Süddeutsche Zeitung

Erster Gropius-Bau wird Unesco-Welterbe:"Ich habe gelernt, das Denkmal zu lieben"

Ernst Greten ist der Urenkel von Carl Benscheidt, der vor genau hundert Jahren den noch unbekannten Walter Gropius mit dem Bau seiner Schuhleistenfabrik beauftragt hatte - das erste Bauhaus-Werk, welches der heutige Firmenchef Greten erst spät zu schätzen lernte.

Katja Schnitzler

Ernst Greten, 66, übernahm 1974 gemeinsam mit seinem Bruder Gerd das Fagus-Werk im niedersächsischen Alfeld. Ihr Urgroßvater Carl Benscheidt hatte 1911 den damals noch unbekannten Architekten Walter Gropius mit der Gestaltung der Schuhleisten-Fabrik beauftragt. Das Erstlingswerk gilt als Ursprungsbau des Bauhaus-Stils. Nun hat die Unesco-Kommission entschieden, es als Welterbe für die Menschheit zu bewahren. Ein Gespräch mit Ernst Greten über ein wegweisendes Bauwerk, dessen wahren Wert er erst später zu schätzen lernte.

sueddeutsche.de: Herr Greten, Sie sind der Besitzer eines Gebäudes, das für die ganze Welt erhalten bleiben soll - was denken Sie, wenn Sie sich das bewusst machen?

Ernst Greten: Ich bin stolz, dass wir es bis dahin geschafft haben - der Weg war nicht einfach. Als ich mit meinem Bruder 1974 die Geschäftsleitung übernommen habe, mussten wir erst einmal den Betrieb wieder in Schwung bringen.

sueddeutsche.de: Und als das gelungen war, kümmerten Sie sich um die Hülle, das denkmalgeschützte Gebäude?

Greten: Früher verschwendete niemand einen Gedanken an Denkmalschutz. Die Wende kam 1980, ab da sollte erhalten werden, was erhaltenswert war - die Voraussetzung für finanzielle Mittel. Wir wollten eine behutsame Restaurierung in zehn Jahren schaffen. Es wurden 20 Jahre daraus. Eigentlich hätten wir nur ein Drittel der Kosten begleichen sollen, den Rest wollten sich Bund und Land teilen. Jetzt haben wir die Hälfte übernommen, aber das ist fair.

sueddeutsche.de: Kommen seit der Unesco-Bewerbung mehr Besucher zu Ihnen nach Alfeld?

Greten: In den letzten Monaten sind es wirklich mehr geworden. Sonst kommen bis zu 15.000 Menschen im Jahr. Nun warten wir ab, wie sich der Besucherstrom entwickelt, schließlich sind wir 50 Kilometer von Hannover etwas ab vom Schuss. Falls notwendig, könnten wir aber ein historisches Gebäude, das 'Spänehaus', zu einem Empfangszentrum machen, zusätzlich zu den bestehenden Ausstellungsräumen im früheren Lagerhaus.

sueddeutsche.de: Ihr Urgroßvater wäre zufrieden mit Ihnen?

Greten: Auf jeden Fall ist die Fabrik heute in einem noch besseren Zustand als zu der Zeit, als Gropius und mein Urgroßvater sie gebaut hatten. Walter Gropius hatte die Vision, aber noch nicht die heutigen Kenntnisse. Damals hat er die Stahl-Glas-Fassade einglasig gebaut. Heutzutage ist eine Doppelverglasung notwendig, um den Wärmeverlust zu dämmen - das war ein Riesenthema bei der Restaurierung. Daher haben wir Büros nun mit Doppelverglasungen und die Ecken und Treppenhäuser einglasig belassen. Ein Laie sieht das nicht.

sueddeutsche.de: Was gefällt Ihnen am besten am Gropius-Bau?

Greten: Die Fabrik ist genau hundert Jahre alt und kommt mir heute unglaublich modern vor. Auch Besucher können nicht glauben, wie alt die Fabrik schon ist. Die Lichtverhältnisse in den Büros sind durch die Vorhangfassade optimal. An der Fassade gefällt mir sehr, dass Gropius sehr viele optische Tricks anwendete. So steigt die Fenstergröße nach oben hin pro Fenster um wenige Millimeter. Vor allem gefällt mir die schlichte, schnörkellose Schönheit.

sueddeutsche.de: Gibt es Lieblingsplätze, an denen Sie sich besonders gerne aufhalten?

