Eröffnung der 58. Berlinale:Wie unfassbar cool

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Was hat die Berlinale, was Cannes und Venedig nicht haben? Das Berliner Filmfestival, das am Donnerstag eröffnet wird, ist politisch und hat sich als Plattform für Weltstars und Independent-Künstler etabliert.

Tobias Kniebe

Das Selbstbild der Berlinale ist aus der Not geboren, aber es schafft trotzdem eine stolze Identität. Die Festivals von Cannes und Venedig stammen erkennbar aus dem Geist des Müßiggangs: Die Filmkunst war zunächst nur der Vorwand, um die schönsten und bekanntesten Gesichter der Welt an den Strand zu locken und den Tourismus anzukurbeln.

Am 7.2. geht's los: Der Potsdamer Platz wird zur Flaniermeile für Filmstars. (Foto: Foto: Getty Images)

Ein Hotelier in Venedig, der die goldene Nachsaison am Lido verlängern wollte, hatte die geniale Grundidee - und als Venedig Ende der dreißiger Jahre unter den Einfluss faschistischer Politik geriet, konterten die Franzosen mit einer genauso sonnigen Gegenveranstaltung: Cannes war geboren.

In Berlin lag der Fall anders, da ging es von Anfang an um Politik: Die naziverseuchten Kommiss-Schädel der Deutschen mussten belüftet und gleichzeitig gegen den Kommunismus imprägniert werden, ein "Schaufenster der freien Welt" sollte den Glamour und die Lebenskunst des Kinos mitten ins zerbomte Berlin bringen. Ausgedacht hatte sich das Ganze ein Offizier der amerikanischen Militärregierung, und Alfred Hitchcock war dann auch der erste Gast im Jahr 1951.

Kino-Philosophen mit Rollkragenpullover

Dass das Festival irgendwann auf den Februar vorrückte, wo die Winde Sibiriens durch die Berliner Ost-West-Achse pfeifen, war nicht wirklich geplant, und selbst hartnäckige Berlinale-Gänger verfluchen das grausame Wetter jedes Jahr aufs Neue. Es hat aber auch sein Gutes: Wenn die Außenwelt so wenig Reize bereithält, kann man sich tatsächlich ganz auf die Filmkunst konzentrieren. So hat die Berlinale den Ruf erworben, das ernsthafteste und politischste aller Filmfestivals zu sein.

In diesem Sinn liegt die Berlinale dann auch viel näher an New York als an Hollywood. Hier fühlen sich die jungen Independent-Filmer zu Hause, hier wird noch leidenschaftlich und zäh über ästhetische Fragen debattiert. Die großen Stars aus Los Angeles, die der Berlinale ihre Reverenz erweisen, wissen das: Sie packen schon mal den schwarzen Rollkragenpullover ein, um sich auf der Pressekonferenz als verkannte Kino-Philosophen zu präsentieren, und überlegen sich ein paar besonders sarkastische Sprüche zur amerikanischen Regierungspolitik. So etwas zieht auf der Berlinale immer.

Dieser Geist des Festivals hat auch die Filmstadt Berlin geprägt. Stefan Arndt von der Firma "X-Filme" erzählt noch heute voller Rührung, wie ein wichtiger Filmverleiher aus New York sich Mitte der neunziger Jahre die Mühe machte, während der Berlinale bei seiner kleinen, noch völlig unbekannten Firma vorbeizuschauen.

Hoher Aktivitätsindex

Der Besucher folgte einem diffusen Gefühl, das sich später durch Welterfolge wie Tom Tykwers "Lola rennt" und Wolfgang Beckers "Goodbye, Lenin!" glänzend bestätigt hat: Dass nämlich Berlin zum Ausgangspunkt einer neuen Hipness im deutschen Kino werden könnte. Auch da bewährte sich wieder die Achse Berlin - New York. Die unabhängigen Amerikaner verstanden sofort, wovon die unabhängigen Deutschen träumten, die sich in Berlin zusammengerottet hatten.

Was früher eine Behauptung war, die nur für die Zeit der Berlinale mühsam aufrechterhalten wurde, ist inzwischen wahr: Berlin ist tatsächlich die Metropole des Films in Deutschland. Vielleicht nicht die größte, was die Umsatzzahlen betrifft, aber auf jeden Fall gemessen am Aktivitätsindex. Da pumpt das Staatsministerium für Kultur eine Subventionsmillion nach der anderen in die Studios von Babelsberg, und kaum hat der eine Weltstar dort abgedreht, geben sich schon zwei weitere die Klinke in die Hand. Auf Natalie Portman folgt Tom Cruise, auf Tom Cruise folgen Clive Owen und Naomi Watts, und wenn Nicole Kidman am Ende doch nicht kommt, kommt stattdessen eben Kate Winslet.

Wohl wahr: Ohne die staatlich gestützten Billigpreise wäre das alles nicht möglich, dafür kalkulieren die internationalen Produzenten zu hart. Ob sich das neue Geschäftsmodell einmal selber tragen kann, steht deshalb noch in den Sternen. Der Effekt aber ist trotzdem schon segensreich: Scharen von jungen Talenten, vom Berliner Filmwunder angelockt, finden endlich Beschäftigung, lernen die neuesten Tricks und Techniken aus London und Hollywood und werden sich eines Tages hoffentlich ihren eigenen Reim darauf machen.

Beleidigte Lokalhysterie

Noch wichtiger aber ist, dass die Berliner nun etwas zu erzählen haben: Wie Tom Cruise plötzlich neben ihnen auf der Straße stand, wie unfassbar cool Jack Nicholson wieder im Borchardt's aussah, wie lässig Brad Pitt und Angelina Jolie mit ihren Kindern umgehen. Das wirkt wie Wunderbalsam für ihre Seelen, die bisher von der nagenden Angst gepeinigt waren, eben nicht dazuzugehören.

Frühere Berlinalen gerieten deshalb gern zum Spektakel beleidigter Lokalhysterie: Weil der Eröffnungsfilm nicht gezündet hatte, weil die Stars wieder nicht gekommen waren, weil die große weite Welt offenbar nichts anderes im Sinn hatte, als Berlin zu missachten und zu beleidigen. Der Jahrgang 2008 könnte nun der erste sein, wo dieser ewige Minderwertigskeitskomplex keine Rolle mehr spielt - und das wäre dann wirklich das größte Filmwunder von allen.

© SZ vom 6.2.2008/kur - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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