensia vor. Dabei diskutieren sie über aktuelle und längst vergessene Trends und die Faszination der Kulturtechnik des Essens im Wandel der Zeit. Auf den ersten Blick mutet "Wohl bekam's!" als skurrile Ansammlung kulinarischer Fundstücke an, auf den zweiten Blick, so erklärt Roth, lehre die Betrachtung der historischen Speisekarten eine neue Perspektive auf Geschichte: "Das Buch ist gegen so eine Verklärung des Heldentums gerichtet, die man von vielen Ölgemälden kennt. Das waren alles ganz normale Leute. Und natürlich haben die gegessen, und wer isst, der scheißt auch. Wir haben zum Beispiel ein Frühstück von Goethe drin, und da merkt man: Das ist das normalste Essen der Welt. Das ist 200 Jahre her, aber angerichtet wie in einem deutschen Hotel heute auch noch: Semmeln, Wurst, Käse, und das war's. Das bringt die Geschichte und sein Personal wieder zurück auf den Teppich, was ich sehr wohltuend finde."

Dekonstruktion des Geniekults durch den Blick auf den Teller also. Eine erfrischende Geschichtsphilosophie, die Goethes Zeitgenosse Johann Gottfried Herder, der im Vorwort programmatisch zitiert wird, auf den Punkt brachte: "Stolzer Mensch, blicke auf die ... Anlage deiner Mitgeschöpfe zurück, du trägst sie noch mit dir; du bist ein Speisekanal wie deine niedrigern Brüder."

Zwischen Schweinszüngerl und Hummerschwanz - ein Abend mit Tobias Roth, Moritz Rauchhaus und Philipp Taucher, Do., 28. März, 19 Uhr, Monacensia, Maria-Theresia-Straße 23, Eintritt frei, Anmeldung unter monacensia.programm@muenchen.de

© SZ vom 28.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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