Erster Frauen-Profiboxkampf in Schweden:Vier Fäuste und zwei Push-Up-Bras

Im ersten schwedischen Profiboxkampf seit 37 Jahren ging es zuletzt um den Sport: Es war ein Fight gegen die Sozialdemokratie.

Andrian Kreye

Als das schwedische Schwergewicht Johan ,,TNT'' Thorbjörnson den Russen Daniel Peret vor knapp achttausend Zuschauern in der Göteborger Skandinavium-Arena in die Seile drängt, steht Rikard Lundby, der Sieger der Weltergewichtsrunde, am Kiosk und kauft sich eine Cola. Lundby trägt seine einsame Siegesfeier mit Fassung und seine Fleischwunde auf dem linken Wangenknochen wie einen Orden.

Åsa Sandell boxen

Nur, damit die Dinge klar werden: Die Dame rechts ist Laila Ali, die Tochter Muhammed Alis. Sie hat im Dezember, WBA, Superermittelgewicht, in der Max-Schmeling-Halle in Berlin gegen eben jene Asa Maria Sandell gewonnen, die ihrerseits gerade in Göteborg Tiffany Carter geschlagen hat. Aber von dem Kampf haben wir keine Bilder.

(Foto: Foto: ddp)

Eine halbe Stunde ist es her, dass er im ersten Profiboxkampfturnier, das seit 1970 auf schwedischem Boden ausgetragen wurde, seinen finnischen Gegner Tommy Heiniemi mit einer Abfolge sauber plazierter Kombinationen nach Punkten besiegte. Siebenunddreißig Jahre musste die schwedische Boxwelt auf diesen Abend warten, und sie dankt es den Kämpfern mit Jubeln, Klatschen, Schunkeln und einer Begeisterung, die viel größer ist, als es die Freude über einen guten Kampf je sein könnte. Denn es waren ja nicht nur medizinische Gründe, warum das Boxen verboten wurden.

Åsa Sandell, die ein Meter fünfundachtzig große Mittelgewichtsboxerin mit den flachsblonden Haaren, hat Journalismus und Literatur studiert. An diesem Abend bestreitet sie den Hauptkampf. ,,Boxen vertrug sich nicht mit dem sozialdemokratischen Selbstbild, das die Schweden Ende der sechziger Jahre von sich selber hatten'', erklärt sie. Schweden sei vielmehr stolz darauf gewesen, als eine Art Destillat der europäischen Nachkriegs-Tugenden zu gelten - als das Land, das einen neuen, ungeschriebenen Gesellschaftsvertrag besaß, das Land, in dem der große Traum vom großen Glück in der freien Marktwirtschaft gegen ein sozialdemokratisches Gefühl von Geborgenheit eingetauscht worden war. Es gibt sogar ein schwedisches Wort, das diese Mentalität der Zufriedenheit im Wohldosierten bezeichnet: ,,Lagom'' heißt es, ,,mittel'' und daher gut. Denn mehr wäre zu viel und weniger zu wenig.

Heavy Metal und Trockeneis

Kein Wunder, dass sich in der jüngeren schwedischen Populärkultur auch immer wieder der Überdruss am ewigen Mittelweg der sozialdemokratischen Konsenskultur manifestierte, den einst die Gruppe Abba verkörperte. Deswegen war der schwedische Heavy Metal schon immer ein wenig finsterer, der Punk ein wenig großmäuliger und die Boxer im meist amerikanischen Exil ein Quentchen entschlossener.

Åsa Sandell beispielsweise trainiert seit gut einem Jahr im Gleason's Boxing Gym in Brooklyn, dem legendären Boxclub, in dem schon Jake LaMotta, Muhammad Ali und Mike Tyson arbeiteten. Dort trifft man sie an sieben Tagen in der Woche. Wenn sie nicht im Ring steht oder auf Sandsäcke eindrischt, sitzt sie an der Streckbank ihres Trainers Lennox Blackmore und schreibt dort ihre Kolumnen für die schwedische Tageszeitung Helsingborgs Dagblad. In Schweden ist sie ein Star, weniger weil sie schon gegen Weltmeisterin Laila Ali gekämpft hat, sondern weil sie es gewagt hat, den Mittelweg zu verlassen und in New York ihr Glück zu versuchen.

Wally Munteanu, einer der beiden Veranstalter, die früher selbst als Boxprofis im Ausland kämpfen mussten, sieht das ähnlich. ,,Das Verbot war auch eine Klassenfrage. Boxen war ein Sport der armen Leute. Da war immer Halbwelt und Schwarzgeld im Spiel, das passte nicht ins saubere Schweden. Das Amateurboxen war ja weiterhin erlaubt.'' Als der schwedische Schriftsteller Klas Östergren 1980 seinen Jazz-und-Boxer-Roman ,,Gentlemen'' veröffentlichte, war dieser Sport längst eine nostalgische Vorstellung geworden.

