Süddeutsche Zeitung

Eröffnung der 58. Berlinale:Apo-Opa gibt 'ne Party

Die Rolling Stones, Neil Young und auf der anderen Seite hungrige junge Regisseure - selten waren die Berlinale-Gäste so gegensätzlich.

Constanze von Bullion

Wenn am Donnerstag die Berlinale beginnt und Dieter Kosslick vor sein Publikum tritt, dann wird es vermutlich nicht übermäßig feierlich zugehen. Der Leiter der Berliner Filmfestspiele ist so ein Mensch mit offenem Kragen und Nickelbrille, er plaudert gern, verspricht sich oft, und es passiert schon mal, dass er mitten im Satz den Namen der Filmemacher vergisst, um die es gerade geht.

Kosslick ist Jahrgang 1948 und trägt das Herz links, und er wäre vermutlich gar nicht beleidigt, würde man ihn einen Apo-Opa nennen. Dieses Jahr jedenfalls hat er für sein Festival tief in der Revoluzzerkiste gestöbert, und herausgekommen ist ein Programm, in dem zwischen den Generationen Welten liegen.

Da sind die Alten, also die 68er um Kosslick und den Politfilmer und Jury-Präsidenten Constantin Costa-Gavras, die die Ikonen ihrer Jugend auf dem roten Teppich vorbeiflanieren lassen. Die Stones kommen zur Eröffnung nach Berlin, dann Patti Smith, die man als "Großmutter des Punk" präsentiert. Auch der Woodstock-Barde Neil Young reist an, von dem viele Jüngere vermutlich gar nicht wissen, dass es ihn überhaupt noch gibt.

Der Musiker kann dann zu "War at Home" marschieren, einer Sonderfilmreihe zum Berliner Vietnamkongress, mit dem vor 40 Jahren die deutsche Studentenbewegung losging. Die Reihe läuft im Amerika-Haus, tief im alten Westberlin also und an einer Straße, auf der Festivalchef Kosslick einst demonstriert hat. Gegen Vietnam natürlich und für Ideale, die er in Zeiten des Dschungelcamps oft vermisst, wie er bei einer Pressekonferenz verrät: "Manchmal drückt man da schon eine Träne weg, wie man sich früher engagiert hat und wie man das alles heute an sich vorbeiziehen lässt."

Die Wehmut der Oldies wirkt Lichtjahre entfernt von der Wirklichkeit, die junge Filmemacher aus aller Welt dieses Jahr zur Berlinale bringen. Es sind Geschichten einer Generation, die in einer unwirtlichen Welt groß wird. Kindheit ist da oft gar nicht vorgesehen, es tobt die Jagd nach ein bisschen Geld, Nestwärme oder Anerkennung. Da zerfallen Familien, da sind Väter meistens weg oder ahnungslos, warum ihre Söhne so wütend rappen und auf der Straße um sich schlagen.

Wo Eltern mit sich selbst beschäftigt sind, übernehmen brutale Gangs die Erziehung, etwa in "Tribu", einem philippinischen Film, der beim Internationalen Forum des Jungen Films läuft. Und was bleibt, wenn der Ehemann erschossen, die minderjährige Tochter schwanger und die halbe Nachbarschaft im Knast ist, kann man in "South Main" beobachten, einer Dokumentation über alleinerziehende Mütter, die in einem Vorort von Los Angeles die Trümmer ihrer Existenz zusammenfegen.

Jugendkriminalität, das ist ein Wort, das in vielen Teilen der Erde anders buchstabiert wird als in Deutschland, auch das ist eine Botschaft dieses Festivals. Oft kommt die Gewalt als Krieg daher, und was den Alten ihr Vietnam war, ist manchem Jungen der Krieg gegen den Terror. In "Son of a Lion" ringt ein Junge mit seinem Vater, der früher mal mit den Mudschahedin in Afghanistan gekämpft hat.

Jetzt befeuert er den nächsten Krieg von Pakistan aus mit Waffen und versteht nicht, warum sein Sohn lieber lesen lernen will. Das Handwerk des Tötens hat auch der Held von "War Child" gelernt, eines Dokumentarfilms der Berlinale- Jugendfilmreihe Generation. Er führt in den Süd-Sudan und zeigt einen jungen Hiphopper, der sich auf die Suche nach seiner Familie macht - und Menschen findet, die ihm fremd geworden sind.

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Quelle:
SZ vom 6.2.2008
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