Süddeutsche Zeitung

"Es Kapitel Zwei" im Kino:Das Klassentreffen des Grauens

Im zweiten Teil von Stephen Kings Horrorklassiker sind es weniger die Reißzähne des Clowns, die Angst einjagen, sondern das Thema: Der Schrecken des Erwachsenwerdens.

Von David Steinitz

Wie Kokain sich auf die Schaffenskraft auswirkt, wenn es in größeren Mengen durch Schriftstellerköpfe rauscht, dafür ist das Werk von Stephen King ein interessantes Beispiel.

Der Autor hatte in den Achtzigerjahren eine, vorsichtig gesagt, recht euphorische Schreibphase, in der er einen ganzen Berg an 1000-Seitern verfasste, die im letzten Drittel meist einen ungefilterten Gagawahnsinn entfalten, auf den man vermutlich nur mithilfe kolumbianischer Entspannungspülverchen kommt. Darüber hat sich der heute 71-Jährige, der längst clean und bei nüchternem Verstand ist, oft selbst lustig gemacht, zum Beispiel in seinen Memoiren "Das Leben und Schreiben".

Das Musterbeispiel dieser Phase ist sein Mammutroman "Es" aus dem Jahr 1986. Darin erzählt er von sieben Kindern, sechs Jungs und einem Mädchen, an der Schwelle zur Adoleszenz in der fiktiven Kleinstadt Derry im ländlichen Maine. Das Buch ist einerseits eine schöne Coming-of-Age-Erzählung über den letzten, heißen, unvergesslichen Sommer der Kindheit. Denn wie das Leben und die erste Liebe und die heiße Sommersonne im Gesicht sich mit elf, zwölf, dreizehn Jahren anfühlen, dafür hat King sich ein besseres Gedächtnis bewahrt als die meisten Erwachsenen. Auch kann er sehr tragikomisch von dem rassistischen, antisemitischen und misogynen Wahnsinn erzählen, der sich im US-Hinterland abspielt: "Es" wirkt wie die Vision einer Welt, in der Donald Trump seit mindestens 50 Jahren Präsident ist.

Teil eins wurde mit 700 Millionen Dollar der erfolgreichste Horrorfilm aller Zeiten

Allerdings taucht auch ein Horrorclown auf in diesem Buch, der in der Kanalisation haust und den die Jugendlichen besiegen müssen. Bei dieser Schlacht mit der Zirkusversion des Teufels hat King wirklich alle Koksparanoiaschrecken auf Papier festgehalten, die ihm so eingefallen sind. Da gibt es am Ende zum Beispiel eine völlig irre Passage über eine riesige Schildkröte, die einst das Universum ausspuckte, Ausführungen über ein Ritual namens "Chüd", mit dem man das Böse besiegen kann, und, kein Witz, eine etwas verstörende Gruppensexszene, in der die erwachsen gewordenen Protagonisten sich daran erinnern, wie sie als Kinder dem erotischen Wahnsinn verfallen sind.

Nun sind Orgien unter Minderjährigen eher kein Standardelement des amerikanischen Mainstreamkinos, weshalb man sich den Regisseur Andy Muschietti sehr gut dabei vorstellen kann, wie er sich, über das Buch gebeugt, die Haare gerauft hat bei der Frage, wie er das nur verfilmen soll. Und verfilmen musste er es. Denn seine Adaption der ersten Hälfte von Kings Buch wurde 2017 zum Überraschungshit und ist der kommerziell erfolgreichste Horrorfilm aller Zeiten, erfolgreicher als alle Exorzist-Scream-Psycho-Halloween-Saw-Dracula-Alien-Filme, die es jemals gab. Über 700 Millionen Dollar hat das Studio Warner Brothers damit eingenommen. Das ist eine Liga, in der sonst nur Superheldenblockbuster und Animationsfilme spielen, weshalb in Hollywood gerade King-Revival herrscht und so ziemlich jedes Blatt, dass der Mann jemals vollgeschrieben hat, verfilmt wird. Natürlich gab es auch blitzschnell grünes Licht für "Es Kapitel 2". Dass das Finale des Buchs ein unverfilmbarer Esoterikhorrorsalat ist, greift Muschietti mit einem kleinen Witz auf, für den er den Meister persönlich rekrutiert hat - Stephen King ist in Teil zwei in einem Gastauftritt zu sehen. Er spielt einen Trödelladenbesitzer, zu dem einer der Protagonisten kommt, den man als Alter Ego verstehen darf: Er ist ein berühmter Horrorautor. Der sieht auf dem Verkaufstresen einen seiner Bestseller liegen und fragt generös, ob er ihn signieren soll. "Nein danke", winkt Stephen King als Trödelhändler ab, "das Ende war Mist."

