Süddeutsche Zeitung

Erinnerungen:Ein Messdiener seiner selbst

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Heribert Prantl, Mitglied der SZ-Chefredaktion, über das Arbeiten mit Grass und dessen umstrittene Gedichte.

Von Heribert Prantl

Das schönste Gespräch mit ihm war das über die Messdienerei. Wir kamen miteinander von der Verleihung des von ihm gestifteten August-Bebel-Preises und es ging darum, ob der Preisträger (es war der Sozialphilosoph Oskar Negt) auch ausreichend beweihräuchert worden sei. Der damals 83-jährige Günter Grass hatte, wie sich herausstellte, den Original-Duft des heiligen Räucherwerks noch gut in der Nase: Er war als Kind Ministrant gewesen. Er hatte also schon früh hinter den Altar schauen können; dorthin, wo die ausrangierten Gerätschaften und die Putzeimer stehen.

Die Messdienerei ist eine gute Schule für Politiker, Missionare und Literaten. Grass war ein politischer, missionierender Literat, einer mit einem festen Glauben: dem Glauben an eine soziale Sozialdemokratie. Deswegen schwang er das Rauchfass für Willy Brandt mit einer fast seligen Inbrunst. Als Wahlkämpfer war er ein Volksmissionar, herzhaft und deftig in der Rede. Er war nicht einmal hier, nämlich ganz links, und einmal dort, nämlich ziemlich rechts. Er war immer da, wo die Es-Pe-De war oder seiner meiner Meinung nach sein sollte. Sie war seine Partei und blieb es auch, als er, wegen der Änderung des Asylgrundrechts, austrat. Austreten, anklagen, weihräuchern, Krach schlagen - das alles war für ihn Engagement.

Er konnte schimpfen und maulen, auch in Telefonaten mit Redakteuren, und dabei bodenlos ungerecht sein. Aber er konnte dann sein Geschimpfe und Gemaule wunderbar veredeln. In seinen späten Jahren entstanden auf diese Art und Weise auch zwei Gedichte, die im Jahr 2012 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurden: "Was gesagt werden muss" hieß das erste. Es war eine scharfe Kritik an der israelischen Politik. "Europas Schande" hieß das zweite Gedicht, das Griechenland verteidigte. Diplomatisch-vorsichtig waren diese Verse nicht, im Gegenteil, sie waren sehr scharf. Aber mit großer Vorsicht rief er an, um sie einem anzutragen, gerade so, als sei er noch unsicher, ob das auch wirklich so gesagt werden dürfe. Dann trug er sein Werk am Telefon vor, er bestand darauf; mit der feierlich-gefassten Stimme des Rhetors, des effektbewussten Stilisten, der weiß, wie er überzeugt. Er war auch ein Messdiener seiner selbst.

Die Süddeutsche Zeitung hat diese beiden umstrittenen Gedichte gedruckt, weil Günter Grass einer war, der Gewichtiges zu sagen hatte - und weil er gute Diskussionen auslösen konnte wie kaum ein anderer. Die Reaktion auf beide Gedichte -"rhythmisierende Prosa, die in Gedichtform gebracht worden ist", nannte er selbst sie - hat das eindrucksvoll gezeigt.

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Quelle:
SZ vom 14.04.2015
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