Süddeutsche Zeitung

Erforschung des TV-Zuschauer-Verhaltens:Das bekannte Unwesen

Macht, Geld, Quote: Seit 40 Jahren lassen TV-Sender das Verhalten der Zuschauer erforschen - inzwischen sogar im Sekundentakt.

STEFAN FISCHER

(SZ v. 11.08.2003)

Die großen Fernsehsender in Deutschland haben es gut: Jeder von ihnen ist Marktführer. Drunter macht es heute keiner, den Privaten jedenfalls ist nichts und den Öffentlich-Rechtlichen auch nur wenig heiliger als die Quote.

Vor den Konkurrenten zu liegen, ist indessen nur eine Frage der Definition. Der Marktanteil sagt ja noch nicht, wie viele wirklich fernsehen. Zwei Millionen Zuschauer garantieren einer Sendung in den Mittagsstunden eine sehr erfreuliche Quote. Am Samstagabend, wenn die halbe Nation fernsieht, kann man mit zwei Millionen dagegen keinen Staat machen. Und so muss eben der Markt entsprechend definiert werden.

Es kam schon vor, dass sich sowohl das ZDF als auch RTL jeweils zum Jahressieger in der Primetime gekürt haben - jeder legte den Zeitraum so fest, wie es ihm am besten passte. Besonders beliebt ist außerdem, nur bestimmte Altersgruppen zu berücksichtigen - allen voran die "werberelevanten" 14- bis 49-Jährigen. Noch größere Rechentricks müssen die kleinen Spartenkanäle anwenden, um sich in den Vordergrund zu schieben. Man wird auf den Tag warten können, an dem sich ein Sender zum nachmittäglichen Marktführer bei den hundebesitzenden Linkshändern mit Abitur ausruft.

Doch auch wenn die Sender naturgemäß keine Einigung darüber erzielen, wie die Zahlen der Zuschauerforschung zu bewerten sind - an den Zahlen selbst zweifeln sie nicht.

Insofern war der 16.Dezember 1994 ein verheerender Tag für sie: Da flog auf, dass über mehrere Wochen die von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ermittelten Quoten falsch waren. Ein Computerfehler hat 600 von damals 3900 Testhaushalten ausschließlich den Sendern RTL, RTL2 sowie dem schwedischen TV3 zugeordnet. Die Werbetreibenden glaubten den falschen Zahlen und buchten Werbezeiten bei RTL2 statt bei ProSieben. Zweieinhalb Millionen Mark haben die GfK die Reparaturen gekostet, der Imageverlust war beträchtlich. Auch zuvor sind immer wieder Fehler passiert. So wurden am 17.Januar 1993 für den Kulturkanal Arte mittags um 13Uhr 50000 Zuschauer ermittelt - Arte war da gar nicht auf Sendung.

Gleichwohl ist die GfK weiterhin von der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) mit der Quotenerhebung betraut, der aktuelle Vertrag läuft bis Ende 2004. Seit 1985 schon misst die Nürnberger Gesellschaft die Fernsehquoten, zuerst im Auftrag von ARD und ZDF, seit 1988 dann für die AGF - einem Zusammenschluss mehrerer großer Sender (ARD, das ZDF, RTL, Pro Sieben Sat1 Media). Der AGF-Auftrag ist immerhin 13Millionen Euro pro Jahr wert.

Erforscht wird das Sehverhalten der Zuschauer schon seit 1963 - seit der Gründung des ZDF, seit es also eine Konkurrenzsituation im deutschen Fernsehen gibt; im ersten Jahrzehnt von den Instituten Attwood, Nielsen und Infratest, zwischen 1974 und 1985 von Allensbach sowie Infas. ARD und ZDF wollten damals in erster Linie wissen, was sich die Leute von dem neuen Medium erwarteten. Nicht die Quoten waren von Belang, sondern absolute Zahlen. Die Preise für Werbezeiten konnten die öffentlich-rechtlichen Anstalten damals noch recht willkürlich festlegen.

