Eröffnung: Filmfestival Venedig:Ganz und gar nicht pink

Auf jeden Fall ist "Black Swan" wieder eine unabhängige Produktion, die sich neue Risiken leisten kann - das sieht man am Set sofort, wenn schon mal ein Baby durchs Auditorium kräht und junge Hipster ganz unhierarchisch Ideen hin- und herwerfen wie in einer Kreuzberger Theater-AG.

Trotzdem sollen die Geheimnisse des Films gewahrt bleiben. Schon auf die Frage, ob das Ganze vielleicht fast ein klassischer Horrorfilm sei, reagiert Aronofsky mit einem leicht amüsierten Du-denkst-wohl-du-kannst-mich-austricksen-Blick. ",Black Swan' hat definitiv Genre-Elemente",, sagt er dann. "Meine Tochter ist drei Jahre alt - und wir haben unendlich viel Spaß dabei, uns zu Hause zu erschrecken. Hier mache ich nichts anderes. Ich erschrecke das Publikum mit einer Horrorstory aus der Welt des Balletts. Dieser Film wird für das Tanzen sein, was 'The Wrestler' für das Wrestling geworden ist."

Auf die Idee muss man auch erst mal kommen - den zernarbten Koloss Mickey Rourke mit der elfengleichen Natalie Portman zu vergleichen, deren Oberärmchen ungefähr der Dicke seiner Halsschlagadern entsprechen. Doch in Aronofskys Vorstellungskraft existieren die beiden als "zwei Seiten einer Medaille":

"Bei meiner Arbeit mit den Wrestlern waren die Parallelen zu Ballerinas unübersehbar: Beide nutzen ihre Körper für ihre Kunst, schinden sich über Jahrzehnte - und tragen komische Kostüme." Setzt man die verfügbaren Informationen zusammen, geht es in beiden Fällen auch um Protagonisten, die von ihrem Ehrgeiz bis an äußerste Grenzen getrieben werden:

Natalie Portman spielt eine Tänzerin, deren Leben auf dem Scheidepunkt ihrer Karriere komplett kollabiert. Ein dominanter Tanzlehrer (Vincent Cassel) und eine Konkurrentin (Mila Kunis) sind ausschlaggebend für diesen Horrortrip, wobei die Konkurrentin möglicherweise nur imaginiert ist. Von rohen Sexszenen zwischen Männern und Frauen raunt das Internet - was Monsieur Cassel nur mit einem schmutzigen Grinsen quittiert.

Von Prätention ist jedenfalls nichts zu spüren in Aronofskys Arbeitsweise. Wo er in "Requiem for a Dream" noch mit irrsinnig schnellen Harakiri-Schnittsequenzen das Publikum attackierte, hat er seit "The Wrestler" einen entspannten und dennoch schmerzhaften Naturalismus als Stilmittel entdeckt. "Black Swan" inszeniert er minimalistisch. Mit Viewfinder oder geschulterter Kamera stürzt er sich ständig ins Gewusel der rund zwanzig Tänzerinnen des Pennsylvania Ballet, die Portmans Choreographie begleiten. Nah geht Aronofsky an die Gesichter, wird von Assistenten gerade noch am rückwärtigen Fallen gehindert, wühlt im Gewimmel perfekter Körper nach ungeplanten Motiven.

Portman indes kann sich viel Improvisationsdrang kaum erlauben. Zu sehr steht ihr die Konzentration auf ihre Schrittfolgen und ihre Körperhaltung ins Gesicht geschrieben. Schulter zurück, Hüfte positionieren, auf die Zehenspitzen. Die zierliche Aktrice trainierte neun Monate an sechs Tagen in der Woche für vier Stunden, um halbwegs in die Nähe jener Tänzerinnen zu kommen, die seit dem dritten Lebensjahr nichts anderes machen. Da passt der Vergleich mit Mickey Rourke wieder, der seine fast selbstmörderische Ganzkörper-Performance in "The Wrestler" dem "lächelnden Zuchtmeister" Aronofsky zuschrieb.

Psychologische Höllenfahrt

In welchen Wahnsinn "Black Swan" auch führen wird - die Schauspieler sind bedingungslos auf seinen Weg eingeschworen. Die Zufälle und Wechselbäder seiner Laufbahn haben den 39-Jährigen aus Brooklyn gelassen gemacht, auch der Verlockung durch lukrative Studiofilme widerstand er nach den Preisen und Erfolgen für den "Wrestler". "Ich habe mit 'The Fountain' einen fetten Film gedreht und einmal die Erfahrung gemacht, wie leicht man den Fokus auf den Kern der Geschichte verlieren kann." Das soll ihm nicht noch einmal passieren.

Erste Bilder aus "Black Swan" deuten auf die psychologische Höllenfahrt einer Frau hin, das weckt Erinnerungen an Polanskis "Ekel" oder an "Requiem for a Dream". Aronofsky liebt es, wie ein Forscher obsessive Zeitgenossen zu beobachten, die an ihren Zwängen oder Versuchungen zu zerbrechen drohen. Zur Vorbereitung für "Black Swan" recherchierte er bei den städtischen Balletts in London und New York, Vincent Cassel durfte an der Pariser Oper Michail Baryschnikow beim Unterrichten inspizieren. "Die Szene begrüßte uns mit offenen Armen", sagt Aronofsky. "Alle waren froh, dass einmal ein realistischer Blick auf die Arbeit dieser Athleten geworfen wird."

Dieser Blick könnte allerdings unfreundlicher ausfallen, als es den Freunden schöner Künste lieb sein kann. "Wenn ich was über Ballett gelernt habe", sagt Vincent Cassel, "dann dass es schlecht für die Menschen ist, die es zu ihrer Berufung machen. Sie opfern ihre Jugend, brechen sich für ihre Leidenschaft das Rückgrat und werden mit Mitte dreißig mit einer Urkunde auf die Straße gespuckt. Das zeigen wir. Wenn Sie als Zuschauer danach immer noch in eine Ballettaufführung gehen wollen - bitte schön."

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