Eröffnung der Berlinale:Lass es Rock sein

Die Eröffnung der Berlinale wurde nicht umsonst auf 3sat übertragen - beinahe wäre sie dem Methusalem-Komplott zum Opfer gefallen.

Ruth Schneeberger

Es braucht nun also die Unterstützung durch das Methusalem-Komplott, um die Berlinale zu eröffnen. Keine Jugend, nirgends: Die Alt-Rocker der Rolling Stones, die erst jetzt ihrem Namen Ehre machen, da man sie kurz vor dem Rollstuhl-Alter noch mal für ihr Lebenswerk feiert, werden zusammen mit anderen Alten über den roten Teppich gejagt.

Zwei Dinosaurier haben sich zusammengetan, um den Eröffnungsfilm zu kreieren: Die Alt-Stones und der Altmeister der Regie. Martin Scorsese hat mit "Shine a Light" einen Dokumentarfilm über die einst wildesten aller Rocker gemacht, bevor sie in Vergessenheit geraten. Dazu bringt Mick Jagger bei seinem Besuch in Berlin geradezu frühlingshafte Gefühle auf den roten Teppich, indem er einen grasgrünen Wollschal zum Anzug trägt - und tatsächlich jünger und vor allem gesünder wirkt als noch vor Jahren.

Jagger habe früher älter ausgesehen als er war und wirke nun jünger als er sei - also sei er eigentlich immer gleich geblieben, versucht sich Party-Bürgermeister Klaus Wowereit am Rande der Veranstaltung in Altersbegrenzung.

Ob er sich Scorseses Brille ausgeliehen habe, wird der Direktor der Berlinale, Dieter Kosslick, von Moderatorin Katrin Bauerfeind gefragt, und auch er ist nicht mehr der Jüngste, wenngleich der erfrischendste Redner an diesem Abend: "Jeder liebt unseren Cashmere-Schal und die anderen Merchandise-Produkte", antwortet er auf die Frage, wie er es zustande gebracht habe, die Stones und Scorsese zusammen zur Festivaleröffnung nach Berlin zu holen.

Um nicht zu sehr aufzufallen, hat sich Katrin Bauerfeind in ihre seriöseste Schale geschmissen: Im schwarzen Anzug frisch-fromm-fröhlich-forsch merkt man ihr kaum noch an, dass sie erst zarte 25 Lenze zählt.

Dass die deutsche Schauspielerin Diane Krüger, die in der Anmoderation immer noch Kruger genannt wird, weil sie für Deutschland Hollywood verkörpert, ebenfalls die 30 gerade erst überschritten hat, macht nichts, denn sie darf auch nur drei Worte sagen, und schon geht es los mit dem Eröffnungsfilm - es ist das erste Mal, dass die Berlinale mit einem Dokumentarfilm startet.

Möglicherweise ist auch dies eine Reminiszenz an die Rentner, die es ja nun in immer größerer Zahl zu versorgen gilt. Nicht umsonst war der Auflauf vor der Berlinale größer denn je. Der Rolling-Stones-Clou zieht.

Wie auch immer das Publikum die knapp 400 Filme auf der 58. Berlinale beurteilen wird, eines ist jetzt schon klar: Noch nie gab es so viele Musik-Filme auf dem Internationalen Filmfest. Woran liegt's? Lockt der Film an sich keinen Pensionär mehr hinter der Heizdecke hervor?

Bei 3sat lässt man einen Experten zu Wort kommen, der eine berückende Erklärung parat hat: Da der Musik-Markt und der Kino-Markt seit Jahren Einbußen zu verzeichnen hätten, versuchten nun zwei Lahme, sich gegenseitig aus der Patsche zu helfen.

"How did your idea came?", wird Scorsese in ebenso berückendem Englisch vom Reporter auf dem roten Teppich nach dem Ursprung seiner Doku befragt. Er habe diesen Film schon seit 40 Jahren drehen wollen, sagt Scorsese. Es mache ja nichts, dass es jetzt erst geklappt habe, bescheinigt er sich selbst.

Wäre da nicht Heino Ferch, der im Vorgeplänkel wunderbar unprätentiös klarstellt, dass Hollywood keine deutschen Stars benötige, weil es selbst schon genug davon habe, man hätte sich die Übertragung sparen können und besser einen guten Film angeschaut. Denn das Versprechen, dass die Moderatorin zu Beginn der Berlinale und nach dem Auftritt der Band Wir sind Helden vollmundig austeilt - "wir werden Sie heute Abend noch einige Mal aus den Sitzen reißen" - es wird nicht gehalten.

Und am Ort des Geschehens, ist es dort spannender? Nun ja: Es sind mehr Zaungäste da als in den Jahren zuvor, auch die deutsche A-Prominenz des Filmgeschäfts lässt sich den Medien-Rummel nicht nehmen. Auf fünf Etagen wird die ausgehungerte Gesellschaft nach der Eröffnung bekocht und belustigt. Je oller also, desto doller?

Nicht ganz. Vertieft man sich einmal in das Programm der Berlinale 2008, dann fällt auf, dass neben der Mystifizierung von Rockern ein weiteres Thema eine große Rolle spielt: die Jugend. Ja, es ist wahr: Die Filmemacher haben neben dem verklärend-verzückten Schritt zurück auch die Rolle vorwärts nicht vergessen.

"Man hat das Gefühl, dass die Kids heutzutage zur falschen Zeit am falschen Ort auf die Welt kommen", sagt Festivaldirektor Dieter Kosslick - also handelt ein Großteil der Filme von Kindern, Jugendlichen und ihren Problemen mit und in der Welt. Das senkt den Altersschnitt des durchschnittlichen Zuschauers von 60 auf flotte 40.

Insgesamt werden 384 Filme aus 59 Produktionsländern gezeigt. 77 davon sind deutsche Produktionen oder mit deutscher Beteiligung entstanden. Im Wettbewerbsprogramm konkurrieren 26 Werke, davon 21 um den Goldenen und die Silbernen Bären. Erwartet wird bis zum 17. Februar Hollywood-Prominenz wie Daniel Day-Lewis, Natalie Portman, Scarlett Johansson, Penelope Cruz und Ben Kingsley. Es kann also doch noch spannend werden.

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