Süddeutsche Zeitung

Erzählband zu Afrika:Kinder ohne Anlass zur Hoffnung

Wie viel Dummheit und Gewalt lässt Gott zu? Der Nigerianer Uwem Akpan erzählt in seinem literarischen Debüt von den Grausamkeiten Afrikas und den verlorenen Kindern des Kontinents. Das Ungewöhnliche: Der Autor ist Priester - und stellt Fragen zum eigenen Glauben.

Von Tim Neshitov

Priester stellen selten Fragen zum eigenen Glauben. Zu ihren Aufgaben gehört es vielmehr, Fragen zu beantworten, beziehungsweise die Antworten, welche die Bibel gibt, zu deuten. Der nigerianische Priester Uwem Akpan gehört zu jenen, die gerne selber Fragen stellen. Er hat einen Erzählungsband über Afrikas Grausamkeiten und über Afrikas Kinder veröffentlicht - und über die Fragen, die gläubige Menschen stellen - oder eben nicht stellen -, wenn im Namen ihres Gottes oder an ihrem Gott vorbei Kinder leiden. Akpans "Sag, dass du eine von ihnen bist" erzählt von Klebstoffschnüfflern in den Slums von Nairobi, von äthiopischen Kindern während der Straßenkämpfe zwischen Christen und Muslimen, von ruandischen Kindern während des Völkermords von 1994. Es ist Uwem Akpans erstes Buch und ein insgesamt gelungenes Debüt. Erst in diesem Jahr, vier Jahre nach der Veröffentlichung des englischsprachigen Originals, ist es auf Deutsch erschienen.

Die fünf Geschichten haben sehr unterschiedliche Längen. Eine umfasst neun Seiten, eine andere 140. Akpan experimentiert mit Chronologien, Dialekten, Erzählperspektiven, als wollte er Afrika als Ganzes erfassen, als ein Areal, auf dem man Gottes Wirken besonders gut untersuchen kann. Die Erzählung "Wie redest du denn?" ist in der ungewöhnlichen Du-Perspektive geschrieben. "Du sagtest, dir gefielen ihre Grübchen, die langen Beine und ihre Handschrift. Ihr hattet beide eine Vorliebe für Smilinig Cow-Toffees. Sie war das jüngste Kind ihrer Familie; du warst ein Einzelkind. Die Welt war gerade groß genug für euch beide und eure Geheimsprache ein endloses Gekicher, um das die anderen Kinder euch beneideten."

Zwei sechsjährige Mädchen in der äthiopischen Provinz, eines lebt in einem roten, zweistöckigen Haus, das andere in einem braunen, zweistöckigen Haus gegenüber. Das eine ist Christin, das andere Muslima, sie sind beste Freundinnen, bis eines Morgens die Straßen im Viertel leer bleiben und es verbrannt riecht. Die Eltern der Mädchen sind sich plötzlich spinnefeind, aber die Kinder verstehen nicht, was los ist. Sie schleichen sich auf ihre Balkons. "Du hast den Mund aufgemacht und gelacht, hast alle Zähne blitzen lassen. Du hast eine Umarmung gemimt. Sie schien verwirrt. Du hast den Wind mit beiden Händen umarmt und getan, als würdest du einer Freundin einen Kuss auf die Wange drücken. Sie hat sich gleich selbst umarmt und dir einen Kuss zurückgeschickt."

Was heißt "una"?

Akpan stammt aus dem südnigerianischen Dorf Ikot Akpan Eda, wo seine Eltern Lehrer waren. Als Kind las er gekürzte Versionen von Shakespeares Werken und lauschte den Geschichten der Dorfältesten, die sich nach der Messe bei Palmwein versammelten. Er hat "Creative Writing" an der University of Michigan studiert und schreibt in einer klaren, melodischen Sprache, die sehr empfindlich für Überflüssiges ist. Das Spiel mit der Du-Perspektive etwa, bei dem nicht aufgeschlüsselt wird, in welchem Verhältnis der Erzähler zu den beiden äthiopischen Mädchen steht, ist überflüssig. Auch die zahlreichen Einsprengsel von Lokalsprachen, gemischt mit dem Französischen und in der deutschen Übersetzung auch mit dem Englischen, steuern nicht nur Kolorit bei, sondern lenken oft vom Erzählstrang ab.

Wie in der Geschichte "Mästen für Gabun"; da spricht der Onkel zweier Kinder aus Benin, die er als Sklaven ins Ausland verkaufen will, über das eigene entstellte Gesicht: "Keine Angst, wenn ich viel, viel Geld hab, lass ich mich operieren . . . hab dann nicht mehr die ganze Zeit 'n Grinsegesicht wie jetzt. N'do na dio-Gesicht se, Militärgesicht. Dann weiß una nicht mehr, ob ich sauer bin oder traurig oder ob ich lüge." Was heißt "una"? Das sagt dem Leser weder der Autor noch der Übersetzer.

