Berlin:Satire ist jetzt Wurm-Sache

Mit Ironie muss man seit Böhmermann vorsichtig sein. Erwin Wurm stellt trotzdem in Berlin aus - in bewährt lustiger Manier.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

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Erwin Wurm

Quelle: Erwin Wurm, VG Bild-Kunst Bonn, 2016, Foto: Amin Akhtar

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Seit der arg strapazierten Böhmermann-Affäre ist das nicht mehr so einfach: Darf man als Künstler noch Satire bringen? Ist eine Schmähkritik der Gesellschaft fehl am Platz? Wird Ironie überhaupt noch verstanden?

Wer eine Form der Ironie erleben will, die wirklich witzig ist und funktioniert, der besuche jetzt die Austellung "Bei Mutti" von Erwin Wurm in der Berlinischen Galerie. Bevor aber nun wieder politische Verstrickungen bemüht werden: Mit "Mutti" ist nicht Merkel gemeint, sondern tatsächlich die Mutter des Künstlers.

Erwin Wurm

Quelle: Erwin Wurm, VG Bild-Kunst Bonn, 2016, Foto: Amin Akhtar

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Wurm, aufgewachsen in Österreich, wo er mit 61 Jahren immer noch lebt, zeigt in dem hier aufgestellten "Narrow House" die Enge seiner Kindheit und die der österreichischen Gesellschaft der Nachkriegszeit sowie die Spießigkeit der Provinz. Mit einem - fast - originalgetreuen Nachbau seines Elternhauses.

Erwin Wurm

Quelle: Erwin Wurm, VG Bild-Kunst Bonn, 2016, Foto: Amin Akhtar

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In diesem Haus von normaler Höhe und Breite aber nur gut einem Meter Tiefe ist alles so schmal, dass der Besucher kaum atmen kann, ...

Erwin Wurm Haus; Erwin Wurm

Quelle: Erwin Wurm, VG BILD-KUNST Bonn, 2016, Foto: Studio Wurm

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... und so klaustrophobisch, dass es einen würgt. Mit voller Absicht: Wurm, der bis heute unter seinem Namen leidet (an der Kunstakademie in Wien nannten sie ihn "Würmchen"), zählt auch deshalb zu den erfolgreichsten Künstlern der Gegenwart (und wird 2017 den österreichischen Pavillon auf der Biennale in Venedig gestalten), weil er seine Betrachter immer wieder herausfordert.

Erwin Wurm

Quelle: Galerie Thaddaeus Ropac, Salzburg, Paris/ VG Bild-Kunst Bonn, 2016/Foto: Studio Erwin Wurm

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Nicht schön, aber selten ist das, was Wurm mit Besuchern macht. "One Minute Sculptures" heißen die Wesen, mit denen er berühmt geworden ist: normale Menschen, die sich Alltagsgegenstände in die Nase stecken.

Erwin Wurm

Quelle: Galerie Thaddaeus Ropac, Salzburg, Paris/ VG Bild-Kunst Bonn, 2016/Foto: Studio Erwin Wurm

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Menschen, die sich einen Stuhl auf den Kopf setzen und dann "Idiot" genannt werden. Oder Menschen, die sich wahlweise Bananen oder Bücher zwischen die Beine klemmen.

Erwin Wurm

Quelle: Galerie Thaddaeus Ropac, Salzburg, Paris/ VG Bild-Kunst Bonn, 2016/Foto: Studio Erwin Wurm

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Er mache aber kaum noch Fotos davon, bekannte Wurm gerade in einem Interview, denn inzwischen würden sogar Firmen anfragen, ob er nicht Minutenskulpturen für die Betriebsfeier entwerfen könne. Mit dieser Art von Beliebtheit muss der Künstler wohl leben. Spätestens seit 2002 die Red Hot Chili Peppers in ihrem Video zu "Can't Stop" seine Personenskulpturen würdigten, ist offensichtlich, dass Wurm rockt.

