Süddeutsche Zeitung

Essays:Zwischen Mutter und Martini

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Connie Palmen beschäftigt sich in ihrem Essayband "Die Sünde der Frau" mit vier berühmten Frauen, darunter Marilyn Monroe und Jane Bowles, und deren inneren Konflikten.

Von Matthias Weichelt

Die Konturen der Identität entstehen in den Büchern der niederländischen Autorin Connie Palmen immer durch Begegnungen und Konfrontationen. In ihrem Debütroman "Die Gesetze", der 1991 erschien, erinnert sich eine junge Frau an jene Liebhaber und Lehrer, mit denen und gegen die sie einen Zugang zur Welt und zu sich selbst gefunden hat. Und in ihrem großartigen Roman "Du sagst es" (2015) über die Ehe von Ted Hughes und Sylvia Plath erzählt der Mann von den Verheerungen einer Beziehung, die mit dem Selbstmord der Partnerin endet und ihn zum Schuldigen macht. Auch die nun erschienene Essaysammlung "Die Sünde der Frau" mit Texten über Marilyn Monroe, Marguerite Duras, Jane Bowles und Patricia Highsmith geht der Frage nach, was die Biografie einer (erfundenen oder realen) Figur ausmacht, was man über ihr Inneres wissen und wie man davon erzählen kann: "Gibt es so etwas wie eine Wahrheit über eine Person? Hat man eine Identität, wenn man allein am Küchentisch sitzt?"

Allein sind die in diesen Essays fast immer, innerlich allein. Ihr Image müssen sie sich gegen alle Widerstände erkämpfen, die später berühmten Namen haben nach ihren Neugeburten und Verwandlungen kaum noch etwas mit ihrem ursprünglichen Selbst gemein. An Gründen, sich von diesem ursprünglichen Selbst loszusagen, fehlt es ihnen nicht. Überhaupt entspringe jegliche Literatur (und Kunst) einer verletzten Seele, heißt es in "Du sagst es", und damit "der geistigen Anstrengung des menschlichen Abwehrsystems, uns von diesem Schmerz zu befreien und den Tod zu besiegen". Den Schmerz der vier Frauen findet Palmen in ihrer Kindheit, im frühen Verlust des Vaters, in einer schwierigen Beziehung zur Mutter. Den Weg, sich daraus zu befreien, ebnen die Kreativität, der Wunsch, sich damit durchzusetzen, und der Regelverstoß. Mae Wests Motto "Good girls go to heaven, and bad girls go everywhere" darf hier natürlich nicht fehlen.

Denn dass sie eigentlich zu Ehe und Gemeinschaft bestimmt sind, haben in den Augen Connie Palmens alle diese Frauen verinnerlicht und ihr Aufbegehren dagegen als Sünde empfunden. Alkohol, Drogen und Selbstmordversuche sind demnach nur Selbstbestrafungen für die Abkehr vom vorgezeichneten Weg: "Sie durchbrechen die Regeln des Anstands, ihres Geschlechts, der herrschenden Moral."

Marilyn Monroe ist das Paradebeispiel dieses tragischen Ausbruchs. Das Rätsel ihrer Identität habe nicht nur ihre Biografen umgetrieben, sondern auch sie selbst: "Alles in ihrem Leben dreht sich um die Glanzpaare der Philosophie: echt und unecht, Dichtung und Wahrheit, Körper und Seele." Der erfundene Name, der schnelle Ruhm schützen vor den trostlosen frühen Lebenserfahrungen, vernichten aber den Bezug zu der Person, die all das hervorgebracht hat: "Die Tragödie Marylin Monroes besteht darin, dass Marylin Monroe ihre größte schauspielerische Leistung ist, sie aber die reale Frau, die diese spielte, aus der Welt schaffen musste." Dass ihr bewusst gewesen sei, sich in ein reines Fantasieprodukt verwandelt zu haben, rechnet die Autorin der Schauspielerin hoch an: "Da kenne ich Frauen, die mit weniger Selbsterkenntnis auskommen müssen."

Auch bei Patricia Highsmith registriert Palmen die Tendenz, die erfundenen Gefühle für echter zu halten als die sogenannten wahren. Das "Rätsel der Identität" erstreckt sich hier auch auf die Romanfiguren, mit denen Highsmith sich auf radikale Weise identifiziert - mit verbrecherischen Außenseitern, die dem Guten in der Welt mit fröhlicher Gleichgültigkeit begegnen. Auch bei Highsmith sieht Palmen eine deutliche Verbindung zwischen familiären Verstrickungen und einem fatalen Hang zum Alkohol - "Mutter" und "Martini" seien die einzigen Wörter, die Patricia Highsmith in ihren Notizbüchern stets in Großbuchstaben geschrieben habe.

Frau, Sünde, Strafe und Originalität gehören in diesen Essays zusammen

Aus ihrem eigenen Hang zum Trinken hat Connie Palmen, die inzwischen 62 Jahre alt ist, nie ein Hehl gemacht, ihre deutlichen Worte über den Alkoholismus dürften nicht zuletzt eigenen Erfahrungen geschuldet sein. Das gilt auch für ihre Bemerkungen zum Dilemma des Schreibens, das Ausweg und Absonderung zugleich ist. Was das Buch trotz mancher erhellenden psychologischen Reflexionen zu einer mitunter ermüdenden Lektüre macht, ist der starre Schematismus des Erklärungsmodells, das allen Essays zugrunde liegt und im Blick auf die Beziehungen zwischen Frau, Sünde, Strafe und Originalität in allen Kombinationen durchexerziert wird: "Originell zu sein ist eine Sünde. Sollte Janes Erbsünde schlichtweg darin bestehen, dass sie als weibliches Wesen zur Welt gekommen ist, aber nie das Leben führen wird, das andere Frauen führen?"

Die Spannung der Gegensätze in den Romanen Connie Palmens ist weitaus überzeugender als der etwas hölzerne Dualismus dieses Essaybandes. Nur die Einbildungskraft, lässt sie Ted Hughes sagen, erlaube uns "zu vereinen, was getrennt und gegensätzlich erscheint, das Männliche und das Weibliche, das Gute und das Böse, das Zerstörerische und das Schöpferische." Die Einbildungskraft in Erzählung zu verwandeln, ist die große Aufgabe der Schriftsteller.

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Quelle:
SZ vom 18.06.2018
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