Mit der Zulassung des Privatfernsehens in Deutschland haben sich die Ziele der Fernsehforschung radikal gewandelt, die Quote wurde zur Währung auf dem Fernsehmarkt. Hohe Sehbeteiligung garantierte hohe Werbeumsätze, war plötzlich bares Geld wert. Seither wird die Sehbeteiligung auch im Sekundentakt erfasst - bis in die Mitte der Siebziger Jahre begnügte man sich mit der Erfassung im Minutenabstand.

Ob die GfK-Zahlen tatsächlich repräsentativ sind, ist Glaubenssache. Fehlerquellen gibt es genug. Andererseits sind derzeit keine verlässlicheren Zahlen zu ermitteln. Die Zahl der repräsentativen Testhaushalte immerhin wurde kontinuierlich gesteigert, heute sind es 5640 mit rund 13000 Personen, die das so genannte Haushaltspanel der GfK bilden. Ausländer finden sich kaum darunter, obwohl beinahe ein Zehntel der Bevölkerung keinen deutschen Pass hat - und trotzdem fernsieht. In 140 der Testhaushalte immerhin sind die Hauptverdiener EU-Ausländer, in den restlichen 5500 sind es ausnahmslos Deutsche. Der Grund: Die GfK greift auf die Daten der Bundestagswahlkreise zurück, dort erfasst sind nur hierzulande Wahlberechtigte, also Deutsche und EU-Ausländer. Der Aufwand, Daten über Nicht-EU-Ausländer zu erhalten, wäre ungleich höher - und wird deshalb nicht betrieben.

Eine weiterer Unsicherheitsfaktor: Jeder Panel-Zugehörige muss sich mit einer speziellen Fernbedienung individuell an- und abmelden, wenn er fernsieht. Schließlich möchte die GfK wissen, ob nur der Vater Fußball schaut oder die ganze Familie. So lange keine auffallend ungewöhnlichen Nutzungen zu Tage treten, ist es für die GfK schwer einzuschätzen, wie zuverlässig die Testpersonen dabei sind. Es komme doch vor, dass Testhaushalte ausgeschlossen werden müssten, weil ihre Zuverlässigkeit zweifelhaft sei, sagt Michael Darkow, Geschäftsführer der GfK-Fernsehforschung.

In jedem Fall müssen die Testpersonen anonym bleiben. Frank Laufenberg, seinerzeit Moderator des Sat1-Talks Frank und frei, hat vor reichlich zehn Jahren einmal in seiner Sendung betreffende Zuschauer dazu ermuntert, sich doch bitte zu melden, er wolle sie als Talk-Gäste einladen. Zwei bewarben sich - und wurden prompt von der GfK ausgeschlossen. Sat1 bekam eine, wenn auch geringe, Geldstrafe aufgebrummt. "Wir müssen sicher stellen, dass die Testpersonen keiner wie auch immer gearteten Beeinflussung ausgesetzt werden können", sagt Darkow. Deshalb gibt es auch keinen finanziellen Anreiz. Die GfK zahlt lediglich eine Aufwandsentschädigung von weniger als zehn Euro pro Monat.

Kritisiert wird von mancher Seite, dass die GfK die Quoten ausschließlich in Privathaushalten ermittelt, nicht aber in Hotels oder Büros. Der Nachrichtensender n-tv fühlt sich deshalb beispielsweise unterbewertet. Im Umkreis von n-tv ist es 1997 auch zu einer ersten Verurteilung wegen Quotenfälschung gekommen. Ein Fernsehproduzent hatte die von der GfK ermittelten Zuschauerzahlen einer von ihm hergestellten und auf n-tv ausgestrahlten Medizinsendung mit dem Faktor zehn multipliziert - und so seinem Geldgeber das vertraglich vereinbarte Millionenpublikum vorgetäuscht. Vor Gericht erklärte der Mann, er habe eine zulässige Korrektur vorgenommen, da die Fernsehforscher die Reichweite des kleinen Senders nicht richtig abbilden könnten. Er wurde zu einer Geldstrafe verurteilt - wegen Urkundenfälschung.

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