Essay:Die Männer von der Tankstelle

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Es kommt auf die Länge der Yachten an, verrät Wolfgang Kemps in seiner Typologie der russischen Oligarchen.

Von Fritz Göttler

Keiner will Oligarch sein, jeder der es ist, schielt insgeheim auf andere Begriffe: "Tycoon? - Das verstehen nur Leute, die alte Hollywood-Filme sehen. Plutokrat ist was für Micky-Maus-Leser. Mogul, da denkt man schon wieder an die große Zeit von Hollywood. Magnat? Geht schon eher, aber es bietet dem Oligarchen keine Perspektive." Von Anfang an, schon wenn er die Alternativen für den Begriff durchspielt, lässt der Kunsthistoriker Wolfgang Kemp Ironie anklingen - zweimal über das Hollywood-Studiosystem! - in seiner Typologie des modernen Oligarchen, jenes Großkapitalisten russischer oder ukrainischer Provenienz, der beim Zerfall der Sowjetunion sich entwickelt hat als ein neuer mehr oder weniger potenter global player der Finanz- und der politischen Welt.

Seine Schokoladenseite hatte der Künstler Oleg Nazarow in einer Ausstellung zum fünften Jahr, nachdem das Wort in der russischen Sprache sich eingebürgert hatte in der russischen Sprache, präsentiert: "In der Ausstellung zeigte der Künstler Porträts anerkannter Oligarchen aus Schokolade. Das sollte wohl zweierlei besagen: Ihr habt ein süßes Leben. Und: In jedem Moment könnt ihr aufgegessen werden. Die Show eröffnete im Dezember 2003. Da saß der reichste der Oligarchen Russlands, Michail Chodorkowski, seit etwas über einem Monat in Untersuchungshaft."

Top-Oligarchen sind neben Chodorkowski die Herren Deripaska, Achmetow, Wekselberg und viele andere. Sie sind - und wollen es doch gar nicht sein - die Neu-Reichen. Die wilde Phase nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989 haben sie zu Coups genutzt, die an die Frühzeit des Kapitalismus erinnern, mit einer Fülle von bilanztechnischen Tricks und der Nolens-volens-Unterstützung des maroden Staates. Heute haben sie ihr Geld offshore deponiert, in den Steuerparadiesen, die alle Welt nutzt. In Putin haben sie einen sehr mächtigen, nicht minder gewitzten Gegenspieler.

Im Augustheft des Merkur hatte Wolfgang Kemp eine Skizze seines "Oligarchen" vorgestellt, das Buchformat nutzt er nun, um seinen Helden immer neue Geschichten hinzuzuerzählen - bewusst und lustvoll bewegt er sich damit im Gegensatz zum Rest der Historiker, die sich lieber den Strukturen statt den Personen widmen - Wirtschaftseliten, Elitekartellen, Allokatoren, Korruptionsnetzwerken.

Jeder Oligarch besitzt natürlich eine Yacht. Und wird von ihr besessen

Der Oligarch ist stärker in der Materie geerdet als die amerikanischen globalen Milliardäre - Soros, Zuckerberg, Bezos -, die ihr Geld mit Digitalprodukten und -systemen machen, mit Investment, Einzelhandel, Medien. Der Oligarch arbeitet mit Rohstoffen, das begrenzt seinen Aktionsradius, so rangiert er auf der Forbes-Liste der reichsten Männer nicht in der ersten Hälfte. Vor der Wende, in den Jahren der Stagnation und Richtungslosigkeit, waren sie Männer des Laisser-faire, juvenil bohèmehaft, dann mussten sie plötzlich erwachsen werden. Nun haben sie alle hochkarätige Frauen - und teure Scheidungen von ihnen -, eine Super-Yacht, ein Apartment in London. Setzt Theresa May ihre Hoffnungen für das Nach-Brexit-Großbritannien auf die Oligarchen?

Die Yachten bilden den running gag des Buches und die Obsession seines Verfassers, die Oligarchen brauchen sie wie High-class-Müßiggänger und Filmstars, Kemp nennt sie gern mit Länge, Betriebskosten, Besatzung. Die längste ist die Eclipse, 162 Meter lang, sie gehört Roman Abramowitsch. Die von Wladimir Potanin, dem augenblicklich reichsten Mann Russlands, heißen Anastasia (76 Meter lang, benannt nach der Tochter) und Nirvana (88 Meter lang, benannt nach Nirvana). Die von Oleg Deripaska heißt Queen K, 72 Meter lang. Dort hat auch schon der Amerikaner John McCain gefeiert, seinen 70. Geburtstag, und vor seiner Amtszeit der spätere britische Wirtschaftsminister George Osborne. "Der Oligarch besitzt eine Yacht, aber er ist auch von ihr besessen . . ., ein Requisit, das den tendenziell oder partiell unsichtbaren Status des Oligarchen auf eigenartige Weise widerlegt und bestätigt".

In der modernen kapitalistischen Welt sind die Oligarchen aus dem wilden Osten immer vom Stigma der Lächerlichkeit bedroht - Russland, spottete John McCain, ist eine Tankstelle, die sich als Staat kostümiert. Aus Gründen der Seriosität hat deshalb Wiktor Wekselberg - Öl, Gas, Energie, seine Yacht heißt Tango, 77 Meter lang - das Fabergé-Museum gestiftet, das unter anderem neun der berühmten Fabergé-Eier enthält. Er hatte sie für hundert Millionen Dollar gekauft. Von der amerikanischen Verlegerfamilie Forbes.

© SZ vom 18.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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