Erinnerungskultur:"Wir haben eine Errungenschaft zu verteidigen"

Holocaust-Denkmal in Berlin

Künftig wird wohl ein AfD-Abgeordneter im Kuratorium der Stiftung "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" sitzen.

(Foto: picture alliance / AP Photo)

Der AfD wird es nicht gelingen, das Gedenken an den Holocaust abzuschaffen, sagt die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann. Sorgen macht ihr aber eine andere Entwicklung.

Interview von Karin Janker

Aleida Assmanns Arbeiten zum kulturellen Gedächtnis ist es mit zu verdanken, dass Deutschland heute eine Erinnerungskultur hat, die vielen als beispielhaft gilt. Die Konstanzer Literatur- und Kulturwissenschaftlerin bezeichnet sich selbst lediglich als Beobachterin. Sie veröffentlichte mehrere Bücher zum Thema Erinnerung und Geschichtspolitik, zuletzt "Formen des Vergessens" (Wallstein-Verlag) und "Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur" (C. H. Beck). Zusammen mit ihrem Mann, dem Ägyptologen Jan Assmann, erhielt sie im vergangenen Jahr den hochdotierten Balzan-Preis für Geisteswissenschaften. In den Neunzigerjahren sammelte sie selbst Unterschriften für das Holocaust-Mahnmal in Berlin.

SZ: Frau Assmann, 92 AfD-Abgeordnete sitzen im Bundestag. Steht uns eine Wende im Umgang mit dem Holocaust-Gedenken bevor, wie Björn Höcke sie fordert?

Aleida Assmann: Ich kann mir nicht vorstellen, wie sich Herr Höcke die "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" vorstellt. In einer Rede vor Anhängern in Dresden, die jeden Satz mit Applaus belohnen, hat er ein leichtes Spiel. Aber wie soll das in der Praxis aussehen? Auch diese Partei kann nicht einfach Gedenkstätten schließen und Mahnmale abbauen, viele davon sind längst zu internationalen Orten der Begegnung geworden.

Sie klingen optimistisch. Aber künftig wird wohl ein AfD-Abgeordneter im Kuratorium der Stiftung "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" sitzen. Dessen Vizevorsitzende Lea Rosh möchte juristische Schritte dagegen prüfen lassen.

Es lässt sich nicht verhindern, dass die AfD ein Mitglied in das Gremium entsendet; dieser Sitz steht ihr zu. Und ich hielte es auch nicht für sinnvoll, diese Partei da komplett herauszuhalten. Lea Rosh treibt die Sorge vor einer Kontamination dessen um, wofür sie so lange gekämpft hat. Wir sollten erst mal abwarten, ob und wie die AfD ihre Forderungen in der parlamentarischen Arbeit überhaupt formulieren kann. Dann kann man darauf reagieren.

Eine Partei, die ein Ende der Erinnerungskultur fordert, bestimmt künftig das offizielle Gedenken an den Holocaust in diesem Land mit. Muss man das hinnehmen?

Wir müssen uns argumentativ damit auseinandersetzen, denn wir haben eine Errungenschaft zu verteidigen. Deutschlands Auseinandersetzung mit seiner Geschichte wird von anderen Nationen als Modell gehandelt. Diese Rolle haben wir aber nur, weil die Verbrechen, die in unserer Geschichte verübt wurden, beispiellos waren. Es ist wichtig, die AfD in diese Gespräche einzubeziehen. Es wird sich zeigen, dass wir die besseren Argumente haben.

Wie oft kommen Sie mit Forderungen wie denen von Björn Höcke in Berührung?

Ich habe vor Kurzem einen Vortrag vor Rekruten an der Helmut-Schmidt-Bundeswehr-Universität in Hamburg gehalten. Es ging um das Gedenken an den Holocaust. Hinterher kamen von einigen Zuhörern Abwehr und Bedenken: 0b man nicht endlich mal auf positive Dinge aus der deutschen Geschichte stolz sein dürfe, ob es nicht genug sei mit dem schlechten Gewissen.

Ein häufiges Argument: Die Deutschen hätten genug bereut, das Land brauche nun ein positives Selbstbild.

