Ersteigert für 2,8 Millionen Euro:Königin der Stammbücher

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"Exorbitant auch vom Ästhetischen her": Die Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel hat Philipp Hainhofers Freundschaftsbuch aus dem 17. Jahrhundert erworben.

Von Willi Winkler

Er verkehrte mit hohen und höchsten Herrschaften, diente partei-, aber keineswegs interesselos dem französischen König ebenso wie dem Markgrafen von Baden, begleitete, wenn's sein musste, auch Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg 1613 nach München zur Hochzeit mit Magdalena von Bayern und konnte dem Empfänger seiner minutiösen "relation", dem Pommerschen Herzog Philipp, berichten, dass sie den Zug in Neuburg mit erheblichem Aufsehen begonnen hatten: "Zu beeden seitten der gaßsen war vil volckhs, vnd an den fenstern", auf dieses Detail legen Autor wie Empfänger besondren Wert, "vil schön frawenzimmer."

Philipp Hainhofer war schon einige Jahrhunderte vor James Bond als Agent unterwegs, trotzdem kennt ihn schändlicherweise außerhalb der Fachwelt niemand. Er entstammte einer ebenso wohlsituierten wie kinderreichen Kaufmannsfamilie, kam 1578 in Augsburg zur Welt und wurde bereits mit 16 nach Padua auf die Universität geschickt, um Jura zu studieren, lernte folglich neben dem vorgeschriebenen Latein auch Italienisch, später kam Französisch dazu und die hohe Kunst des geschmeidigen Umgangs, wie sie Baldassare Castiglione für den Gentleman empfohlen hatte. Der Schwabe blieb also kein Schwabe, sondern bildete sich vor der Kunst in Siena und Florenz zum Weltmann und verlernte dabei nie das Kaufmannsgeschäft.

Doppelseite mit Blumen, Muscheln und Insekten: Fürsten und Könige rechneten es sich zur Ehre an, in Hainhofers Album vertreten zu sein. (Foto: HAB)

Von beidem zeugt sein Stammbuch, das Album Amicorum, das gestern in Hannover in einem Stahlbetonkeller des Sprengel-Museums vorgestellt wurde. Die Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel konnte dieses Wunderwerk für 2,8 Millionen Euro bei Sotheby's in London erwerben und machte dieses Ereignis mit den angemessenen Trompetentönen bekannt. Der niedersächsische Wissenschaftsminister Björn Thümler sprach von der "Königin unter den Stammbüchern". Monika Grütters, die Kulturbeauftragte des Bundes, war zwar verhindert, aber sie ließ wissen, wie fromm ihr zumute war, denn die Erwerbung des Stammbuchs sei doch "ein Segen für die Bewahrung und Erforschung des kulturellen Erbes Deutschlands".

Das Stammbuch blieb nach Hainhofers Tod jahrhundertelang verschwunden

Die Augsburger mag's schmerzen, dass die da oben im Niedersächsischen das Geld bei der Kulturstiftung der Länder und weiteren institutionellen Wohltätern eintreiben konnten, das Album ist in Wolfenbüttel in der Herzog-August-Bibliothek aber keineswegs am falschen Ort gelandet. Es war schließlich Hainhofer, der dem namensgebenden Herzog August von Braunschweig die Grundlagen seiner Büchersammlung besorgte. Der Herzog band seinen Fachmann, den er mit "Edler lieber sonder" anredete, durch ein Jahresgehalt von 600 Reichstalern. Hainhofer agierte während des gesamten Dreißigjährigen Krieges (er starb 1647 kurz vor dem Westfälischen Frieden), er schrieb tausende von Briefen, beriet Herrschaften und weniger hohe Herren, kaufte und tauschte, was der Markt nur hergab. August war nicht bloß Herzog, sondern verstand sich selber als Kunstfreund, er sammelte Uhren und veröffentlichte sogar ein Buch über das Schachspiel. Billig war der Hainhofer allerdings nicht: Der Braunschweiger mahnt 1616, als ihm mal wieder eine gepfefferte Rechnung ins Haus kam, er solle sich "mit einkauffung und überschickung" seiner gewiss schätzenswerten Galanterie- und Kunstwaren doch "in etwaß messigen".

Der Eintrag des Christian IV., 1588 bis 1648 König von Dänemark und Norwegen, mit seinem Wahlspruch: "Frömmigkeit stärkt das Königtum". (Foto: HAB)

Aber da war nichts zu machen, Hainhofer war ein Star auf der europäischen Bühne des 17. Jahrhunderts, und er hatte seinen Preis. Die hohen Herren draußen in Europa, die Fürsten und Grafen und Könige, rechneten es sich zur Ehre an, in Hainhofers Stammbuch vertreten zu sein. Peter Burschel, der Direktor der Wolfenbütteler Bibliothek, sprach daher von einem "Überbietungswettbewerb" und wies als neuer Besitzer des Buches darauf hin, dass es "exorbitant auch vom Ästhetischen her" sei. In Augsburg damals war es ein touristischer Magnet gewesen.

1632, als die Schweden die ausgehungerte Reichsstadt einnahmen, konnte der Protestant Hainhofer die schlimmsten Plünderungen verhindern, indem er die anderen Patrizier bewog, dem König Gustav Adolf einen besonders prächtigen Wunderschrank zu verehren. Den schönsten hatte er dem Pommer verkauft, er soll "über 20,000 fl. gut geldt" (in Euro umzurechnen mit dem Faktor 100) gekostet haben. Von Bert Brecht, dem nachgeborenen Mitbürger, und von dessen Fragen des lesenden Arbeiters wusste Hainhofer naturgemäß nichts, verstand sich aber nicht ganz zu Unrecht als "der, der euch Weltwunder baut". Doch war es das Augsburger Kunsthandwerk, das von Hainhofers Geschäftstüchtigkeit lebte.

Er selber verlor sein Vermögen und musste zuletzt seine eigene Bibliothek verkaufen. Nach Hainhofers Tod stand der Herzog vor der Tür und gierte nach dem Stammbuch, doch es war fort und blieb jahrhundertelang verschwunden. Nun wurde es schwer bewacht von Hannover nach Wolfenbüttel überführt. In Niedersachsen soll es in den nächsten Jahren gelegentlich seitenweise ausgestellt werden.

© SZ vom 26.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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