Essay:Ende der Hysterie oder Liebestod allein ist fad

"Stadt der Frauen" aus Sicht der Frau: Sirenen herrschen in der Oper übers Publikum.

Von Elisabeth Bronfen

Kein mythisches Bild bringt den Widerspruch der weiblichen Stimme so treffend auf den Punkt wie der Gesang der Sirenen. Unwiderstehlich betörend locken diese dämonischen Vogelfrauen jeden Mann an, der an ihrer Insel vorbeifährt. Denn dem neugierigen Seefahrer versprechen sie, alles zu offenbaren, was auf Erden geschieht und geschehen wird. Obwohl der Preis für das Lauschen dieser Klänge die Selbstverschwendung ist, kann sich der Mensch nur schwer der Anziehungskraft der Sirenen widersetzen. Entweder lässt er sich erst gar nicht auf deren verführerische Musik ein und übertönt diese - wie Orpheus - mit seinem eigenen Leierspiel. Oder man greift wie Odysseus zu einer List. Mit Seilen an den Mast seines Schiffes gefesselt, kann er dem Klang ihrer Stimmen verzückt lauschen und wird doch nicht in einen tödlichen Strudel gezogen.

Isolde bricht - indem sie den Tod Tristans nachahmt - entrückt über seiner Leiche zusammen

Derlei kluge Selbstzügelung sichert allerdings nicht nur das Überleben als Mythos. Sie kündigt auch die Haltung des modernen Theaterbesuchers an. Von dem ihm zugewiesenen Sitz im Zuschauerraum, den er während der Aufführung nicht verlassen sollte, kann er sich dem weiblichen Gesang uneingeschränkt hingeben und weiß zugleich: Es droht ihm keine wirkliche Gefahr. Der Austausch zwischen Leben und Tod, der sich am Körper der Operndiven verdichtet, ist reine Bühnensache geworden. Für die Frauenfiguren, die dieses leidenschaftliche Spiel Abend für Abend zur Schau stellen, hat das unterschiedliche Konsequenzen.

Am Höhepunkt der Aufklärung darf bei Mozart die Sopranistin noch in eine Hosenrolle steigen und als polyerotischer Page zwischen den Geschlechtern changieren. Mit seiner schillernden Erscheinung hat Cherubino Zugang zu allen Zimmern und stört - weil er immer wieder auftaucht, wo er nicht sein sollte - die klaren Hierarchien am Hof des Grafen Almaviva. Dabei wird er zur Triebfeder einer Intrige, mit der Susanna und die Gräfin sich erfolgreich gegen jene Gewalt zur Wehr setzen, die ihnen von ihren Männern droht.

Meint Figaro doch, vor Rachelust verblendet, in seiner Braut nur eine Sirene zu erkennen die ihn zu ertränken sucht. Und so könnte alles auf Vergewaltigung und Verleumdung hinauslaufen. Doch als Trio verbündet, eignen sich die Frauen die Macht der Verstellung an, um Figaros blinden Verdacht in Verzeihen um- zukehren. Dank dieser kollektiven Tücke kann am Ende der Oper die Katastrophe gerade noch abgewendet und der Traum eines gegenseitigen Vertrauens beschworen werden.

Auch Mozarts sternenflammende Königin der Nacht ist eine Meisterin der Täuschung, deren betörender Gesang einen Einblick in die Geschehen der Welt verspricht. Nur muss das magische Denken, welches diese archaische mütterliche Figur vertritt, bedingungslos der dunklen Sonne der Aufklärung weichen. So verdammt Sarastro sie in eine ewige Nacht. Doch der verdrängte Klang ihrer dramatischen Koloraturen kehrt sehr bald auf die romantische Opernbühne zurück, und dies mit aller Wucht.

Dort tötet die geistig umnachtete Lucia di Lammermoor in ihrer Hochzeitsnacht jenen Bräutigam, mit dem ihr Bruder sie vermählen wollte, um seinen Besitz zu sichern. Dort findet Norma im Tod auf dem Scheiterhaufen die Apotheose für jene verbotene Liebe, die sie auf Erden nicht leben darf. Dort fleht Gilda um die Gnade eines Vaters, der sie versehentlich selber ins Unheil getrieben hat. Dort ergibt sich Isolde den Klängen des Liebestodes und bricht - indem sie hysterisch den Tod Tristans nachahmt - entrückt über seiner Leiche zusammen.

