Süddeutsche Zeitung

"Es reicht!" von Alice Schwarzer:Viele Ausrufezeichen, wenig Fragen

Alice Schwarzer hat die sachlichsten und klarsten Anmerkungen in der Brüderle-Debatte gemacht. Doch in ihrer Textsammlung "Es reicht!" finden sie keinen Raum. Der offenbar in Eile und lieblos zusammengeklatschte Band regt kaum dazu an, weiter zu diskutieren.

Von Viktoria Großmann

Ausrufezeichen! Und noch eines! Und noch eines, nicht nur am Ende der Sätze, nein, gleich zu Beginn jedes Artikels in dieser Textsammlung, in der Alice Schwarzer Interviews und Reportagen nicht nur zur jüngsten, sondern auch zu vorangegangenen Sexismus-Debatten zusammengestellt hat. Das gedruckte Buch wird gern als Ehrung einer längeren, öffentlichen Debatte eingesetzt. Meistens wird mit dieser Art der Krönung zugleich die Diskussion - trotz gegenteiliger Absichtsbekundung - beendet, schlimmstenfalls versenkt.

Schwarzer schlüpft mit "Es reicht!" einmal mehr in ihre Historikerinnen-Rolle, in der sie daran erinnert, dass der Kampf gegen den Sexismus ebenso wie der lange Weg zur Emanzipation Tradition hat. Dass er aber immer wieder ins Stocken gerät, weil seine Debatten und Fortschritte, vergessen, verdeckt, beschwiegen werden. Schwarzer spricht gar von "systematisch erzeugter Geschichtslosigkeit der Frauen". Und so versammelt der 160 Seiten umfassende Band Artikel aus der Zeitschrift Emma von 1991 bis heute und eine Chronik der Debatte, die schon im Jahre 1972 ansetzt. Damals wurde in den USA der Civil Rights Act über die Gleichbehandlung aller Menschen erweitert, sodass nun Arbeitgeber wegen Diskriminierung belangt werden konnten.

Fraglich ist, ob der Auftritt der richtige ist, um mehr als eine verschworene Leserschaft zu erreichen. Im Buch schreiben 14 Autorinnen und ein Autor, insgesamt also 15 AutorInnen. Darunter Ursula von der Leyen, die dankbar die Gelegenheit annimmt, für die Quote zu werben, die sie nun vorerst doch nicht durchsetzen wird. Und Mikael Krogerus, halb Finne, halb Schwede, schreibt nicht etwa über Deutschland, sondern über die paradiesischen Zustände in Skandinavien, wo sowieso alles besser ist und Gleichstellung wie ein Menschenrecht behandelt wird.

Fragen über Fragen

Schwarzer möchte, so schreibt sie im Vorwort, mit dem Buch die Spaltung der Generationen überwinden. Ein sinnvolles Anliegen, aber warum nicht mal zur Abwechslung die Spaltung der Geschlechter überwinden? Anne Wizorek, die jenen #Aufschrei auf Twitter begonnen hat, erklärt im Buch: "Feministinnen haben ein deutlich besseres Männerbild." Weil sie nämlich Männern etwas zutrauen und sie nicht für unabänderlich tierischen Trieben ausgeliefert halten. Wie schön wäre es gewesen, wären einige von diesen "einsichtigen" Männern, wie Krogerus sie nennt, in diesem Buch zu Wort gekommen. Irgendwo müssen sie doch zu finden sein, die Chefs, die Ehemänner, die Kollegen, die sich empören, die sich unter Generalverdacht fühlen, die etwas ändern wollen. Schließlich - die Väter. Fast noch wichtiger allerdings: die Mütter.

Da konstatiert Michaela Rosenberger von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten: "Es ist wirklich erschreckend, dass wir nicht endlich mal eine Generation von Männern haben, die respektvoll mit Frauen umgehen." Hotelangestellte und Serviererinnen, für die sie spricht, werden offenbar besonders häufig am Arbeitsplatz belästigt. Nicht nur von Mitarbeitern, sondern auch von Gästen. Tja. Wer hätte es den Männern beibringen müssen? Die Eltern, die Schule, die Gesellschaft?

Die Debatte gebiert in erster Linie Fragen, immer wieder neue Fragen. Texte, in denen Frauen immer nur Opfer sind, können diese Fragen nicht beantworten. Sie werden der offenen Diskussion nicht gerecht und auch nicht einer Gesellschaft, die sich - zwar in Zeitlupe - aber dennoch wandelt. Unrecht soll als Unrecht erkannt, beschrieben und verurteilt werden, auf dass es nicht wieder geschehe. Auf Dauer aber reichen die Rollen von Opfer und Anklägerin in einem nicht aus. Darüber ist die Gesellschaft nun zum Glück doch schon hinausgewachsen.

Um das zu erkennen, hätte es - nicht nur in diesem Buch - einer schärferen begrifflichen Trennung bedurft. Alice Schwarzer befindet im Vorwort, das englische Wort "harassment", das nicht nur Belästigung, sondern auch Bedrohung bedeutet, als treffender für den Gegenstand der Debatte. Damit ist sie bei der Zielperson: der Frau als (wehrhaftem) Opfer.

In jenem Stern-Artikel vom Januar war aber nicht eine Frau Opfer einer Bedrohung, sondern ein alter Mann Opfer seines schlechten Benehmens. Er hat sich lächerlich gemacht. Sie hat ihn - zu Recht - bloßgestellt. Dieser Teil und eigentliche Beginn der Debatte findet im Buch keinen Raum. Alice Schwarzer hat einige der sachlichsten und klarsten Anmerkungen in der Debatte, die auf den Brüderle-Artikel im Stern folgte, gemacht. Doch der offenbar in Eile und lieblos zusammengeklatschte Band regt kaum dazu an, weiter zu diskutieren. Zu viele Ausrufezeichen, zu wenige Fragen. Diskussion versenkt!

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SZ vom 18.04.2013/mkoh
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