Dabei gibt es eine Geschichte des Boxens in Schweden. Sogar einen Schwergewichtsweltmeister hatte das Land - Ingemar Johansson, der 1959 im New Yorker Yankee Stadium den legendären Floyd Patterson entthronte. Und seit 1988 gilt Schweden als Weltzentrum des Frauenboxens, weil der schwedische Amateurboxerverein dafür besondere Förderpogramme eingerichtet hat.

Die Bemühungen, das Profiboxen zurück nach Schweden zu bringen, währten über zwanzig Jahre . Olof ,,Mister Boxing'' Johannsson, der Fernsehmoderator und Vorsitzende des Amateurboxervereins, war es vor allem, der unermüdlich Lobbyarbeit in betrieb. Vergeblich, bis die Sozialdemokratin Mona Sahlin als Staatsekretärin auch für den Sport verantwortlich wurde. Vielleicht weil sie sich in gleicher Funktion auch schon um die Immigranten hatte kümmern müssen, besaß sie mehr Verständnis für die Bedürfnisse der Unterschichten als ihre Vorgänger. So kam es, dass am 29. November vergangenen Jahres ein neues Gesetz zum Umgang mit den Kampfsportarten erlassen wurde. Seitdem ist das Profiboxen wenigstens für Kämpfe bis zu zwölf Minuten erlaubt.

Olof Johannsson lässt es sich nicht nehmen, zu Beginn des Turniers auf das neue Gesetz hinzuweisen. Als er die Kämpfe ansagt, imitiert er die Sprachmelodie des legendären amerikanischen Boxansagers Michael Buffer, wobei er den schwedischen Text auf ein dramatisches Baritonbrummeln reduziert.

Die Schweden sind keine schlechten Boxer. Sie kämpfen mit sauberen, zielsicheren Kombinationen, die ihre internationalen Gegner an diesem Abend in schwere Bedrängnis bringen. Was kümmert es, dass auf der Scorekarte für Publikum und Journalisten keine Gewichtsklassen aufgeführt sind, dass auf den Monitoren keine Rundenuhr eingeblendet wird oder dass die Kämpfer in den Ecken auf hübschen Ikea-Hockern Platz nehmen müssen. An diesem Abend geht es weniger um stilistisch korrektes Boxen als vielmehr darum, dass sich die Fans ein Stück von jenem großen Traum zurückerobert haben, für den in Gleichheitsidealen der sozialen Marktwirtschaft kein Platz mehr war.

Als Åsa Sandell zu Heavy-Metal-Akkorden durch den Trockeneisnebel zum Ring schreitet, in dem die Amerikanerin Tiffany Carter schon auf sie wartet, ist in der Halle kein Halten mehr.

Das Preisgeld wird nicht reichen

Es ist dann kein besonders schöner Kampf. Tiffany Carter ist eine gedrungene Frau, die ihre Gegner mit einem Schlag auf die Matte nageln kann. Aber weil sie fast zwei Köpfe kürzer ist als ihre schwedische Kontrahentin, kann sie keinen Schlag über der Halslinie anbringen. Eigentlich hätte Sandell gegen Scroller Carrington aus Trinidad kämpfen sollen, doch diese erhielt kein Visum. Fünf Tage vor dem Kampf erst erfuhr Tiffany Carter, dass sie in Göteborg kämpfen soll. Nach der dritten Runde gibt sie auf. Åsa Sandell genießt später vor allem den Triumph, dass an diesem Abend das Profiboxen in ihre Heimat zurückgekehrt ist.

Es wird ein weiter Weg durch Politik und Justiz sein, bis auch Profikämpfe von zehn und zwölf Runden stattfinden dürfen. Und doch war dieses Turnier ein Stück Abschied vom sozialdemokratischen Konsens. Åsa Sandell wird nun noch ein paar Tage in den schwedischen Fernsehshows den Traum vom Glück auf eigene Rechnung verkörpern. Nächste Woche wird sie dann nach Brooklyn zurückkehren, wo sie ein kleines Zimmer gemietet hat. Sie wird ihre Tage an den Sandsäcken des Gleason's und an Lennox Blackmores Streckbank verbringen. Sie wird ihre Kolumnen schreiben und darauf hoffen, dass Laila Ali sich endlich einem Revanchekampf stellt. Das Preisgeld vom Samstag wird jedenfalls nicht lange reichen.

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