"Mästen für Gabun" liest sich wie eine gut recherchierte Reportage über westafrikanische Menschenhändler und ihre Opfer. Man sieht dem zehnjährigen Kotchikpa und seiner fünfjährigen Schwester Yewa dabei zu, wie sie rund gefüttert und an den Anblick des männlichen Geschlechtsorgans gewöhnt werden, wie sie ihren angeblichen Adoptiveltern begegnen und eine erfundene Familiengeschichte auswendig lernen für den Fall, dass sie auf der Überfahrt nach Gabun von bösen Grenzbeamten kontrolliert werden. Gabun ist in dieser Kinderwelt ein Synonym für das Paradies. Langsam ahnt Kotchikpa aber, was auf ihn und seine Schwester zukommt, und plant die Flucht. Gleichzeitig verfolgt der Leser, wie im Schleuser-Onkel das Gewissen erwacht, wie nun auch dieser die Flucht plant vor der mächtigen Bande, dessen Mitglied er nicht mehr sein will.

Es gibt bei Uwem Akpan keine Happy Ends. Er schildert eine düstere Welt, in der es keinen Anlass zur Hoffnung gibt. Auch wenn vor dem Hintergrund der Misere manche Tugenden wie Selbstaufopferung besonders ehrenwert erscheinen. In "Ein Weihnachtsessen" füttert eine minderjährige Prostituierte in Nairobi ihre ganze Straßenfamilie durch. Sie lässt sich zur Belustigung weißer Sextouristen auch von einem Affen penetrieren. Damit ihr Bruder zur Schule gehen kann. Diese Geschichte erschien bereits 2005 im New Yorker. Im Interview mit dem Magazin kündigte Akpan damals sein Buch über Afrikas Kinder an: "Ich würde mich gerne in den Kopf eines Kindersoldaten in Sierra Leone hineindenken. Es ist schrecklich und schmerzlich. Und die Welt schaut weg. Ich glaube, Belletristik erlaubt uns für eine Weile, uns zu Menschen hinzuzusetzen, denen wir sonst nicht gerne begegnen würden."

Diese irren Abers, die Nigeria heimsuchen

Uwem Akpan hat sich zwar nicht mit Kindersoldaten in Sierra Leone getroffen, aber seinen Anspruch, literarischer Chronist Afrikas zu werden, hat er erfüllt. Er ist jemand, der nicht wegsehen will. Und der angesichts dessen, was er sieht, Fragen stellt. "Wenn du mich nicht gutheißt und meine Absicht, zu meinen Wurzeln im Süden zurückzukommen, wenn du mich nicht sicher heimgeleitest, wer dann?", wendet sich in der Erzählung "Luxusleichenwagen" ein sechzehnjähriger Flüchtling an Gott. Er heißt Jubril und flieht aus dem Norden Nigerias, weil - ja, warum eigentlich? Weil dort gerade Muslime Christen abmetzeln. Jubril aber ist Muslim. Aber - und Akpan erklärt diese irren Abers, die Nigeria seit der Kolonialzeit heimsuchen - aber ursprünglich kommt sein Vater aus dem christlich geprägten Süden, was ein Grund für Jubrils Freunde ist, im Blutrausch auch auf ihn loszugehen. Einst stach Jubril selbst Christen ab und zündete Kirchen an, nun redet er mit Gott.

Er flieht in einem Bus voller Christen und gibt sich als einer von ihnen aus. Im Bus fahren auch Anhänger vorchristlicher Religionen, und man streitet darüber, was Christentum und Islam Afrika gebracht haben außer Hass und Gewalt. Die Passagiere sind größtenteils lieb zu Jubril - bis sie die fehlende Hand entdecken. Jubril wurde in seinem Dorf bei Diebstahl erwischt und verlor die rechte Hand. Nun wird er von den Flüchtlingen erschlagen, zusammen mit einem Soldaten, der ihn schützen will. Der Hund des Soldaten, Nduese, hustet die ganze Zeit, er ist krank. "Nduese stand vor den beiden Leichen und bellte immer wieder den Himmel an. Der Hund hielt den noch zuckenden, protestierenden Armstumpf für ein Zeichen von Leben."

Akpan stellt auf eine sehr lesenswerte Weise die sehr alte Frage, warum und wie viel menschliche Dummheit und Bosheit Gott zulässt. Eine Antwort darauf gibt der Schriftsteller nicht. Er lässt stattdessen einen Hund den Himmel anbellen. In der letzten Geschichte im Band sagt eine ruandische Mutter zu ihrer neunjährigen Tochter: "Wenn sie dich fragen, sag, du bist eine von ihnen, okay?" Diese Mutter, eine Tutsi, wird kurz darauf von ihrem eigenen Mann erschlagen, einem Hutu.

Uwem Akpan: Sag, dass du eine von ihnen bist. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 368 Seiten, 24,95 Euro.

Uwem Akpan, geboren 1971 in einem kleinen Dorf in Nigeria, lehrt derzeit als Gastprofessor an der Universität Michigan. Er studierte Philosophie, Englisch und Theologie und wurde 2003 zum katholischen Priester ordiniert.

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SZ vom 14.12.2012/ihe
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