Erpresserbriefe aus den Archiven des BKA:Sonst sind Sie dem Untergang gezeichnet!

"Dies lässt diesseitig Zweifel an der Ernsthaftigkeit Ihrer Zahlungsbereitschaft aufkommen": Was Erpresser so schreiben und wie Experten des BKA damit umgehen. Ein Besuch im Archiv für Erpresserbriefe.

Alex Rühle

Auf dem Bildschirm flimmert die Fotographie einer Schreibmaschinenseite. Sabine Schall sagt, das sei einer ihrer Lieblingsschlaumeier. In dem Text brüstet sich ein Erpresser seiner Professionalität: "Ich habe anders formuliert als sonst. Das Papier stammt aus einem Supermarkt. Die Schreibmaschine kaufte ich in einer anderen Stadt auf einem Trödelmarkt. (...) Die Briefe sind nicht mit Speichel zugeklebt und nicht von hier abgesandt. Das Durchschlagpapier wurde verbrannt. Es ist nichts mehr vorhanden, nur meine Gedanken."

Erpresserbriefe aus den Archiven des BKA: "Soviel muss ihnen ihr Geschäft wert sein, ansonsten sind sie dem Untergang gezeichnet."

"Soviel muss ihnen ihr Geschäft wert sein, ansonsten sind sie dem Untergang gezeichnet."

(Foto: Foto: BKA)

Der letzte Satz ist symptomatisch für die Hybris vieler Erpresser. "Die Leute wissen aus den Krimis, dass man keine Spuren hinterlassen soll", sagt Schall. "Aber sie wissen oft nicht, dass man auch in der Sprache Spuren hinterlässt." Es ist am Ende eben immer mehr vorhanden als nur die Gedanken. Sprache ist ein wunderbar formbarer Stoff, und manche hinterlassen darin Spuren wie ein Traktor im Tiefschnee. Zumindest für eine geübte Linguistin.

Sabine Schall hat eine Art hermeneutisches Monopol: Fast jeder Erpresser- oder Drohbrief, jedes Bekennerschreiben, kurzum nahezu jedes deutschsprachige Schriftstück, das bei einem schwerwiegenden Verbrechen, bei dem die Polizei eingeschaltet wurde, eine Rolle spielt, landet auf ihrem Schreibtisch oder dem eines Kollegen. Schall arbeitet als forensische Linguistin im Referat "Sprechererkennung, Tonträgerauswertung und Autorenerkennung" des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden, das heißt, sie analysiert schriftliche Texte einzig auf sprachliche Signale hin, die Rückschlüsse auf den Autor zulassen. Für Telefonanrufe und andere Arten mündlicher Erpressung sind die Kollegen von der forensischen Sprecherkennung zuständig, für die Untersuchung außersprachlicher Spuren die forensische Handschriftenerkennung, die Chemieabteilung und die Urkundenuntersuchung.

Um die Briefe unter anderem nach grammatikalischen, orthographischen, syntaktischen Signalen zu durchkämmen, greift Schall jedes Mal tief in die "Kiste", das "Kriminaltechnische Informationssystem Texte". In dieser digitalen Datenbank wurden seit 1989 rund 4500 Schreiben gespeichert und nach verschiedenen Parametern analysiert: Besteht ein Text aus komplexen Nominalphrasen? Gibt es dialektische Einsprengsel? Regionalismen? Anzeichen für Berufsjargon? Interpunktionsfehler? Das meiste sind Erpresser- oder Drohbriefe, gefolgt von Bekennerschreiben linksextremer Gruppierungen und rechtsextremer Volksverhetzung. Rund 100 Vorgänge bearbeitet Schall im Jahr.

Nun denkt man ja bei Erpresserbriefen zunächst an schnörkellos brutale Texte, zusammengeklebt aus Zeitungs- und Anzeigenschnipseln. In der "Kiste" finden sich nur vier oder fünf dieser fernsehtypischen Wortcollagen, die im Film so wunderbar optische Signalwirkung haben, man braucht nur eine Sekunde lang einen solchen Klebebrief zu sehen und weiß, ah, Erpressung. "Das ist sehr zeitaufwendig", sagt Schall, "außerdem wissen die meisten, dass man durch Klebstoff und verschiedene Papiersorten viele Spuren hinterlässt."

Was die Brutalität angeht, bemühen sich viele Erpresser zumindest im ersten Brief um einen höflichen Ausdruck. Vielleicht aus schlechtem Gewissen, vielleicht um zu signalisieren, dass man mit den Behörden oder der zu erpressenden Firma auf Augenhöhe ist, orientieren sie sich an Geschäftsbriefen ("Betr.: Erpressung"), inklusive Adressfeld, korrekter Anrede, Blocksatz oder gar dem Vermerk "Anlage: 1Giftpaket". Die Erpressung wird dann oft als Kredit, Geschäft oder Spende schöngeredet.Einige Autoren mühen sich freilich durch diesen Geschäftsbriefton, als würden sie auf hohen Stelzen durch die Sprache staksen: "Dies lässt diesseitig Zweifel an der Ernsthaftigkeit Ihrer Zahlungsbereitschaft aufkommen." Oft rauschen das texttypische Muster des formelhaft höflichen Schreibens und der unhöfliche, ja brachiale Inhalt, nämlich die Erpressung nebst drastischer Konsequenzandrohung bei Nichtbefolgen, gar ineinander wie zwei Güterzüge, die Sätze, die durch die unhöfliche Höflichkeit entstehen, sind dann von verquerer Komik: "soviel muss ihnen ihr Geschäft wert sein, ansonsten sind sie dem Untergang gezeichnet."

