Erfolg von Kinofilmen:Reine Rechensache

Thorsten Hennig-Thurau hat Formeln für den Erfolg von Kinofilmen entwickelt. Ein Gespräch über die Macht von Fortsetzungen, die Marke Til Schweiger und Superhelden.

K. Riehl

BEV = (RPS - RPO) x 0,4886 = 52,67 Millionen US $: Thorsten Hennig-Thurau ist Betriebswirt. Während sich seine Diplomarbeit noch mit der Fensterausstattungsindustrie beschäftigte, berechnet der Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Marketing und Medien der Universität Münster heute den Erfolg von Kinofilmen. Mit der oben genannten Formel lässt sich zum Beispiel der Einfluss von Fortsetzungen auf den Kassenerfolg berechnen, andere bestimmen den Einfluss der Schauspieler. Im Interview mit sueddeutsche.de erklärt er, warum schreckliche Filme oft erfolgreich sind, warum Til Schweiger wie Uhu und Rugby ein Problem für Kinofilme ist.

Sandra Bullock

Wer heute Geld mit einem Film verdienen will, der sollte Sandra Bullock besetzen - und eine romantische Komödie mit ihr drehen.

(Foto: Foto: Verleih)

sueddeutsche.de: Seit ein paar Tagen läuft Iron Man 2 in den Kinos - wird der Film ein Erfolg?

Thorsten Hennig-Thurau: Er wird gut laufen, aber nicht so gut wie in den USA.

sueddeutsche.de: Woher wissen Sie das?

Hennig-Thurau: Für den Erfolg eines Films sind verschiedene Faktoren verantwortlich. Bei Iron Man 2 spielen vor allem zwei Dinge eine Rolle: Der Film ist ein Sequel und es ist ein Superheldenfilm.

sueddeutsche.de: Und das ist gut oder schlecht?

Hennig-Thurau: Eher helfen wird, dass der Film eine Fortsetzung ist.

sueddeutsche.de: Warum?

Hennig-Thurau: Weil Marken immer wichtiger werden. Die Leute gehen ins Kino, weil sie die Marke schon kennen. Natürlich spielt auch die Qualität eine Rolle - wenn die Zuschauer die Marke mögen, schauen sie die Fortsetzung wahrscheinlich an. Man kann das ziemlich gut anhand der Matrix-Filme erklären: Der zweite Teil war beinahe doppelt so erfolgreich wie das Original, dabei allerdings ein ziemliches ästhetisches Desaster. Das haben viele Zuschauer auch so gesehen und darunter hat der Markenwert gelitten. Den dritten Teil Matrix Revolution, der ja nur ein halbes Jahr später gezeigt wurde, wollte dann nur noch jeder zweite Zuschauer sehen.

sueddeutsche.de: Die Leute wollen also sehen, was sie schon kennen?

Hennig-Thurau: Ja, das gilt aber nicht nur für Fortsetzungen, sondern auch für Literatur- oder Neuverfilmungen: Der Name sichert den Erfolg.

sueddeutsche.de: Aber vielleicht ist Iron Man ja auch erfolgreich, weil Gwyneth Paltrow mitspielt. Wie bestimmen Sie, welche Faktoren den Ausschlag geben?

Hennig-Thurau: Den Einfluss von Sequels erkennt man, indem man einen Zwillingsfilm sucht. Einen Film also, der hinsichtlich aller Marketing- und Produktionsfaktoren möglichst ähnlich ist, aber eben kein Sequel. Als Zwillingsfilm für Toy Story 2 haben wir auf statistischem Wege zum Beispiel Findet Nemo ermittelt, die Zahlen von Der verrückte Professor 2 haben wir mit Dr. Dolittle verglichen. Da wir den Einfluss aller anderen Faktoren auf diesem Wege quasi herausgefiltert haben, können wir sagen, dass es eben der Faktor Fortsetzung ist, der einen Film mit großer Wahrscheinlichkeit zum Hit macht.

sueddeutsche.de: Dass Fortsetzungsfilme wegen Ihrer Markenkraft Erfolg haben, liegt nahe. Mit Ihren Formeln sind aber noch sehr viel genauere Berechnungen möglich.