Greten: Ja, zum einen mein Büro, das im ersten Stock in der berühmten stützenlosen Ecke untergebracht ist, mit wunderbarem Blick auf die Sieben Berge. Dann das alte Kesselhaus, in dem sich heute unsere Kantine befindet, und der Eingangsbereich mit der frei schwebenden Treppe.

sueddeutsche.de: Hat Sie die Unesco-Bewerbung unter Druck gesetzt?

Greten: So sehe ich das nicht. Schon seit 1946 ist die gesamte Fabrik denkmalgeschützt, wir sind daran gewöhnt. Zum Glück ist das Grundstück groß, so dass neuere Bereiche außerhalb des geschützten Bereichs erbaut wurden, wir also kein Platzproblem haben. Und als die Produktion der Schuhleisten verkleinert wurde, haben wir für die freigewordenen Räume wieder eine neue Nutzungsmöglichkeit gesucht.

sueddeutsche.de: Warum haben sie nicht die ganze Produktion aus dem berühmten Hauptgebäude ausgelagert und dieses für Besucher geöffnet?

Greten: Das wollen wir nicht, ganz im Gegenteil: Wenn es irgendwie geht, bleibt die Schuhleistenproduktion im Hauptgebäude. Das ist das Besondere, dass wir ein lebendiges Denkmal sind. Hier arbeiten die Leute noch, mit ihnen können Besucher auf geführten Rundgängen sprechen - mit Schuhen kennt sich schließlich jeder aus. Wir wollen kein totes Denkmal, das höchstens noch kulturell genutzt wird.

sueddeutsche.de: Was sagen Ihre Mitarbeiter dazu, Teil eines Denkmals zu sein?

Greten: Es freut mich, dass sie das akzeptieren und stolz darauf sind, hier zu arbeiten. Was Gropius und mein Urgroßvater wollten, nämlich Licht und Sauberkeit am Arbeitsplatz, wird von unseren Mitarbeitern weiterhin honoriert. Es macht Spaß, dass dieses Denkmal nicht nur eine Art Hobby der Familie ist, sondern von allen Mitarbeitern mitgetragen wird.

sueddeutsche.de: Wie wirkt sich die Helligkeit in der Produktionshalle heute aus?

Greten: Die Schuhleisten-Modelleure müssen beurteilen, ob die Form des Leistens richtig ist oder noch ein Hundertstel abgenommen werden muss. Sie halten dafür den Leisten ins helle Licht und können so sehr gut arbeiten.

sueddeutsche.de: Was für einen Eindruck machte die lichte Glaskonstruktion auf Sie, als Sie das Werk das erste Mal betreten haben?

Greten: Mein Großvater hat mir die Fabrik gezeigt, da war ich etwa zehn Jahre alt. Das war schon beeindruckend, aber geprägt wurde ich anders: Mein Vater hatte eine Maschinenbaufabrik und war ein genialer Ingenieur und Erfinder - Denkmäler bedeuteten ihm nichts. So hatte ich wenig Vorbildung, als ich 1974 das Fagus-Werk übernahm ...

sueddeutsche.de: ... und wussten damals gar nicht, welchen Schatz Sie vor sich hatten?

Greten: Das habe ich erst langsam gelernt. Wir hatten großes Glück, denn ein befreundeter Architekt, Wilfried Köhnemann, dem der Wert des Gropius-Werkes sehr wohl bewusst war, hatte die neuen Büros behutsam eingebaut und einiges zur ursprünglichen Form zurückgeführt. Außerdem kamen immer wieder Architekten zu Besuch, um das Werk zu bewundern. Und wenn diese lange in Details vertieft waren, fragte ich nach, was es dort zu sehen gab. Mit jeder Erklärung lernte ich hinzu.

sueddeutsche.de: Inzwischen sehen Sie das Fagus-Werk also anders als einst Ihr Vater?

Greten: Ja, und das liegt auch an der Restaurierung und den Fragen des Denkmalschutzes, als zu klären war, was erhaltenswert ist und was nicht. Durch dieses Wissen habe ich eine gewisse Zuneigung, um nicht zu sagen Liebe zu dem Denkmal entwickelt. Und werde alles versuchen, es zu erhalten.

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