Für Teil eins hatte Andy Muschietti bei fast all seinen Entscheidungen ein fast schon unverschämt goldenes Regisseurshändchen bewiesen. Vor allem die Verlegung der Kindheitsnostalgiehandlung von den Fünfzigerjahren, in denen sie im Roman spielt, in die Achtziger, war im Zuge des "Stranger Things"-Hypes natürlich ein Volltreffer. Dass die Netflix-Serie sich schon kurz zuvor recht frech aus Stephen Kings Gesamtwerk und speziell aus "Es" bedient hatte, erwies sich für die Kinofassung des Originals eher als förderlich denn als schädlich. Der Film wurde - wie "Stranger Things" - ein nostalgisches Horrormärchen über die letzte Kindheitsgeneration vor der Digitalisierung und eine Hommage ans alte Monsterkino, als das Horrorgenre noch ohne pornografische Folterorgien auskam. Serie und Film sind sich in ihrer popkulturellen Kinosozialisation sogar so nah, dass den Machern teilweise auch die gleichen Darsteller in den Sinn kamen. Einer der jungen Serienschauspieler, Finn Wolfhard, wurde auch für die Kinderbande in "Es" besetzt.

Für einige Rückblenden flüchtet der Regisseur sich auch in Teil zwei in die neonfarbene Zauberwürfelseligkeit der Achtzigerjahre zurück, die derzeit das Lieblingserinnerungsmekka der Zuschauer zu sein scheinen, wenn auch die Realität vermutlich sehr viel öder war. Über weite Strecken aber erzählt das zweite Filmkapitel von der Gegenwart, in der die erwachsen gewordenen Protagonisten noch mal gegen den zurückgekehrten Clown Pennywise (Bill Skarsgård) antreten müssen. Dessen computeranimierte Fratzen gehen einem bei der Überlänge dieses Films (zwei Stunden und neunundvierzig Minuten) irgendwann ein bisschen auf die Nerven, und so richtig unheimlich ist das siebte Zähnefletschen dann auch nicht mehr. Auch wenn die Kindersexszene natürlich rausgeflogen ist, vertraut Muschietti etwas zu sehr auf den esoterischen Hokuspokus des Romans bei der Eliminierung des Clowns. Ein Kinoerlebnis ist der Film aber trotzdem, wenn auch, wie schon die zweite Hälfte des Buchs, aus einem anderen Grund.

Weil die Kids von damals den üblichen Vertrottelungsprozess durchlaufen haben, der in der Regel einsetzt, wenn man erwachsen - also ignorant und egozentrisch - wird, besteht der Horror dieser Fortsetzung weniger im Clown als in den Biografien der Protagonisten. Die stehen nämlich alle sieben dafür, dass sich das Leben im schlechtesten Fall als selbsterfüllende Prophezeiung entpuppt, weil man all das macht, wogegen man sich als Kind vehement gesträubt hat. Das freche Mädchen Beverly (Jessica Chastain) zum Beispiel hat eine Reinkarnation ihres Vaters geheiratet und lässt sich weiterhin mit dem Gürtel verprügeln; der gutmütige Mike (Isaiah Mustafa) ist in der Kleinstadt hängen geblieben, die er als Dreizehnjähriger für immer hinter sich zu lassen schwor; und der übergewichtige Ben (Jay Ryan) hat zwar seinen Babyspeck gegen ein Sixpack eingetauscht, ist aber genau der Single geblieben, der er niemals sein wollte. Gegen diese Wiedersehensdepression wirkt der kinderfressende Clown Pennywise fast schon wie das kleinere Übel.

It Chapter Two, USA 2019 - Regie: Andy Muschietti. Buch: Gary Dauberman nach dem Roman von Stephen King. Mit: Jessica Chastain, James McAvoy, Stephen King. Warner, 169 Minuten.

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SZ vom 04.09.2019/luch
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