Erwin Wurm

Quelle: Erwin Wurm, VG BILD KUNST 2016, courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, Salzburg, Foto: Eva Würdinger

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Außer für seine Publikums-Skulpturen, die in Berlin munter mit diversen Gegenständen an verschiedenen Körperteilen durch die Ausstellung irren oder sich auf Tennisbälle legen, ist Wurm für seine Plastiken berühmt, die aus der Form geraten: Einen Porsche blies er vom sportlichen Traumwagen zum wulstigen "Fat Car" auf - um die Wohlstandsverwahrlosung und bräsige Zurschaustellung unserer Leistungsgesellschaft zu spiegeln. 2008 schuf er ein Selbstporträt als sehr große Essiggurke. Sie steht heute in Berlin vor der Tür.

Erwin Wurm

Quelle: Erwin Wurm, VG BILD KUNST 2016, courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, Salzburg, Foto: Eva Würdinger

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Es ist der Pathos, der ihm fremd ist und den er immer wieder zu unterlaufen versucht, indem er Dinge, die der heutigen Gesellschaft so wichtig sind (Autos, Handies, Möbel als Statussymbole), deformiert und damit dekonstruiert. Vielleicht ist die Pathos-Verachtung vielen Humoristen gemein - sicher ist, dass das der Punkt ist, über den sich ihre Gegner am meisten ärgern: Majestätsbeleidigung, Störungen der heiligen Ordnung und auch das Angreifen des Ego gehören dazu.

In Berlin, wo Wurm vor fast 30 Jahren als Stipendiat war, sind auch ganz neue Arbeiten zu sehen: neben einem wie ein zu heißer Marshmallow zerfließenden Sessel auch dieses zerbissene Smartphone in angesagtem Rosagold.

Erwin Wurm

Quelle: Erwin Wurm, VG BILD KUNST, Bonn 2016, courtesy Studio Erwin Wurm

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Erstmals sind auch Zeichnungen des Künstlers ausgestellt, die als Anleitungen zu seiner skurrilen Skulpturenwelt zu lesen sind: Dem einen hängt ein Hammer aus dem Mund, dem anderen wächst ein Blumenstrauß aus der Hose. Dazu die Anweisung: "Open your trowsers, put flowers in it and don't think". Selten wurde im Museum so viel gekichert. Doch bei aller Albernheit: Wurm will nicht, dass seine Kunst nur als oberflächlich witzig empfunden wird.

Kleidung, häusliche Umgebung und Alltagsgegenstände werden bei ihm zu einer Erweiterung des menschlichen Körpers. Damit will er eine lähmende Abhängigkeit des Menschen von sozialen und physikalischen Rahmenbedingungen demonstrieren. Auto, Schönheits- und Jugendwahn sowie eine Welt der Anleitungen fürs Leben, die zwischen Autorität und Irrsinn schwankt, sind seine Themen.

Erwin Wurm

Quelle: Erwin Wurm, VG BILD KUNST, Bonn 2016, courtesy Studio Erwin Wurm

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Sehr lustig ist sein Büchlein, das die Welt der Ratgeberliteratur und den allumfassenden Selbstoptimierungswahn persifliert: "Konfektionsgröße 50 zu 54 in acht Tagen" propagiert ein Leben im Liegen mit viel TV-Konsum. Unterbrochen von vier äußerst deftigen Mahlzeiten am Tag, die mit einem abendlichen Liter Rotwein heruntergespült und durch Verstopfungstee an der Verdauung gehindert werden. Früh ins Bett gehen, lange schlafen und nachts noch drei Krapfen zu essen, gehört selbstredend dazu.

Wurm sagt: "Egal, ob wir mithilfe eines Ernährungsplans oder einer bestimmten philosophischen Haltung das Leben zu meistern versuchen, letzten Endes scheitern wir alle!"

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Quelle: Erwin Wurm, 2014, © Inge Prader

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Wurm stammt noch aus einer Generation, die sich gegen den Vater durchsetzen musste, um Künstler zu werden. Wie er selbst in Interviews erzählt, war sein Vater, ein Polizeibeamter, einst Nazi - und ein Sohn, der Künstler werden wollte, für diesen prädestiniert als Krimineller.

"Humor ist eine Waffe", beliebt Wurm zu betonen, und dass die Österreicher in der Lage seien, mit ihrem Charme eine richtige Sauerei zu servieren, ohne dass der andere es merke. Bei Wurm jedenfalls merkt der Betrachter: Diese Kunst ist nicht nur spaßig, sondern auch scharf gewürzt.

Die Ausstellung läuft bis zum 22. August, weitere Infos hier.

© SZ.de/rus/jobr
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