Hennig-Thurau: Wir können berechnen, wie viel ein Produzent für die Rechte an einem Sequel bezahlen sollte, damit es sich finanziell noch lohnt. Wir benutzen dafür die Formel BEV = (RPS - RPO) x 0,4886. BEV ist dabei der Wert der Marke, zum Beispiel Spider-Man. RPS steht für das prognostizierte Einspielergebnis des Sequels, RPO für das prognostizierte Einspielergebnis des Zwillingsfilms.

sueddeutsche.de: Hört sich kompliziert an. Und wie kommen Sie zu diesen Prognosen?

Hennig-Thurau: Sowohl RPS als auch RPO schätzen wir als Funktion zahlreicher Einflussfaktoren mittels der sogenannten OLS-Regression, einem statistischen Verfahren, das den Schätzfehler minimiert. Der Faktor 0,4886 entspricht dem Anteil der Gesamteinnahmen über alle Verwertungskanäle, der an das Filmstudio fällt.

sueddeutsche.de: Puh. Und dabei haben Sie etwas rausgefunden?

Hennig-Thurau: So haben wir ermittelt, dass etwa die Rechte an Spider-Man 52,67 Millionen Dollar wert waren - bevor die erste Fortsetzung in die Kinos gekommen ist.

sueddeutsche.de: Wenn Marken so wichtig sind, dann gibt es auch bestimmte Schauspieler, die den Kassenerfolg eines Films garantieren?

Hennig-Thurau: Es kommt drauf an, wie geschickt der einzelne Schauspieler seine Marke etabliert hat: Til Schweiger spielt heute in einer Romantic Comedy viel mehr Geld in die Kinokassen als in einem Actionfilm. Will man kommerziell Erfolg haben, sollte man ihm daher bei einer neuen Romantic Comedy deutlich mehr Gage anbieten als für andere Filmgenres. Das ist wie mit der Marke Uhu: Kein Mensch würde ein Müsli kaufen, das Uhu heißt. Uhu ist Kleber, das klingt nicht essbar. Bei einer Marke wie Boss ist das anders. Die ist weitaus breiter aufgestellt, das kann man sehr erfolgreich auf Schuhe und Parfüm übertragen.

sueddeutsche.de: Til Schweiger ist also Uhu?

Hennig-Thurau: Ja, bei Til Schweiger gelten grundsätzlich dieselben Regeln. Er hat sich den Ruf aufgebaut, ein guter Schauspieler für romantische Komödien zu sein. Schauspieler brauchen gute Manager, die das Markenimage ihrer Stars kennen und versuchen, das Image breiter zu gestalten. Schweigers Erfolg mit der kleinen Rolle in Tarantinos Kriegsactionfilm Inglorious Basterds sollte ihn deshalb mindestens ebenso freuen wie der zahlenmäßig weit größere Erfolg der Zweiohrküken. Er dürfte Herrn Schweiger neue Zuschauersegmente eröffnen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum man den Namen eines Regisseurs gar nicht auf das Filmplakat schreiben müsste.

Steven Spielberg? Steven Spielberg!

sueddeutsche.de: Iron Man 2 also hat gute Chancen, weil eine bekannte Marke bedient wird. Warum glauben Sie trotzdem nicht, dass er hier so erfolgreich laufen wird wie in den USA?