Wir dürfen nicht in die alte Rhetorik von Ehre und Schande zurückfallen. Natürlich braucht eine Nation ein positives Selbstbewusstsein. Das kann man sich aber auch dadurch erwerben, dass man sich Rechenschaft über die eigene Geschichte ablegt und Verantwortung für historische Verbrechen übernimmt.

"Wir dürfen die Erinnerungskultur nicht ethnisieren."

Was haben Sie den Rekruten geantwortet?

Dass Erinnern ein Prozess ist, der zeigt, dass sich Einstellungen verändern können. Bis in die Achtzigerjahre herrschte die Sehnsucht nach dem Vergessen der belastenden Vergangenheit. Die deutsche Erinnerungskultur ist post-heroisch und bezieht die Perspektive der Opfer mit ein, und sie ist ein transnationales Projekt. Statt eines "Monologs der Schwerhörigen", wie der französische Historiker Marc Bloch die Egozentrik der auf Stolz und Ehre gegründeten nationalen Gedächtnisse beschrieb, suchen wir den Dialog mit anderen Ländern und ihren Geschichtsbildern.

Dann ist die Erinnerungskultur in Ihren Augen nicht bedroht?

Ich sehe zwei Gefahren: Neben dem Unbehagen von rechts, das sie am liebsten abschaffen möchte, droht auch ein Versiegen einer Ressource, die diese Erinnerungskultur in Gang hält in Form eines ehrenamtlichen Engagements, das weitgehend in den Händen der 68er-Generation lag. Für diese war Holocaust-Gedenken so etwas wie eine historische Mission. Ich frage mich, was bleiben wird, wenn sie einmal nicht mehr ist. Diese Gefahr ist vielleicht größer als der lautstarke Ansturm der AfD.

Viele Menschen sind nach Deutschland gekommen, die mit dem Holocaust keine eigene Familiengeschichte verbindet. Was ändert sich dadurch?

Wir dürfen die Erinnerungskultur nicht ethnisieren. Die Familienbande werden nach dem nächsten Generationenwechsel eine geringere Rolle spielen. Das Holocaust-Gedenken hat sich weiterentwickelt. Die Erinnerung ist für Deutschland mit einem ethischen Imperativ verbunden: Nie wieder darf so etwas passieren! Für die Einwanderer gibt es aber auch den direkten Weg der Empathie: Sie können sich für die Geschichten der Opfer interessieren und auch mit ihnen identifizieren.

Kulturelles Gedächtnis lässt sich aber nicht in Integrationskursen vermitteln.

Vor Kurzem erzählte mir eine türkischstämmige Studentin, sie sei in diesem Land mit der Erinnerung an den Holocaust aufgewachsen und könne deshalb ihren Vater nicht verstehen, der den türkischen Genozid an den Armeniern leugnet. Auch das ist ein Beispiel für eine positive Integration in die deutsche Erinnerungskultur.

Müsste diese sich nicht auch selbst verändern und neue Flucht- und Gewalterfahrungen aufnehmen?

Ja, das stimmt. Ich hoffe, dass wir bald Migrationsmuseen und öffentliche Orte haben, an denen die Geflüchteten ihre Geschichten erzählen. Literatur und Filme sind dafür besonders geeignet.

Die Ära der Zeitzeugen endet. Es gibt im Netz viele Videozeugnisse von Holocaust-Überlebenden. Die Shoah Foundation experimentiert sogar mit Hologrammen von Zeitzeugen, die zusätzlich zum dreidimensionalen Bild interaktiv die Fragen von Museumsbesuchern beantworten sollen.

Ich finde diese Hologramme gespenstisch. Junge Leute interessieren sich vielleicht für den Hightech-Effekt und hören sich geduldig vorprogrammierte Antworten an. Es ist aber das genaue Gegenteil eines auratischen Präsenzerlebnisses. Ein Film hingegen, ein Buch oder ein Bericht von einem "Zweitzeugen" - das sind junge Menschen, die die Geschichten von Überlebenden an Schulen erzählen - kann Erinnerung wieder in Bewegung setzen.

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