Süddeutsche Zeitung

Eröffnung:Buch und Gebell

Macron und Merkel legen zum Start ein Bekenntnis zu Europa ab. Im Mittelpunkt steht die theatrale Darbietung.

Von Thomas Steinfeld

In der Mitte der feierlichen Zeremonie, mit der am Dienstagabend die Buchmesse in Frankfurt eröffnet wurde, stand nicht die Rede eines Politikers, sondern eine eher theatralische Darbietung: Der Schriftsteller Wajdi Mouawad, im Libanon geboren, in Frankreich und im frankophonen Kanada aufgewachsen, brachte den Bürgerkrieg zur Aufführung, in Gestalt einer Lesung, eines kurzen Films und einer fast schon szenischen Performance. Er zielte auf den Schrecken, ja mehr noch auf das Entsetzen, in Gestalt von Menschen etwa, die vor Schmerz nur noch bellen konnten. So intensiv waren diese Szenen, das Emmanuel Macron, der französische Staatspräsident, seine Sprache gleichsam wiederfinden musste, bevor er mit seiner eigentlichen Rede beginnen konnte.

Die zumindest in Teilen improvisierte Rede geriet ihm zu einem intellektuellen Pamphlet in drei Teilen: Der erste widmete sich der eigenen Sprache, dem Französischen, die viel größer sei als die Nation, in der sie hauptsächlich gesprochen werde. Der zweite handelte von dem Ineinander und Miteinander, in dem sich das Deutsche und das Französische aufeinander beziehen, in der Gesamtheit der beiden Kulturen betrachtet, vor allem aber im Ineinander und Miteinander der Autoren und ihrer Werke: zwischen Johann Wolfgang Goethe und seinem Übersetzer Gérard de Nerval, der dem Alten aus Weimar den "Faust" wie ein neues Werk erscheinen ließ, an André Gide, wie er sich Friedrich Nietzsche aneignete, an Charles Baudelaire, der Walter Benjamin so sehr beflügelte, dass sich die Rezeption des Dichters auch in Frankreich veränderte. Es sei viel geschehen in der französisch-deutschen Geschichte, erklärte Macron, es habe Krieg und Konflikte ohne Zahl gegeben. Das Ineinander und Miteinander von Schriftstellern und Gelehrten habe jedoch stets Bestand gehabt.

Der dritte Teil der Rede bestand folgerichtig in einem Bekenntnis zu Europa. Darin gab es pragmatische Teile. Sie betrafen die Förderung bilingualer Schulen oder das Versprechen, deutsch-französische Universitäten zu schaffen. Vor allem aber wiederholte Macron, mit beträchtlichem Pathos, seine Ankündigung, Europa aus dem Geist einer deutsch-französischen Kultur erneuern zu wollen - wobei er am Ende immer häufiger von "der Kanzlerin und ich" sprach. Diese folgte ihm freundlich, sachlich und ein wenig skeptisch, wie es ihre Art ist, aber sie ließ auch keinen Zweifel daran, dass sie Macron mit Wohlgefallen zugehört hatte. Dieser hatte zuletzt versprochen, dass Bücher ein Mittel gegen das Bellen-Müssen seien.

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Quelle:
SZ vom 11.10.2017
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