Eröffnungsfilm in Venedig:Sex hilft nicht wirklich gegen Depression

George Clooney als verkappter Depressiver: Die Coen-Brüder eröffnen mit ihrem bösen kleinen "Burn After Reading" die 65. Filmfestspiele in Venedig.

S. Vahabzadeh

Washington ist ein Witz, man ahnte es seit langem. Was da in den Ministerien, beim Geheimdienst arbeitet, die Elite des Landes, hat bei näherer Betrachtung unheimlich viel Ähnlichkeit mit den Provinzdeppen, die einst in "Fargo" zugange waren.

Eröffnungsfilm in Venedig: Weltenretter, Superregisseur und Politaktivist: George Clooney hat viele Gesichter, doch in "Burn after Reading" ist er vor allem ein Frauenversteher.

Weltenretter, Superregisseur und Politaktivist: George Clooney hat viele Gesichter, doch in "Burn after Reading" ist er vor allem ein Frauenversteher.

(Foto: Foto: Tobis Film)

"Burn After Reading" heißt der neue Film der Brüder Joel und Ethan Coen, der Mittwoch die 65.Filmfestspiele von Venedig eröffnete, der Titel ist ein böser Gag: die Info, die die Central Intelligence Agency sammelt, ist nicht wirklich so wichtig, dass man sie verbrennen müsste - das ist bloß das einzige, was man damit anfangen kann.

Ist ja nicht so schlimm, wenn man ein Idiot ist, sagt Joel Coen in der Pressekonferenz, sichtlich genervt von den Zwillingsfragen an Brad Pitt, den Avancen an George Clooney, den Erwartungen, mit denen Coenfilme bei jedem Festival überhäuft werden.

Vielleicht sollte man tatsächlich nicht mehr von ihnen verlangen als zwei schöne schwarze Kinostunden. Der Jubel der Massen ist "Burn After Reading" sowieso sicher - soviel Hollywood-Glamour sieht der Lido dieses Jahr nicht wieder.

Die Fitnesslehrerin Linda, gespielt von Joel Coens Frau Frances McDormand, hat ein großes Problem: Sie war nie der Typ Supermodel und jetzt wird sie auch noch alt.

Zwischenmenschliche Ausbeutung

Ein paar Fettabsaugungen, eine Lidkorrektur, Silikonbusen, dazu rät ihr der Schönheitschirurg, den sie aufsucht, in dem idiotischen Irrglauben, sie könnte ihre Krankenkasse dazu bringen, in ihr Seelenheil zu investieren.

Sie werde noch mehr trainieren, sagt Linda. An den Oberarmen, sagt der Chirurg und kneift fröhlich in die Speckschicht: "Mit vierzig sagt der Körper dem Fett einfach, es soll da hin." Geld muss her, denn für Linda ist die Generalüberholung alles, was sie noch auf Liebe hoffen lässt - eine zärtlich geschriebene und inszenierte Figur; im Coen-Universum scheinen die meisten zwischenmenschlichen Beziehungen nur der Ausbeutung zu dienen.

Katie Cox (Tilda Swinton) beschließt, ihren Mann Osborne (John Malkovich) abzusägen, weil er bei der CIA rausflog, und ihr Lover Harry (George Clooney) ohnehin besser im Bett ist. Harry verlässt seine Frau und legt sich sofort eine neue Geliebte zu, und dann noch eine - Linda! Was sie an ihm finde, soll Linda erklären. Er versteht, antwortet sie, dass sie unbedingt die Schönheitsoperationen will.

"Burn After Reading" ist einer der leichteren Coenfilme, zugänglich und sparsam mit physischen Brutalitäten - aber so richtig leicht ist das alles auch dann nicht, wenn man drüber lacht, denn absurd komisch ist die Grausamkeit, die Dummheit, die totale Verblendung der Figuren.

Es ist der Abschluss meiner "Trilogie der Trottel", sagt Clooney. Aus dem Herzeleid wird eine Agenten-Sex-Komödie, vom Script vorwärtsgetrieben. Die Coens entwickeln manchmal einen schönen visuellen Stil, wie die künstliche Nacht von "Ladykillers" oder den gleißenden Glamour von "Intolerable Cruelty".

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie George Clooneys neue Ernsthaftigkeit auf seine Rolle in "Burn after Reading" abgefärbt hat.

Sex hilft nicht wirklich gegen Depression

"Burn After Reading" hat ein paar zaghafte Verweise auf Sydney Pollacks "Drei Tage des Condor" zu bieten, und den trüben Himmel über Georgetown - ein Stil ist das noch nicht.

Lindas Sehnsucht ist es, die eine Folge von blödsinnigen, aber schrecklichen Ereignissen auslöst. Linda und ihr tapsig-aktionistischer Kollege Chad (Brad Pitt) finden die CD, auf der Katie Cox' Scheidungsanwalt alles gespeichert hat über Osborne, auch seine CIA-Aufzeichnungen.

Die Erpressungsversuche von Linda und Chat sind ungefähr so kompetent ausgeführt wie die "Fargo"-Entführung. Die beiden Möchtegernerpresser, nicht ganz auf der Höhe der Zeit, geben die Memoiren in der russischen Botschaft ab.

"Das ist", fragt man sie dort, "nicht ideologisch motiviert, oder?" Und Linda legt den Kopf schief und sagt: "Ich glaube nicht." Was der CIA-Agent, der all das bunte Treiben überwacht, kurz darauf seinem Chef berichten muss, ist wild, gewalttätig und ergibt überhaupt keinen Sinn - sie scheinen, sagt er, alle miteinander zu schlafen.

Eigentlich ist in diesem Kuddelmuddel nur die böse Tilda bei Verstand, und gemessen an den Gestalten um sie herum ist ihre Eiseskälte noch eines der kleineren Übel. Brad Pitt macht sich mit großer Spielfreude zum Affen, in ein paar kleinen Auftritten nur - es ist nicht das erste Mal, dass man ihm eine absurde Frisur verpasst. Aber er singt, den iPod in den Ohren, schön laut mit.

"Ein Schrei nach Frieden"

"Burn After Reading" ist lange nicht so überspannt wie manche seiner Vorgänger - die beiden anderen Filme, die die Coens mit Clooney machten, "O Brother, Where Art Thou?" und "Intolerable Cruelty".

Das war, bevor Clooney der Weltenretter, Superregisseur, Politaktivist wurde, und die neue Ernsthaftigkeit hat ein klein wenig abgefärbt auf die neue Coen-Rolle: Harry hat Momente der Verzweiflung, ist anlehnungsbedürftig in seiner Frauenjagd, ein verkappter Depressiver.

Darauf angesprochen, was denn nun bei diesem Film bitte die politische Implikation sein könnte, sagte Clooney feierlich: "Es ist ein Schrei nach Frieden." Im Scherz gesagt, und doch irgendwie wahr.

Ganz tief innen drin, unter dem schwarzen Humor, hinter der coolen Fassade ist "Burn After Reading" warmherzig - alle haben Angst, vorm Älterwerden, vorm Einsamsein, vor der Nutzlosigkeit. Und irgendwie hatte man ja schon oft den Eindruck, dass die Coens glauben, die Menschen gingen pfleglicher miteinander um, wenn sie nicht ganz so bescheuert wären.

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