Hennig-Thurau: Es ist ein Superhelden-Film. Auch Batman-Filme sind bei uns nie so erfolgreich, die Figur ist hier einfach nicht so legendär wie in den USA, wo sie wie nahezu alle Marvel und DC Comics ja geradezu Heldenstatus genießt. Es gibt Dinge, die bei uns nicht funktionieren. Superhelden gehören dazu, aber auch Sport: Bei Invictus von Clint Eastwood zum Beispiel geht es viel um Rugby, das spielt in den USA keiner und hier auch nicht, deshalb wollte das keiner sehen. In Neuseeland ist das ganz anders. Wir nennen diesen Faktor "kulturelle Nähe".

sueddeutsche.de: Wenn das alles also so einfach zu planen ist, warum floppen dann so viele Filme? Rechnen die Produzenten nicht?

Hennig-Thurau: Die Abneigung der Branche gegen statistische Modelle hat sicher auch mit dem Mythos des nicht Vorhersagbaren zu tun, es ist zum Teil wohl auch eine Frage der Selbstinszenierung. Je weiter sie sich dem kreativen Kern der Branche nähern, desto geringer ist die Offenheit für statistische Berechnungen.

sueddeutsche.de: Liegen die Berechnungen auch manchmal falsch?

Hennig-Thurau: Oh ja, wir leben in einer stochastischen Welt, Garantien gibt es nicht. Ein totaler Ausreißer war zum Beispiel My Big Fat Greek Wedding. Das war Mundpropaganda und Herdenverhalten, das kann man nur sehr begrenzt prognostizieren.

sueddeutsche.de: Gute Filme finden also immer ihre Zuschauer?

Hennig-Thurau: Nicht nur gute Filme. Kampf der Titanen zum Beispiel ist mit einem riesigen Werbedruck und dem zurzeit die Leute mobilisierenden Etikett "3-D" in die Kinos gekommen. Dann rennen die Leute rein, der Film landet auf Platz eins - und dann gehen die anderen auch ins Kino, da der Film ja ein großer Erfolg ist. Wir nennen das "uninformierte Informationskaskaden". Und dabei ist das ein ganz schrecklicher Film - ich persönlich bin da ziemlich erschüttert herausgekommen.

sueddeutsche.de: Der größte Erfolg der letzten Zeit war Avatar. Haben Sie das vorausgesehen?

Hennig-Thurau: Avatar ist ein klassischer Ausreißer. Klar, der hatte ein gigantisches Werbe- und Produktionsvolumen - dass der Geld einspielen würde, war zu erwarten. Aber dass er so erfolgreich ist und fast drei Milliarden Dollar einspielt, das konnte keiner ahnen.

sueddeutsche.de: Und warum war er dann so erfolgreich? Er hat keinen Star, ist kein Sequel und von kultureller Nähe kann auch kaum die Rede sein.

Hennig-Thurau: Es ist der erste Film, der uns erklärt, warum wir diese Brillen brauchen. Weil man versteht, dass der interaktive Film die Zukunft ist. Mich hat das für die doch arg schlichte Charakterzeichnung und Dramaturgie entschädigt.

sueddeutsche.de: Welchen Film würden Sie heute machen, wenn Sie einen garantierten Erfolg möchten?

Hennig-Thurau: Einen sicheren Erfolg an der Kinokasse hat man, wenn man Sandra Bullock in einem Film einsetzt, der ihrem Genre entspricht: in einer hübschen romantischen Komödie. Am besten noch dazu ein Sequel eines ihrer Hits, etwa Selbst ist die Braut 2 - das wäre ein ziemlicher Selbstgänger.

sueddeutsche.de: Und wer müsste Regie führen?

Hennig-Thurau: Der Regisseur hat auf den Erfolg des Films fast keinen Einfluss, die haben kaum Markenkraft. Ich erinnere mich noch an das Plakat zu Minority Report: Da stand in riesigen Lettern der Name von Tom Cruise drauf und ganz klein unten drunter der Name von Steven Spielberg. Steven Spielberg! dachte ich damals. Aber wir finden mit unseren Berechnungen tatsächlich fast keine Effekte, die auf den Namen des Regisseurs zurückgehen. Das haben die Leute von Fox damals also schon genau richtig gemacht.

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