Erlangen:Tanz der Kulturen

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"Mistral" zu Gast im Markgrafentheater

Von Eva-Elisabeth Fischer, Erlangen

Das Paar unter rotem Schirm sieht aus wie ausgestanzt aus einem Still von Alvin Aileys legendärer Gospel-Choreografie "Revelations". Mit Haltung, dabei aber durchaus entspannt, setzt es sich vor irrlichterndem Hintergrund in Bewegung, schlendert untergehakt auf die leere Bühne - diesmal ist es die des Markgrafentheaters anlässlich des Erlangen-Gastspiels. Und doch ist alles anders als in Aileys spirituellem Tanzfest von der Sklaverei bis zur Befreiung, angefangen bei der Musik, denn es sind keine rhythmisch wogenden Chöre, sondern die Geigenklänge eines Salonorchesters, welche die Tanzenden begleiten. Und dann: Nur der Herr ist schwarz, die Dame hingegen weiß. Außerdem trägt sie einen weißen Hosenanzug und kein knöchellanges Rüschenkleid wie einst in Amerikas Süden, er, stilsicher auf sie abgestimmt, ein weißes Dinnerjacket über schwarzem Shirt und Hose. Kann sein, dass diese zwei hier gerade aus dem Theater kommen.

Bald fahren heftige Winde in ihren Schirm. Das Stück heißt ja "Mistral", wie der eisige Wind in Frankreichs Midi. Aber auch das trifft es nicht. Denn der Stücktitel bezieht sich auf das Bistro gleichen Namens im Théâtre de la Ville in Paris, wo die Tanztheaterikone Susanne Linke und der afrikanische Voodoo-Priester und charismatische Tänzer Koffi Kôkô dieses Duett ausheckten und dann vor vier Jahren zusammen mit Johannes Odenthal, Programmchef an der Berliner Akademie der Künste, in die Tat umsetzten. Und so wirkt die brausende Böe wie ein Windstoß der Geschichte, der ferne Bilder verweht und damit die beiden Akteure, nunmehr beide in Schwarz gekleidet, ins Heute. Es sind zwei ältere Herrschaften, die schon eine lange Vergangenheit und auch Karriere mit sich tragen, sie ausgehend von Mary Wigman, von Dore Hoyer, von der Essener Folkwangschule zum eigenständigen Tanztheater strebend; er in Benin, wo der tanzende Körper als spirituelles Gefäß für rituelle Beschwörungen in Trance gerät, und in Paris auf der Suche nach der zeitgemäßen Gestalt für den afrikanischen Tanz.

In Susanne Linkes und Koffi Kôkôs Körpern gelang die Transformation des Traditionellen ins Heute. In ihrem Duett "Mistral" unternehmen sie, tanzend zu elektronischen Klängen, eine Bestandsaufnahme ihres Körperwissens und die Annäherung ihrer Kulturen, zwei Satelliten, die um einander kreisen und dabei erst einmal ganz stark um sich selbst. Susanne Linke schreitet geometrische Muster ab, deutet eine plane puristische Architektur der Gesten und Schritte an. Koffi Kôkô beschwört mit magischen Fingerzeigen animistische Riten, tierische Inkarnationen, breitet die Arme aus, beugt den Nacken wie ein Raubvogel, der, weit die Flügel ausschwingend, zum Flug ansetzt. Endlich, gegen Ende von knapp 45 Minuten versuchsweiser Annäherung, beginnt ein Magnet zwischen den beiden zu wirken, eine über das Alter erhabene unwiderstehliche Anziehung. Sie streben aufeinander zu - und, ach, aneinander vorbei. Die Vermählung der Kulturen bleibt Utopie. Ihr bewegtes Bild dafür wird bleiben.

© SZ vom 08.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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