Besonderen Wert legen Erpresser darauf, nicht unterschätzt zu werden, immer wieder brüsten sie sich damit, keine Spuren hinterlassen zu haben, zuweilen auch in Sätzen, die genau dieses Bestreben dekonstruieren: "Dieses Schreiben hat keinerlei Sporen wie Fingerabdrücke Haare Schweiß u.s.w." Was dem Kriminalbeamten Fingerabdrücke oder Schweißproben wären, sind Sabine Schall solche Sporen-Spuren: "Meist erklären unsere Autoren, was sie alles können, wie gut sie sind, und dass wir mit unserem kriminalistischen Kleinhirn ohnehin keine Chance haben. Schön für uns, da wird dann mehr Text produziert."

Ein beliebter Trick besteht darin, sich als Ausländer auszugeben: "Achtung Bomben versteckt in Internaten und Schulungsgebäuden aber nicht sein Gefahr für Krankenhaus." Schall zeigt mit dem Kugelschreiber auf den Bildschirm: "Bisschen Syntaxveränderung und stereotype Infinitive, aber intakte Orthografie selbst bei schwieriger Graphem-Phonem-Korrespondenz, die korrekten Umlaute - ein Muttersprachler, der seine Vorurteile über Türkendeutsch ausstellt. Fehlt nur die Universalnegation nix", sagt sie knapp. Ihr Humor ist trocken wie ein Päckchen Salzstangen, weshalb man ihre Ausführungen als Zuhörer wegknuspert wie nix. Einen Ausländer zu imitieren, sei fast unmöglich, man müsse da die jeweilige Sprache beherrschen, um typische Fehler zu machen.

In den Briefen des Nestlé-Erpressers, der Thomy-Produkte mit Blausäure versetzte, fielen ihr fehlende Endungen auf, die im pfälzischen und hessischen Dialekt verschluckt werden, etwa: "selbe zeitung wie letzte mal". Außerdem fand sie charakteristische Rechtschreibfehler wie "fier" statt vier und "vert" statt Wert, die darauf hinweisen könnten, dass der Schreiber ursprünglich in einer romanischen Sprache beheimatet ist. Sie tippte auf einen Rumänen oder Franzosen, der in einer hessischen, alemannischen oder pfälzischen Gegend lebt. Außerdem war sie sich relativ sicher, dass der Autor selten schreibt und zwischen 30 und 50 ist. Am Ende gestand ein 43-jähriger Gärtner aus Rumänien, der in Hessen lebt.

Im zweiten Brief wird's ruppig

Nach Aussage des damaligen Firmensprechers der Nestlé AG wird das Unternehmen durchschnittlich einmal im Monat erpresst. Die Hälfte der Erpresser gibt nach der ersten Kontaktaufnahme auf. Nur in etwa zehn Prozent der Fälle dauert die Erpressung länger als eine Woche. Ob und wann freilich ein länger anhaltender Erpressungsfall eintritt, ist nicht vorhersehbar. Auch wenn also vieles nach Stilblüte oder Studentenjux klingt - "Für diverse Vorhaben, u.a. die Erhaltung der deutschen Sprache, brauchen wir Geld. DM 500 000 wollen wir von Ihnen" -, Sabine Schall muss erstmal davon ausgehen, dass das Schreiben ernst gemeint ist. Die 41-Jährige sagt, in den 16 Jahren, die sie in der BKA-Autorenerkennung arbeitet, sei sie noch nie richtig verladen worden. Natürlich, "wenn es keine Spuren gibt, kann ich auch keine hineinlesen, aber eine richtige Fehlinterpretation habe ich mir noch nicht geleistet". Wenn sie länger redet, schaltet sich hinter ihr der Bildschirmschoner ein, dessen Programmierer wahrscheinlich aus dem bayrischen Sprachraum stammt: Jahimmiherrgottsackezementzefixhallelujanochamal.

Die Briefe spiegeln auch bundesrepublikanische Geschichte wider: Im Zuge der Wiedervereinigung gab es Erpressungen, bei denen die Autoren ihr Tun als rechtmäßige Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht sahen; in jüngerer Zeit rechtfertigen sich Schreiber zuweilen mit Hartz IV. Während der letzten Monate hatte Schall vor allem mit ausufernden Bekennerschreiben "aus dem linksextremen Spektrum" zu tun: "20 Seiten Text sind für die gar nichts." Außerdem kopieren Linksextreme oft ganze Absätze aus dem Internet, da wird es schwer mit der Autorenerkennung.

Gleichzeitig könnte Schall solchen Autoren auch dankbar sein: Denn eines der größten Probleme ist die Kürze. Die meisten Erpresserbriefe enthalten weniger als 200 Wörter. Auch bei Folgebriefen sinkt die Textlänge, schließlich muss ab dem zweiten Brief kaum noch etwas erklärt werden. Parallel dazu ändert sich oft der Umgangston. Als komme nach dem honorigen Anwalt mit sprachlichen Ärmelschonern nun das Inkassobüro Moskau, gehen die Erpresser oft zu finsteren Drohungen über: "Nichtbeachten Dises Schreibens wird mindestents mit Todesstrafe bestraft." - "Hm", sagt Schall, "zwar wenig sorgfältig, aber Dehnungsfehler und Auslautverhärtung sind häufig, leider kann man daraus noch nichts ablesen."

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