Essay:Meer der Widersprüche

H.Draper, Odysseus und die Sirenen - H.Draper / Odysseus and the Sirens -

Herbert James Drapers Gemälde "Odysseus und die Sirenen" (1909) treibt einige Fragen der Trias vom Wahren, Schönen, Guten auf die Spitze.

(Foto: AKG)

"Dem Wahren, Schönen, Guten" - so lautet die berühmteste Pathosformel der Kunst. Heute ist sie einem Begriff von diffuser Maßlosigkeit gewichen: Kultur. Er umfasst, tendenziell, alles.

Von Thomas Steinfeld

Mitten in Frankfurt steht die Alte Oper. Im Westen erstreckt sich das Bankenviertel, im Osten gehen die Menschen einkaufen. Zwischen Geld verdienen und Geld ausgeben erhebt sich ein klassizistischer Tempel, der in den Siebzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts errichtet wurde. Im Bildschmuck des Gebäudes ist alles mobilisiert, was im deutschen Kaiserreich als verehrungswürdig galt: die griechischen Götter und die Allegorien der Künste, Medaillons von Dichtern und Komponisten wie Shakespeare und Meyerbeer, Kleist und Beethoven. Nichts verweist hier auf die Quellen des Reichtums, der Frankfurt erlaubte, der Kunst ein solches Haus zu errichten. Weder die Arbeit noch die Industrie noch die Technik treten auf. Auf dem Fries der Hauptfassade ist zu lesen: "Dem Wahren, Schönen, Guten".

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