Inbrünstig besingen all diese Töchter ihre grenzenlose Liebe, und sie klagen zugleich die Strenge eines Gesetzes an, welches die Freiheit ihres Begehrens beschränkt. Und sie beklagen, dass sie als Pfand in Machtbündnissen eingesetzt, von Männern betrogen, geschmäht und verraten werden, obgleich diese vorgeben, sie zu beschützen. Eine bezeichnende Umkehr hat stattgefunden: Aus dem mythischen Fabelwesen, das mit betörendem Gesang Männer ins Verderben lockte, sind in der Oper Heldinnen geworden, die sich mit besonderer Inbrunst selbst verschwenden.

Vom Tod selbst, auf den alles hinauslaufen muss, hat sich der Gesang dieser Heldinnen seine Autorität geliehen: Besonders konsequent ist darin die verführerische Carmen. An einen einzelnen Liebhaber will sie sich nicht binden, ist ihr die Freiheit des eigenen Begehrens doch wertvoller als jeder bürgerliche Treueschwur. Das Gesetz des Todes, welches sie in der Rachesucht ihres verschmähten Geliebten einholt, ist sie hingegen bereit anzuerkennen.

Essay: Diana Damrau in der Rolle der Lucia di Lammermoor. Am 22. und 27. Juli singt sie sie wieder im Nationaltheater.

Diana Damrau in der Rolle der Lucia di Lammermoor. Am 22. und 27. Juli singt sie sie wieder im Nationaltheater.

(Foto: Wilfried Hösl)

Ebenso konsequent erscheint da die Geste des Widerstandes der Tyrannenmörderin Tosca. Mit dem Sturz von der Engelsburg wird sie zur kühnen Spielleiterin einer vermeintlich ausweglosen politischen Lage. Im letzten Tableau triumphiert ihre zwischen Ertönen und Erlöschen in der Schwebe gehaltene Stimme als nachhaltiges Sinnbild weiblichen Aufbegehrens.

So kann nur bedingt über die Leichen dieser modernen Sirenen die Ordnung eines von Männern regulierten Machtsystems wiederhergestellt werden. Nur unvollständig lösen sich jene gefährlichen Stimmungen auf, von denen diese Opern ihren Zauber geliehen haben. Und manchmal flackert sogar eine Alternative auf, vor allem dann, wenn sich im weiblichen Vertauen an einen Neuanfang ein Widerstand gegen die Macht des Schicksals abzeichnet. Erinnern wir uns: Die Nachtgeweihte Isolde steht nicht allein auf der Bühne. Tauscht Brangäne im ersten Akt den Todestrank durch einen Liebestrank aus, warnt sie im Zweiten Akt die Liebenden, dass am Ende der Nacht unweigerlich ein Morgen anbrechen wird. Und sie ist es, die im dritten Akt ihrer Herrin die Kunde überbringt, König Marke sei bereit, den Liebeszauber zu verzeihen.

Bei Wagner schenkt man Brangänes Überlebenswillen wenig Gehör, zu stark ist der Wunsch nach Selbstverschwendung a la Isolde. Bei Puccini hingegen gibt es jene erstaunliche dramaturgische Wende, in der mal eine chinesische Prinzessin, mal die Wirtin eines Saloons ihre kraftvollen Stimmen einsetzen, nicht um zu betören, sondern um zu überzeugen. Es gilt schließlich, nichts anderes zu verhindern, als die Hinrichtung ihrer Geliebten. Indem diese Diven ihre Liebsten retten, retten sie am Ende wohl auch sich selbst. Denn in diesen Momenten kehrt sich die fatale Faszination für ihren, den weiblichen Gesang zur kreativen, lebensschöpfenden Kraft. Und ein neuer Tag bricht für beide an.

Geisteswissenschaftlerin Elisabeth Bronfen referiert am Sa., 27. Juni, bei Stadt der Frauen. Der Kongress dauert von 13 Uhr bis spät nachts, Alte Kongresshalle, Theresienhöhe 15

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